Ein unschlagbares Team beschert im „Siegfried“ und der „Götterdämmerung“ ungetrübtes Wagner-Glück

Ring-Zyklus I, Richard Wagner, Siegfried und Götterdämmerung  Staatsoper Unter den Linden, 21. und 24. März 2024

Andreas Schager (Siegfried), Stephan Rügamer (Mime) © Monika Rittershaus

Das war eine Leistung für die Ewigkeit, das Publikum dankte es ihr, und allen Beteiligten, mit frenetischem Jubel. Philippe Jordan und die blendend disponierte Staatskapelle feierten einen verdienten Triumph, es geht also auch ohne Christian Thielemann!

Siegfried

Zweiter Tag des Bühnenfestspiels
DER RING DES NIBELUNGEN (1876)
Text und Musik von Richard Wagner

Staatsoper Unter den Linden, 21. März 2024


Götterdämmerung

Dritter Tag des Bühnenfestspiels
DER RING DES NIBELUNGEN (1876)
Text und Musik von Richard Wagner


Staatsoper Unter den Linden,
24. März 2024

von Peter Sommeregger

Der „Siegfried“ steht selbst bei eingefleischten Wagnerianern nicht unbedingt ganz oben in ihrem persönlichen Ranking. Die sehr lange, streckenweise statische Opernhandlung fordert auch vom Publikum hohe Konzentration und Sitzfleisch.

Erlebt man allerdings eine so geschlossene Aufführung wie im aktuellen Zyklus Unter den Linden, so relativiert sich das schnell. Dmitri Tcherniakovs Inszenierung reduziert die Optik erneut auf den Kern der menschlichen Interaktionen. Ein Kabinettstück ist die geifernde Auseinandersetzung zwischen dem Wanderer und Alberich, beide vom Alter gezeichnet und mit Gehhilfen auf der Drehbühne unterwegs. Rastlos irren sie durch die verlassenen Räume und Gänge des Forschungsinstitutes Esche. Man könnte Einsamkeit und Vereinzelung kaum besser optisch beschreiben.

Zuvor hatte im ersten Akt der junge Siegfried die Relikte seiner Kindheit zertrümmert. Mime scheint den Knaben in der verwaisten Hütte Hundings aufgezogen zu haben. Stephan Rügamer hat mit dem Mime die Rolle seines Lebens gefunden. Andreas Schager erweist sich erneut als Besitzer einer Stentor-Stimme, reich an Schwermetall und Volumen. Streckenweise würde man sich eine etwas differenziertere Phrasierung wünschen, zu der er erst im finalen Zwiegesang mit Brünnhilde findet.

Peter Rose stirbt als Fafner mit Würde und lässt davor noch seinen schwarzen Bass hören. Der Waldvogel erscheint in Gestalt einer Assistentin des Institutes, der Victoria Randem ihren wohlklingenden, höhensicheren Sopran leiht.

Unwirsch vertreibt der Wanderer im dritten Akt die Verbliebenen aus den Institutsräumen, auch der finale Versuch, mit der Urmutter Erda ins Reine zu kommen, scheitert. An Anna Kissjudits orgelnder Tiefe liegt das sicher nicht. Auch an diesem Abend liefert Tomasz Konieczny eine berührende Charakterstudie des gescheiterten Göttervaters, dem Bedeutung und Macht längst abhanden gekommen sind.

Im Schlaflabor erweckt Siegfried schließlich Brünnhilde, was ihm Anja Kampe mit jubelndem Sopran dankt. Man muss in der Historie des Wagner-Gesanges weit zurückgehen, um eine vergleichbare Brünnhilde zu finden. Kampe gelingt das Ideal eines „Wagner-Belcanto“, wie ihn einst Frida Leider für sich entwickelt hatte. Die Stimme fließt frei, fast lyrisch, bewältigt aber auch die dramatischen Spitzen und den oft weggelassenen Triller mühelos.

Philippe Jordan, der sich seit dem Rheingold kontinuierlich gesteigert hatte, war den Sängern ein souveräner Begleiter und für das Orchester ein differenzierter Gestalter.

In der Götterdämmerung inspizieren die vergreisten Normen, deren Auftritt ein Kabinettstück darstellt, die bereits wohlbekannte Hütte Hundings, die zwischenzeitlich Mime, und nun dem Paar Siegfried und Brünnhilde als Bleibe dient. Wotan hat kapituliert und tritt nicht mehr als heimlicher Beobachter auf. Naiv und gutgläubig lässt sich Siegfried auf die Gibichungen ein, die das einstige Institut Esche zu undurchsichtigen Geschäften nutzen, das bisherige Ambiente wurde durch Einrichtung in beliebigen Pastellfarben ersetzt. In Hagen, dem Sohn Alberichs begegnet Siegfried seinem späteren Mörder, Stephen Milling verleiht ihm optisch und vokal Gefährlichkeit und düstere Schwärze. Roman Trekel liefert ein stimmiges Profil des charakterschwachen Gunthers. Mandy Fredrich holt aus der undankbaren Rolle der Gutrune ein Optimum an frischer Stimme und engagiertem Spiel heraus und hinterlässt einen besseren Eindruck als in der Premiere 2022.

Die Episodenrolle der Waltraute ist erneut mit Violeta Urmana besetzt, deren über dreißigjährige Karriere sich nun deutlich hörbar ihrem Ende nähert. Johannes Martin Kränzle ist nach wie vor als Alberich eine sichere Bank, als fast nackter alter Mann liefert er ein überzeugendes Rollenporträt. Beim dramatischen Höhepunkt der Oper, dem Eid Siegfrieds und Brünnhildes auf Hagens Speer besticht erneut Tcherniakovs überzeugende Personenführung, die auch dem Chor der Gibichungen – übrigens der einzigen Chorszene des gesamten Ringes – zugute kam.

Johannes Martin Kränzle (Alberich) © Monika Rittershaus

Zu Beginn des dritten Aktes befindet sich Siegfried mit den Rheintöchtern im Stresslabor, selbstbewusst und uneinsichtig verspielt er seine letzte Chance, dem Fluch des Ringes zu entgehen. Die Jagdgesellschaft ist bei Tcherniakov ein Baseballteam, gespielt wird im einstigen Entree des Esche- Zentrums. Den Platz der inzwischen gefällten Weltesche kann man noch als Spur im Erdreich erahnen. Siegfried, der tatsächlich bis zum Schluss nichts begriffen hat, wird von Hagen mit einer Fahnenstange tödlich verletzt, schleppt sich noch zurück ins Stresslabor, wo er stirbt. Nach und nach versammeln sich die Instituts-Mitarbeiter, inklusive Wotan und Erda, um den Toten, während im Orchester der gewaltige Trauermarsch mit höchster Brillanz erklingt.

Brünnhilde singt ihren Abgesang an Siegfrieds Bahre, statt des üblichen Weltenbrandes steht am Ende eine leere, schwarze Bühne. Brünnhilde ist mit Reisetasche unterwegs, trifft noch kurz auf ihre Mutter Erda und den Waldvogel. Im Hintergrund wird jener vorsichtig optimistische Text Wagners projiziert, den er ursprünglich an das Ende setzen wollte. Auf dem Zwischenvorhang zerfällt das Firmenlogo des Instituts Esche zu Staub.

Das sind am Ende noch einmal starke Bilder, mit denen Dmitri Tcherniakov einen Ring beschließt, dessen stringente Erzählweise sich tatsächlich erst bei näherer Betrachtung erschließt. Alle zauberischen Elemente sind eliminiert, im Fokus stehen Beziehungsgeflechte zwischen den handelnden Figuren und die Ausformung von Charakteren. In diesem Sinne ist der Regisseur gar nicht modern, sondern besinnt sich auf die eigentlichen Tugenden des Regie-Handwerks.

Andreas Schager (Siegfried), Anja Kampe (Brünnhilde) © Monika Rittershaus

Den letzten Abend der Tetralogie dominieren Andreas Schagers hellstimmiger Siegfried, der aber durchaus auch zu differenzieren weiß. Mit Siegfrieds Tod rundet er das Porträt des törichten Helden eindrucksvoll ab. In ihrer ganz eigenen Liga behauptet sich auch die Brünnhilde Anja Kampes, der zwischen wütender Megäre , liebender Frau und geläuterter Wissender ein schier unerschöpfliches Spektrum an Ausdrucksmöglichkeiten zur Verfügung steht.

Das war eine Leistung für die Ewigkeit, das Publikum dankte es ihr, und allen Beteiligten, mit frenetischem Jubel. Philippe Jordan und die blendend disponierte Staatskapelle feierten einen verdienten Triumph, es geht also auch ohne Christian Thielemann!

Peter Sommeregger, 25. März 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Richard Wagner, Siegfried Staatsoper Unter den Linden, 6. Oktober 2022 Premiere

Richard Wagner, Der Ring des Nibelungen, I – IV Staatsoper Unter den Linden, Berlin, 2. Oktober – 9. Oktober 2022

Richard Wagner, Götterdämmerung Staatsoper Unter den Linden, 9. Oktober 2022 PREMIERE

Ein Gedanke zu „Ring-Zyklus I, Richard Wagner, Siegfried und Götterdämmerung
Staatsoper Unter den Linden, 21. und 24. März 2024“

  1. Zur recht einseitigen und bisweilen oberflächlichen Beurteilung der Tcherniakov-Inszenierung des „Ring des Nibelungen“ an der Lindenoper durch Herrn Peter Sommeregger möchte ich den hier folgenden Kommentar von einem gewissen Herrn H.-J. Freudenberger zitieren, der sich weiter unten auf diesem Portal befindet:

    H.-Jürgen Freudenberger sagt:
    11. Oktober 2022 um 21:59 Uhr
    „Nie gab es in Berlin ein solches Buhkonzert gegen einen „Ring“-Regisseur in den letzten 50 Jahren…“ – schrieb ein anderer Kritiker, der diese absurde Inszenierung tapfer durchgestanden hat. Es müssen also doch im Publikum ausreichend viele Opernfreunde gewesen sein, die sich an die Handlung von Wagners „Ring“-Zyklus noch einigermaßen erinnern können. Der Regisseur dagegen kannte sie offensichtlich nicht und an der Berliner Staatsoper hat sich niemand gefunden, sie ihm zu erläutern. Außerdem hat man nicht eindeutig geklärt, ob er einen ernsthaft gemeinten Opernzyklus oder eine Parodie auf die Bühne bringen soll.“

    Ich war in der Premiere und habe erlebt, was sich da abgespielt hat, als der Regisseur vor den Vorhang kam. Unfassbar, ebenso wie diese abwegige Produktion! Man kann „Beziehungsgeflechte zwischen den handelnden Figuren und die Ausformung von Charakteren“, wie Sommeregger meint, durchaus auch auf werk- und kompositionsspezifische(re) Art und Weise darstellen. Götz Friedrich und Harry Kupfer haben das bestens verstanden, ohne das Werk und die Komposition zu verraten. Dazu gehört aber eine gehörige Kenntnis des Stücks, Erfahrung mit ihm und auch eine gewisse Liebe zu ihm.
    Als dieser „Ring“ im Fernsehen kam, habe ich es nicht einmal geschafft, ihn mir nochmal (gratis) zu Gemüte zu führen. Ich musste nach dem 2. Bild „Rheingold“ für immer abschalten.

    Von diesen kritischen Kommentaren völlig ausgenommen sind natürlich Christian Thielemann mit der Staatskapelle ebenso wie nun Philippe Jordan, dessen „Ring“-Interpretation ich kenne und die in Berlin sicher zu musikalischen Höhepunkten geführt hat, ebenso wie die Sänger und der Chor. (Herr Sommeregger: Wir wissen alle, dass der Chor in der „Götterdämmerung“ der einzige im „Ring“ ist…).

    Dr. Klaus Billand

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