Rising Stars 47: Jonathan Tetelman, Tenor – sein Weg führt direkt nach oben

Rising Stars 47: Jonathan Tetelman, Tenor – sein Weg führt direkt nach oben

 Jonathan Tetelman © Ben Wolf

Die Entwicklung und Karriere vielversprechender NachwuchskünstlerInnen übt eine unvergleichliche Faszination aus. Es lohnt sich dabei zu sein, wenn herausragende Talente die Leiter Stufe um Stufe hochsteigen, sich weiterentwickeln und ihr Publikum immer wieder von neuem mit Sternstunden überraschen. Wir stellen Ihnen bei Klassik-begeistert jeden zweiten Donnerstag diese Rising Stars vor: junge SängerInnen, DirigentInnen und MusikerInnen mit sehr großen Begabungen, außergewöhnlichem Potenzial und ganz viel Herzblut sowie Charisma.

von Dr. Lorenz Kerscher

Erstaunlich viele unter den namhaften Tenören sind lateinamerikanischer Herkunft. Man kann also davon ausgehen, dass vielen Männern zwischen Niederkalifornien und Feuerland ein besonderes Talent für dieses Stimmfach in die Wiege gelegt ist. Allerdings kann sich diese Veranlagung in großen Teilen der Bevölkerung, die unter drückender Armut leben, kaum entwickeln. Wer nicht gerade reiche Eltern hat, braucht also ein unwahrscheinliches Glück, um sich zum Opernstar zu entwickeln.

So war es für den 1988 in Chile geborenen Jonathan Tetelman richtungweisend, dass er im Alter von sieben Monaten von einem amerikanischen Ehepaar adoptiert wurde und in Princeton im US-Bundesstaat New Jersey aufwachsen konnte. Da fiel schon im Kindesalter seine schöne Stimme auf und wurde an der American Boychoir School of Music in Princeton gefördert. Er studierte dann an der Manhattan School of Music in New York als Bariton bis zu seinem Bachelorabschluss und wechselte erst beim anschließenden Studium am Mannes College of Music ins Tenorfach.

Wie es weitergehen sollte, war ihm nicht sofort klar. Zunächst verdiente er seinen Lebensunterhalt drei Jahre lang als DJ in Diskotheken und Clubs von Manhattan, während sich immerhin einige Wettbewerbserfolge einstellten. Der Durchbruch zur internationalen Karriere kam 2018, als er beim Tanglewood Music Festival als Rodolfo in La Bohème debütierte. Piotr Beczała hatte diese Rolle kurzfristig abgesagt und das Publikum versprach sich zunächst nicht allzu viel von dem unbekannten Namen, der nun auf der Besetzungsliste stand. Doch am Ende nahmen die Besucher die Gewissheit mit nach Hause, dass ein neuer Star geboren war. Und so stand er ein Jahr später in derselben Rolle auch auf der Bühne der Komischen Oper Berlin.

La Bohème, Sono andati? Fingevo di dormire / Nadja Mchantaf & Jonathan Tetelman / Berlin 2019

Mit dem Rodolfo, dem Herzog von Mantua in Rigoletto oder auch dem Alfredo in La traviata verkörperte er am Anfang seiner Karriere lyrische Partien, machte sich jedoch sehr schnell auch als Tenore spinto, d.h. im jugendlich-dramatischen Fach bemerkbar, etwa als Mario Cavaradossi in Tosca, Canio in Leoncavallos Pagliacci und Werther in Massenets gleichnamiger Oper. In kürzester Zeit stieg er zum internationalen Star auf und begeisterte das Publikum bedeutender Häuser wie des Londoner Royal Opera House, der Dresdner Semperoper, des Gran Teatre del Liceu Barcelona, der Deutschen Oper Berlin, der Oper Frankfurt am Main und zahlreicher anderer Bühnen in Europa, den USA und Lateinamerika. Gerne wählte ihn auch Mezzosopranstar Elīna Garanča als Partner für Galakonzerte.

Elina Garanca, Jonathan Tetelman: ‚Va’, crudele‘ (Bellini: Norma)

Da er auch einen guten Don José abgibt, nahm ihn Elīna Garanča 2021 auf ihre Konzerttournee in Osteuropa mit, die der Oper Carmen gewidmet war. Auch andere Diven wie etwas Angela Gheorghiu und Kristīne Opolais treten, wie durch Videoaufnahmen in YouTube bezeugt wird, gerne mit ihm vor das Publikum. So ist er häufiger Gast bei Galakonzerten und gelegentlich auch Solist in Werken der Oratorienliteratur. Natürlich hat ihn auch die Schallplattenindustrie nicht übersehen. 2021 nahm ihn die Deutsche Grammophon exklusiv unter Vertrag und veröffentlichte im Jahr darauf ein Debütalbum mit Opernarien von Verdi und weiterem italienischen und französischen Repertoire. Eine zweite CD mit Fokus auf Puccini ist noch für dieses Jahr angekündigt.

https://www.youtube.com/watch?v=q7CGkDmHGVQ      (Video auf YouTube) Jonathan Tetelman, Prague Philharmonia, Carlo Rizzi – Puccini: Tosca, SC 69: E lucevan le stelle

Doch die schnell wachsende Aufmerksamkeit findet er vor allem durch die Überzeugungskraft seines Wirkens auf der Bühne, durch die er auf den Wunschzetteln der bedeutendsten Opernhäuser inzwischen ganz oben rangiert. Dass er schon innerhalb weniger Jahre mit publikumswirksamen jugendlich-dramatischen Rollen punkten konnte, verdankt er, so meine ich, auch dem baritonalen Fundament seiner Stimme. Dieses verleiht das nötige Gewicht, um den Helden etwa von Verdi und Puccini Glaubwürdigkeit zu verleihen. Und ebenso kann er am oberen Ende des Klangspektrums die Strahlkraft der Spitzentöne zur Geltung bringen. Mit diesen Tugenden beeindruckte er kürzlich auch bei seinem Debüt bei den Salzburger Festspielen als Macduff in Verdis Macbeth. Und in der nun eröffneten Spielzeit steht sein Debüt an der Metropolitan Opera an: er wird den Ruggero in Puccinis La rondine und kurz darauf den Pinkerton in Madama Butterfly singen. Das Attribut „Rising Star“ wird er wohl bald hinter sich lassen und allen Opernfreunden dieser Welt ein Begriff werden. Es wird sich sicher lohnen, seinen künftigen Weg aufmerksam zu beobachten!

Macbeth 2023 – Oh figli miei… Ah, la paterna mano (Tetelman)

Dr. Lorenz Kerscher, 28. September 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Weiterführende Information:

Videos auf dem Youtube-Kanal von Jonathan Tetelman

Offizielle Webseite

Agenturprofil bei Centre Stage Artist Management

Biografie auf der Webseite der Deutschen Grammophon

Jonathan Tetelman in Wikipedia

Dr. Lorenz Kerscher
„Musik ist Beziehungssache,“ so lautet mein Credo. Deshalb bin ich auch als Chorsänger aktiv und treffe mich gerne mit Freunden zur Hausmusik. Eine neue Dimension der Gemeinsamkeit eröffnet sich durch die Präsenz vieler, vor allem junger Künstler im Internet, wo man Interessantes über ihre Entwicklung erfährt, Anregungen zur Entdeckung von musikalischem Neuland bekommt und auch in persönlichen Kontakt treten kann. Man ist dann kein Fremder mehr, wenn man ihnen als Autogrammjäger begegnet oder sie sogar bei einem Konzertbesuch im Publikum trifft. Das ist eine schöne Basis, um mit Begeisterung die Karrieren vielversprechender Nachwuchskünstler mitzuerleben und bei Gelegenheit auch durch Publikationen zu unterstützen.“

Rising Stars 46: Patricia Nolz, Mezzosopran klassik-begeistert.de, 17. August 2023

Rising Stars 45: Ana de la Vega, Flöte – ein Naturkind von der Farm erobert die Konzertsäle

Rising Stars 44: Cristina Gómez Godoy, Oboe klassik-begeistert.de, 22. Juni 2023

Ein Gedanke zu „Rising Stars 47: Jonathan Tetelman, Tenor – sein Weg führt direkt nach oben“

  1. Seien sie gegrüßt, lieber Kollege Dr. Kerscher.

    Bariton? Da schau her. Dass der Tetelman Mal so angefangen hat, ist mir neu gewesen. Hoffentlich keine schlechten Vorzeichen. Bleibt nämlich zu hoffen, dass er auch wirklich ein „echter“ Tenor ist und sich nicht die Stimme ruiniert. Um die wär’s wohl wirklich schade, wenn ich so die Tosca-Vorstellung aus dem Theater an der Wien in Erinnerung rufe.

    Die hat Hoffnung bereitet, dass nach Piotr Beczała nicht unbedingt Schluss sein muss. Dass es durchaus noch andere große Stimmen gibt, die da im Anmarsch sind. Denn, um ehrlich zu sein: Wer gibt den heutzutage sonst noch einen ordentlichen Cavaradossi ab? Außer Beczała, der nicht mehr der Jüngste ist, fallen mir da wenige ein. Grigolo vielleicht, der in Wien nun die kommende Serie singen soll. Den hat ich einmal in Werther erlebt. Ein eschöne Stimme, klar, aber ob sie auch die Fülle und Wärme eines Piotr Beczała hat – ich wage es zu bezweifeln.

    Tetelman hat einen großartigen Eindruck hinterlassen. Zumindest vor den TV Schirmen. Live war ich nicht dabei. Daher ist das alles natürlich mit Vorsicht zu genießen: Live is live, TV is TV. Das sind schon noch zwei paar Schuhe. Aber auch die Kollegen, die Vorort waren (Herbert Hiess), haben voll des Lobes berichtet, wenn ich nicht irre. Naja, bald kann ich mir eine eigene Meinung bilden. Diesen Cavaradossi an der Wiener Staatsoper werde ich sicher nicht versäumen.

    Jürgen Pathy

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