Foto: Nikola Hillebrand © Guido Werner
Die Entwicklung und Karriere vielversprechender NachwuchskünstlerInnen übt eine unvergleichliche Faszination aus. Es lohnt sich dabei zu sein, wenn herausragende Talente die Leiter Stufe um Stufe hochsteigen, sich weiterentwickeln und ihr Publikum immer wieder von neuem mit Sternstunden überraschen. Wir stellen Ihnen bei Klassik-begeistert jeden zweiten Donnerstag diese Rising Stars vor: junge SängerInnen, DirigentInnen und MusikerInnen mit sehr großen Begabungen, außergewöhnlichem Potenzial und ganz viel Herzblut sowie Charisma.
von Dr. Lorenz Kerscher
„Spiel’ ich die Unschuld vom Lande“, so singt in der Fledermaus die Adele, die gerne als das Paradebeispiel einer Soubrettenrolle betrachtet wird. Und als man beim Silvesterkonzert 2018 an der Semperoper Dresden diese berühmteste aller Operetten mit den Stars Jonas Kaufmann, Rachel Willis-Sørensen und Elisabeth Kulman spielte, musste natürlich auch die Adele ideal besetzt sein. Die Zuschauer des ZDF, in dem diese halbkonzertante Aufführung übertragen wurde, waren zweifellos überrascht, als eine weitgehend unbekannte, doch bildschöne junge Frau, gerade 25 Jahre alt, dem populären Jonas Kaufmann in jeder Hinsicht auf Augenhöhe begegnete. Sie war dem beliebten Startenor nicht nur an Körpergröße, sondern auch an Gesangskunst ebenbürtig.
https://youtu.be/JyfcicGvkWU ( Video einbinden )
Jonas Kaufmann, Nikola Hillebrand – Johann Strauß II: Die Fledermaus
Ihr Name, Nikola Hillebrand, war mir nur zufällig bekannt, weil ein nahe Mannheim lebender Freund sie mir kurz vorher als vielversprechendes Nachwuchstalent am dortigen Nationaltheater geschildert hatte. Wie Recht er hatte, sah ich also zum ersten Mal am Silvesterabend 2018 im Fernsehen. Schon kurz darauf gab es, wenn auch wieder nur online, ein Wiedersehen, als ich im Jan. 2019 das Finale des von Thomas Quasthoff initiierten Heidelberger Wettbewerbs „Das Lied“ ansah. Ich wollte vor allem Zeuge eines weiteren Erfolgs von Konstantin Krimmel werden, doch dann war es Nikola Hillebrand, die ihm den 1. Preis wegschnappte. Sie glänzt also nicht nur auf der Opernbühne als Soubrette, Koloratur- und Belcantosopran, sondern gestaltet auch im klassischen Lied ein vielfältiges Repertoire in feinen Nuancen und vielfältigen Stimmungen. Als besonderer Pluspunkt kommt noch ihre für eine Sopranstimme ganz außergewöhnliche Textverständlichkeit hinzu.
DAS LIED 2019 Finale | Nikola Hillebrand & Alexander Fleischer
Nikola Hillebrand wurde 1993 geboren und wuchs in der Gemeinde Berg am Starnberger See auf. Schon als Fünfjährige begann sie mit Ballettunterricht, als Heranwachsende spielte sie Querflöte und tat es ihrer mit Begeisterung singenden Mutter gleich. Bei Schulkonzerten wirkte sie im Chor und auch als Gesangssolistin mit. Ab dem Alter von 17 Jahren studierte sie als Jungstudentin und nach ihren Abitur regulär bei Fenna Kügel-Seifried an der an der Münchner Hochschule für Musik und Theater. Als 18-Jährige sang sie bei der Trauerfeier des als Loriot bekannten und geliebten Vicco von Bülow; es waren überwiegend fröhliche Lieder, wie er sie mochte. Schon seit 2013 gastierte sie auf Vermittlung ihrer Agentur am Theater Bonn und stellte dort die Belinda in Purcells Dido and Aeneas, die Marzelline in Fidelio und die Papagena in der Zauberflöte dar. 2015 debütierte beim Glyndebourne Festival als Blondchen (Die Entführung aus dem Serail) und im Folgejahr als Barbarina (Le nozze di Figaro).
Von 2016 bis 2020 war sie Ensemblemitglied des Nationaltheaters Mannheim und konnte schon dort als Adele die Unschuld vom Lande spielen, als Königin der Nacht glänzen und sich mit einem vielseitigen Repertoire bewähren, zu dem auch die Sophie (Der Rosenkavalier), Despina (Così fan tutte), Poppea (L’incoronazione di Poppea) und Gilda (Rigoletto) zählten. Seit der Spielzeit 2020/21 gehört sie dem Ensemble der Semperoper Dresden an und übernahm dort nach ihrem Einstand als Königin der Nacht diverse Rollen des lyrischen Sopranfachs wie die Konstanze (Entführung aus dem Serail), Pamina (Zauberflöte), Musetta (La Bohème), Gretel (Hänsel und Gretel) und Baronin Freimann (Der Wildschütz).
HUMPERDINCK | HÄNSEL UND GRETEL, Brüderchen komm’ tanz’ mit mir | Nikola Hillebrand und Kate Lindsey in Grafenegg, Dezember 2021
Live erleben konnte ich Nikola Hillebrand im Juli 2022 als Mitwirkende an einem Abend mit den Liebesliederwalzern von Johannes Brahms. Dabei bot sie gemeinsam mit Hagar Sharvit, Julian Prégardien und Johannes Kammler eine sehr ansprechende Ensembleleistung. So präsentiert sie sich nicht nur im Wettbewerb, sondern auch bei Anlässen wie dem Leeds Lieder Festival als erstklassige Liedinterpretin. Ihre bislang eher leichte Stimme kann sie in diesem Genre behutsam und ohne Risiko weiterentwickeln. Und doch bekennt sie, dass ihre große Leidenschaft der Bühne gehört, wo sie nicht nur mit makellosem Gesang, sondern auch mit sympathischer Ausstrahlung punkten kann. Ein Stück weit wird ihr die „Unschuld vom Lande“ auch weiterhin gut zu Gesicht stehen, was sie aber gewiss nicht daran hindern wird, auch mit ernsthaften Charakteren ihres Fachs zu überzeugen. Ein Meilenstein in dieser Richtung ist zweifellos die Zdenka in Arabella, die sie 2021 am Theater Bonn und 2022 am Opernhaus Zürich darstellte. Diese psychologisch sehr anspruchsvolle Rolle ist ein gutes Gesellenstück, auf dem zukünftige Meisterschaft aufbauen kann!
https://youtu.be/UfB__1lhNFY ( Video einbinden )
Sonntag 1. Mai 2022, Nikola Hillebrand und Joseph Middleton beim Leeds Lieder Festival
Weiterführende Information:
Biografisch sortierte Playlist in Youtube
Nikola Hillebrand in Wikipedia
Dr. Lorenz Kerscher, 20. Oktober 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Lorenz Kerscher, Jahrgang 1950, in Penzberg südlich von München lebend, ist von Jugend an Klassikliebhaber und gab das auch während seiner beruflichen Laufbahn als Biochemiker niemals auf. Gerne recherchiert er in den Internetmedien nach unentdeckten Juwelen und wirkt als Autor in Wikipedia an Künstlerporträts mit.
Dr. Lorenz Kerscher„Musik ist Beziehungssache,“ so lautet mein Credo. Deshalb bin ich auch als Chorsänger aktiv und treffe mich gerne mit Freunden zur Hausmusik. Eine neue Dimension der Gemeinsamkeit eröffnet sich durch die Präsenz vieler, vor allem junger Künstler im Internet, wo man Interessantes über ihre Entwicklung erfährt, Anregungen zur Entdeckung von musikalischem Neuland bekommt und auch in persönlichen Kontakt treten kann. Man ist dann kein Fremder mehr, wenn man ihnen als Autogrammjäger begegnet oder sie sogar bei einem Konzertbesuch im Publikum trifft. Das ist eine schöne Basis, um mit Begeisterung die Karrieren vielversprechender Nachwuchskünstler mitzuerleben und bei Gelegenheit auch durch Publikationen zu unterstützen.“
Rising Stars 31: Serena Sáenz, Sopran – die mit den Koloraturen tanzt klassik-begeistert.de