Die Entwicklung und Karriere vielversprechender NachwuchskünstlerInnen übt eine unvergleichliche Faszination aus. Es lohnt sich dabei zu sein, wenn herausragende Talente die Leiter Stufe um Stufe hochsteigen, sich weiterentwickeln und ihr Publikum immer wieder von neuem mit Sternstunden überraschen. Wir stellen Ihnen bei Klassik-begeistert jeden zweiten Donnerstag diese Rising Stars vor: junge SängerInnen, DirigentInnen und MusikerInnen mit sehr großen Begabungen, außergewöhnlichem Potenzial und ganz viel Herzblut sowie Charisma.
Milan Siljanov: Franz Schubert ‚Auf der Bruck‘ D. 853 mit Nino Chokhonelidze am Klavier (2019)
von Lorenz Kerscher
Schon auf den ersten Blick fällt Milan Siljanov durch Körpergröße auf und überragt auf der Bühne die anderen Mitwirkenden oftmals um Haupteslänge. Dazu kann er eine prächtige Bassbaritonstimme aufbieten, die kraftvolle Töne ebenso meistert, wie sie zarte Klanggebilde gestaltet. Dies erlebte ich erstmals im April 2018, als er in einer Aufführung von Viktor Ullmanns „Der zerbrochene Krug“ durch das Opernstudio der Bayerischen Staatsoper den Dorfrichter Adam sehr überzeugend sang und darstellte. Kurz darauf konnte ich mich bei einem Porträtkonzert von seinen Qualitäten als Liedgestalter überzeugen und ihn dann auch als Basssolisten in Mozarts Requiem erleben.
Der Schweizer mazedonischer Herkunft studierte zunächst Klavier, stellte dann aber bald die Ausbildung seiner Stimme in den Vordergrund. „Der große Mensch passte nicht so recht ans Klavier“, sagte zu mir seine Frau, die aus Georgien stammende Nino Chokhonelidze, eine hervorragende Pianistin, die auch seine feste Liedduopartnerin ist. Dass er mit dem Gesang den richtigen Weg eingeschlagen hat, bestätigte sich bald auch durch Wettbewerbserfolge. Vor allem durch den zweiten Preis und den Publikumspreis beim ARD-Musikwettbewerb 2018 stellte er sein außergewöhnliches Talent und seine Wirkung auf die Zuhörer unter Beweis.
Milan Siljanov im Finale des ARD-Musikwettbewerbs.
Von 2016 bis 2018 war er Mitglied des Opernstudios der Bayerischen Staatsoper und wurde zur Spielzeit 2018/2019 ins Ensemble übernommen. Das bedeutet an diesem Haus vor allem die Darstellung kleiner und mittlerer Partien, in seinem Fach etwas des Sprechers in der Zauberflöte, des Nachtwächters in den Meistersingern oder des Schaunard in La Bohème. Andererseits bot das Festengagement in Coronazeiten Sicherheit und auch die Chance, die den Reisebeschränkungen unterliegenden internationalen Stars zu vertreten. So konnte er im September 2020 mit dem Dottor Dulcamara in Donizettis L’Elisir d’amore in einer wirkungsvollen Bassbuffopartie überzeugen. Auf der anderen Seite entging ihm wegen der Pandemie ein attraktives Engagement als Escamillo in Carmen an der Irish National Opera, das aber voraussichtlich in der nächsten Spielzeit nachgeholt werden kann.
Solche Verpflichtungen an andere Häuser wären jetzt auch für Milan Siljanov sehr nützlich, um ein attraktives Repertoire aufzubauen. In diesem Punkt hat ihn, wie auch andere Kollegen, die Pandemie schon um eineinhalb Jahre zurückgeworfen. Die heutigen Rising Stars stehen in einem Stau, der sich so schnell auch nicht auflösen wird. Immer noch sind weitere Einschränkungen des Kulturbetriebs nicht ausgeschlossen und somit vorsichtige Planungen angesagt. Es könnte so kommen, dass man erst einmal bekanntere Namen verpflichten möchte und den Nachwuchs noch in der Warteschleife schmoren lässt. Andererseits denke ich, dass er z.B. schon recht bald einen hervorragenden Filippo in Verdis Don Carlo darstellen könnte. Wie sehr ihm dieser liegen würde, hat er ja schon mit der im Finale des ARD-Musikwettbewerbs dargebotenen Arie gezeigt.
Doch auch im Konzertsaal bieten sich ihm Entwicklungsmöglichkeiten, sei es als Oratoriensänger wie z.B. als Jesus in der Matthäuspassion oder ganz besonders auch als Liedsänger. Im Januar 2020 konnte ich ihn und seine Frau Nino Chokhonelidze mit einer sehr überzeugenden Interpretation der Winterreise live erleben, nicht ahnend, dass bald nur noch Onlinekonzerte möglich sein würden. Wie gut war es da, dass einige kleinere (und umso idealistischere) Konzertveranstalter die Form des Videostreams als Alternative nutzten! So konnte auch diesem Liedduo eine solche Plattform gegeben und ihre gelungene Darbietung von Liedern von Franz Liszt, Henri Duparc, Ivor Gurney und Gerald Finzi auf längere Frist zugänglich gemacht werden.
Besondere Juwelen der Liedliteratur – Ein Liederabend mit Milan Siljanov und Nino Chokhonelidze (Videostream von 2020)
Die Karriere von Bassbaritonen verläuft meist Schritt für Schritt, sie müssen geeignete Podien finden, um allmählich zu wachsen und zu reifen. So wird es sich nach meiner Überzeugung auch bei Milan Siljanov entwickeln. Mit seiner Körpergröße und seinen guten stimmlichen Reserven wird er noch viele standhafte Helden auf die Bühne bringen können. Gerade bei Wagner besteht daran großer Bedarf. Als Donner im Rheingold konnte er sich kürzlich schon in dieser Richtung erproben, in der es reichliche Entwicklungsmöglichkeiten gibt, bis am Ende vielleicht sogar ein Gurnemanz oder Wotan stehen könnte. Das ist noch Zukunftsmusik, doch wie ich ihn einschätze, wird er seinen Weg in gut erarbeiteten, sicheren Schritten gehen und über lange Zeit eine feste Größe in der Musikwelt sein.
Weiterführende Information:
Biografisch sortierte Playlist in Youtube
Lorenz Kerscher, 12. August 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Lorenz Kerscher, Jahrgang 1950, in Penzberg südlich von München lebend, ist von Jugend an Klassikliebhaber und gab das auch während seiner beruflichen Laufbahn als Biochemiker niemals auf. Gerne recherchiert er in den Internetmedien nach unentdeckten Juwelen und wirkt als Autor in Wikipedia an Künstlerporträts mit.
„‘Musik ist Beziehungssache’, so lautet mein Credo. Deshalb bin ich auch als Chorsänger aktiv und treffe mich gerne mit Freunden zur Hausmusik. Eine neue Dimension der Gemeinsamkeit eröffnet sich durch die Präsenz vieler, vor allem junger Künstler im Internet, wo man Interessantes über ihre Entwicklung erfährt, Anregungen zur Entdeckung von musikalischem Neuland bekommt und auch in persönlichen Kontakt treten kann. Man ist dann kein Fremder mehr, wenn man ihnen als Autogrammjäger begegnet oder sie sogar bei einem Konzertbesuch im Publikum trifft. Das ist eine schöne Basis, um mit Begeisterung die Karrieren vielversprechender Nachwuchskünstler mitzuerleben und bei Gelegenheit auch durch Publikationen zu unterstützen.“
Rising Stars 11: Anna Handler, Dirigentin und Pianistin – die junge Maestra mit eigenem Orchester