Nombulelo Yende gewann den 1. Preis Frauenstimmen @Moniuszkocompetition Polen – Casta diva von Bellini
Die Entwicklung und Karriere vielversprechender NachwuchskünstlerInnen übt eine unvergleichliche Faszination aus. Es lohnt sich dabei zu sein, wenn herausragende Talente die Leiter Stufe um Stufe hochsteigen, sich weiterentwickeln und ihr Publikum immer wieder von neuem mit Sternstunden überraschen. Wir stellen Ihnen bei Klassik-begeistert jeden zweiten Donnerstag diese Rising Stars vor: junge SängerInnen, DirigentInnen und MusikerInnen mit sehr großen Begabungen, außergewöhnlichem Potenzial und ganz viel Herzblut sowie Charisma.
von Dr. Lorenz Kerscher
Der Name Yende dürfte wohl jedem Opernfreund schon begegnet sein, denn die 1985 in Südafrika geborene Sopranistin Pretty Yende ist längst ein Weltstar und zählt zur Stammbesetzung der bedeutendsten Opernhäuser der Welt. Von ihr kenn man die anrührende Geschichte, dass sie, aus einem südafrikanischen Township stammend, zufällig im Werbespot einer Fluggesellschaft das Blumenduett aus Lakmé hörte und spontan den Wunsch entwickelte, genau diese Art von Gesang zu studieren. Vorher hatte sie lediglich unter Anleitung ihrer Tante bei der Gottesdienstgestaltung mitgewirkt. Klassische Musik spielte in dem Milieu, dem sie entstammte, bis dato keine Rolle. Doch mit Pretty Yendes vor allem auf das Belcantofach fokussierter Weltkarriere änderte sich das schlagartig.
Die 1991 geborene kleine Schwester Nombulelo Yende trat also in die Fußstapfen eines sehr ermutigenden Vorbilds. Auch sie sang im Gottesdienst, nach eigenen Angaben ab dem Alter von vier Jahren. Sie besuchte die High School, war zunächst nicht sonderlich von klassischer Musik angetan, liebäugelte mit einem Medizinstudium und landete dann doch an der Opernschule der Universität von Kapstadt. Schon während ihres Studiums sammelte sie erste Bühnenerfahrung an verschiedenen Bühnen dieser Stadt, u.a. als Giulietta (I Capuleti e i Montecchi), Serpina (La serva padrona), Carolina (Il matrimonio segreto) und Fiordiligi (Così fan tutte).
Mit herkömmlicher Suchmaschinenrecherche ist derzeit wenig über sie in Erfahrung zu bringen, sie hat keine Homepage und wird offenbar auch noch von keiner Agentur vertreten. In Facebook und Instagram hat sie Profile, in denen man Fotos und Videos von ihren Auftritten und auch Wettbewerbserfolgen findet. So konnte sie 2019 beim Internationalen Gesangswettbewerb Neue Stimmen der Bertelsmannstiftung in Gütersloh 2019 den Publikumspreis erringen und 2022 beim Stanisław Moniuszko Gesangswettbewerb in Warschau den 1. Preis Frauenstimmen und den Publikumspreis mit nach Hause nehmen. Die besondere Herausforderung, Lieder und Arien von Moniuszko in polnischer Sprache zu singen, hat sie also bestens bewältigt. Auch die Finalteilnahme bei BBC Cardiff Singer of the World 2023 kann sie als großen Erfolg verbuchen.
Nombulelo Yende – Tatyanas Briefszene aus Eugen Onegin (CSOTW, 18. Juni 2023)
Was die trockene Internetrecherche nicht liefert, erfährt man per Video in YouTube. Da erlebt man im Interview eine sehr aufgeweckte und redegewandte junge Frau, die im Ausland auf bessere Entwicklungschancen hoffte und sich deshalb u.a. in Deutschland beim Gesangswettbewerb Neue Stimmen bewarb. Und schon nach den beiden Vorrunden sprach sie Jurymitglied Bernd Loebe, Intendant der Oper Frankfurt, an und lud sie in das Opernstudio seines Hauses ein. Reisebeschränkungen aufgrund von Corona erlaubten ihr nicht, schon 2020 dieses Angebot anzunehmen, doch ab der Spielzeit 2021/22 konnte sie an diesem erstklassige Anleitung bietendem Programm teilnehmen. Dabei entwickelte sie sich zur Darstellerin großer Rollen wie Micaëla in Carmen und Tatjana in Eugen Onegin. Ab der Spielzeit 2024/25 ist sie Ensemblemitglied der Oper Frankfurt. Sie wird dort bald als Gräfin in Figaros Hochzeit zu erleben sein und als Nastasia in Tchaikowskis Zauberin in die Fußstapfen von Asmik Grigorian treten, die diese Rolle in der Premierenbesetzung innehatte.
Bernd Loebe hat neben seinen Aufgaben in Frankfurt ab 2018 auch die Intendanz der Tiroler Festspiele Erl übernommen, die er nun (ich sage leider) an Jonas Kaufmann übergeben muss, weil die Sponsoren der Verlockung des bekannteren Namens nicht widerstehen konnten. Loebe hat neben dem standorttypischen Wagner-Programm ein hochinteressantes Kaleidoskop weniger geläufiger Werke angeboten. Liebend gerne habe ich diese Möglichkeiten genutzt, um meinen Horizont zu erweitern, und dabei auch Nombulelo Yende live erlebt. So überzeugte sie 2023 in Rimski-Korsakovs Schneeflöckchen als Kupava, die lebenstüchtige Gegenspielerin des zarten Märchenwesens, das dahinschmelzen muss, sobald es die Liebe erfährt. Und 2024 konnte ich sie sehr beeindruckend als Maria in der weiblichen Hauptrolle von Tchaikowskis verstörend grausamem Mazeppa erleben. Mit dieser überaus anspruchsvollen Aufgabe hat sie sich, so meine ich, ihren Ritterschlag als Rising Star verdient.
NEUE STIMMEN 2019 – Finale: Nombulelo Yende singt „E Susanna non vien…/Dove sono i bei momenti“
In Figaros Hochzeit ist die Gräfin genau die passende Rolle für Nombulelo Yende, während ihre erfolgreiche ältere Schwester als Susanna begeistert und sich als eine ideale Interpretin von Belcantorollen einen Namen gemacht hat. In Nombulelos Repertoire zeichnet sich mit den russischen Partien ein ganz anderer Schwerpunkt ab. Und das funktioniert sehr gut, weil die substanzreiche Stimme bestens zur schwerblütigen Leidenschaft dieser im Zwiespalt lebenden und leidenden Heldinnen passt. Das Timbre ist eher dunkel, die tiefe Lage bildet ein beeindruckendes Fundament und in alle Registern hat sie gesunde Reserven. Im Wechselspiel zwischen lyrischer Zartheit und dramatischem Auftrumpfen gelingen ihr bewegende Rollenporträts, und obwohl ihre Statur nicht der im Regietheater oftmals gewünschten singenden Turnerin entspricht, zieht sie mit warmherziger Bühnenpräsenz die Betrachter in ihren Bann.
Für eine in die Ethnie der Zulu hineingeborene junge Frau ist es gewiss eine außergewöhnliche Entwicklung, auf bedeutenden Bühnen des deutschsprachigen Raums große Rollen in russischer Sprache zu bewältigen und damit ein anspruchsvolles Publikum wie auch Rezensenten zu begeistern. Sie folgt dabei keinen ausgetretenen Pfaden und segelt mit anderem Repertoire auch weit abseits vom Kielwasser ihrer erfolgreichen älteren Schwester. An der Oper Frankfurt hat ihr der weitblickende Intendant Bernd Loebe die Chance eröffnet, sich selbst zu erfinden. Und nun kann man dabei zusehen, wie ihr das gelingt.
Dr. Lorenz Kerscher, 22. August 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Weiterführende Information:
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