Rising Stars 19: Johannes Kammler, Bariton – ein junger Kavalier, der Gefallen findet

Rising Stars 19: Johannes Kammler, Bariton – ein junger Kavalier, der Gefallen findet

Foto: © Besim Mazhiqi

Die Entwicklung und Karriere vielversprechender NachwuchskünstlerInnen übt eine unvergleichliche Faszination aus. Es lohnt sich dabei zu sein, wenn herausragende Talente die Leiter Stufe um Stufe hochsteigen, sich weiterentwickeln und ihr Publikum immer wieder von neuem mit Sternstunden überraschen. Wir stellen Ihnen bei Klassik-begeistert jeden zweiten Donnerstag diese Rising Stars vor: junge SängerInnen, DirigentInnen und MusikerInnen mit sehr großen Begabungen, außergewöhnlichem Potenzial und ganz viel Herzblut sowie Charisma.

NEUE STIMMEN 2017 – Finale (2. Preis): Johannes Kammler singt „Mein Sehnen, mein Wähnen“, Die tote Stadt

An der Bayerischen Staatsoper kann man gut Rising Stars entdecken, man muss nur auf die Darsteller kleinerer Rollen achten, die häufig Mitglieder des Opernstudios sind. Wenn man bedenkt, dass von jährlich 800 Bewerbern nur drei bis vier in diesen Kreis aufgenommen werden, wird klar, welche handverlesenen Hoffnungsträger hier ihre erste Bühnenerfahrung sammeln. So waren auch die außerordentlichen Qualitäten des 1988 in Augsburg geborenen Johannes Kammler nicht zu überhören, der von 2015 bis 2017 dem Opernstudio und dann noch eine Spielzeit lang dem Ensemble der Bayerischen Staatsoper angehörte und 2018 an die Stuttgarter Oper wechselte.

Er ist der Sohn von Reinhard Kammler, dem Gründer und langjährigen Leiter der Augsburger Domsingknaben. In diesem dem Chorgesang geweihten Umfeld erhielt er seine erste musikalische Ausbildung. Es folgten Gesangsstudien in Freiburg im Breisgau, in Toronto und an der Guildhall School of Music in London. Schon bald gaben ihm auch die Konzerte seines Vaters die Möglichkeit, sich solistisch zu erproben. Sogar vor dem bekanntermaßen musikverständigen Papst Benedikt XVI wirkte er schon als Solist bei einem Konzert in der Sixtinischen Kapelle mit.

Weihnachstoratorium – Kantate I: Arie „Großer Herr, o starker König“ (Augsburger Domsingknaben, Johannes Kammler, Bass) Sixtinische Kapelle, 2010

Die Zeit an der Bayerischen Staatsoper legte eine gute Grundlage für Johannes Kammlers Karrierestart, doch schon bald verließ er dieses Haus. Wie er mir sagte, war er enttäuscht, dass den männlichen Ensemblemitgliedern kaum interessante Rollen angeboten wurden. In dieser Hinsicht konnte ihm das Staatstheater Stuttgart weit mehr bieten und er stand dort ziemlich schnell als Dottor Malatesta in Don Pasquale, Marcello in La Bohème, Guglielmo in Così fan tutte und Graf Almaviva in Figaros Hochzeit auf der Bühne. Mehr wäre noch gegangen, wenn ihm Covid keinen Strich durch die Rechnung gemacht hätte. So konnte sein Debüt als Papageno erst mit Verzögerung erfolgen, doch nun ist der Spielbetrieb wieder in Gang gekommen und er wird in dieser Spielzeit noch als Don Giovanni und als Figaro im Barbier von Sevilla debütieren. Auch Rolando Villazón ließ es sich nicht nehmen, ihn in seiner Serie „Stars von morgen“ einem breiten Fernsehpublikum vorzustellen.

Johannes Kammler bei „Stars von morgen“ (2019): An Schwager Kronos (Schubert)

Dass er sich hier auch als Interpret eines klassischen Liedes präsentiert, zeigt, wie viel ihm diese Musikgattung bedeutet und wie fesselnd er alle Möglichkeiten der Interpretationskunst einzusetzen versteht. Er nutzt sein breites Spektrum an Dynamik und Klangfarben für die nötigen Kontraste zwischen herber Dramatik und einschmeichelnd klaren Kantilenen und bringt den Text und seine Bedeutung immer verständlich zum Ausdruck. Zweimal war ich bei seinen Liederabenden im Publikum und kann ihn gar nicht genug dafür loben, dass er jedem Lied einen eigenen Charakter gibt und damit eine nicht nachlassende Spannung garantiert. Es gibt viele Beispiele in YouTube, die das belegen, und auch immer wieder Möglichkeiten, das im Konzertsaal zu erleben.

Auch der Tätigkeit als Oratoriensänger bleibt er treu. Als Solist in Haydns Schöpfung war er 2017 unter Thomas Hengelbrock in der Elbphilharmonie zu erleben, ebenso zählen Bachs Passionen zu seinem regelmäßig gepflegten Repertoire. Szenische Umsetzungen von Oratorien bieten heute auch die Möglichkeit eines Brückenschlags zwischen Oper und Konzertrepertoire. So wirkte er kürzlich an der Holländischen Nationaloper Amsterdam an einer Bühnenadaptation von Haydns Missa in tempore belli mit.

Missa in tempore belli: „Qui tollis“ by Johannes Kammler – Dutch National Opera, 2021

Wie charakterisiert man nun einen jungen Künstler mit vielfältigen Entwicklungsmöglichkeiten, ohne ihn in eine zu enge Schublade zu stecken? Der Begriff Kavaliersbariton kann hier vielleicht eine Richtung andeuten, ohne eine Festlegung zu treffen. Don Giovanni, den er demnächst in Stuttgart darstellen wird, ist z.B. mit diesem Etikett versehen, ebenso Eugen Onegin und Mandryka in Arabella. Das ist m. E. Repertoire, das er sich gut erschließen kann. Diese Charaktere müssen ein elegantes Timbre haben und ein einschmeichelndes Legato singen, aber auch dramatisch auftrumpfen können, ohne die Gunst der Damen aufs Spiel zu setzen. Auf diesem Weg sehe ich Johannes Kammler gut unterwegs und seine Mitwirkung an der konzertanten Aufführung von Arrigo Boitos hochinteressantem Opernfragment Nerone bei den Bregenzer Festspielen 2021 bestärkt mich darin, an seine besonderen Qualitäten als junger Kavalier zu glauben.

Arrigo Boito / Nerone / Duett Rubria, Fanuèl / Alessandra Volpe, Johannes Kammler, Ltg. Dirk Kaftan, Bregenzer Festspiele Juli 2021

Weiterführende Information:

Biografisch sortierte Playlist in Youtube

Offizielle Webseite

Johannes Kammler in Wikipedia

Lorenz Kerscher, 4. November 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Lorenz Kerscher, Jahrgang 1950, in Penzberg südlich von München lebend, ist von Jugend an Klassikliebhaber und gab das auch während seiner beruflichen Laufbahn als Biochemiker niemals auf. Gerne recherchiert er in den Internetmedien nach unentdeckten Juwelen und wirkt als Autor in Wikipedia an Künstlerporträts mit.

Dr. Lorenz Kerscher

„‘Musik ist Beziehungssache‘, so lautet mein Credo. Deshalb bin ich auch als Chorsänger aktiv und treffe mich gerne mit Freunden zur Hausmusik. Eine neue Dimension der Gemeinsamkeit eröffnet sich durch die Präsenz vieler, vor allem junger Künstler im Internet, wo man Interessantes über ihre Entwicklung erfährt, Anregungen zur Entdeckung von musikalischem Neuland bekommt und auch in persönlichen Kontakt treten kann. Man ist dann kein Fremder mehr, wenn man ihnen als Autogrammjäger begegnet oder sie sogar bei einem Konzertbesuch im Publikum trifft. Das ist eine schöne Basis, um mit Begeisterung die Karrieren vielversprechender Nachwuchskünstler mitzuerleben und bei Gelegenheit auch durch Publikationen zu unterstützen.“

Rising Stars 18: Federica Lombardi

Rising Stars 17: Lucienne Renaudin Vary – die mit der Trompete tanzt

 

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