Rising Stars 57: Anastasia Kobekina – der Wille zur Eigenständigkeit bringt sie voran

Rising Stars 57: Anastasia Kobekina, Violoncello  klassik-begeistert.de, 27. Februar 2025

Anastasia Kobekina © Lusine Pepanyan

Die Entwicklung und Karriere vielversprechender NachwuchskünstlerInnen übt eine unvergleichliche Faszination aus. Es lohnt sich dabei zu sein, wenn herausragende Talente die Leiter Stufe um Stufe hochsteigen, sich weiterentwickeln und ihr Publikum immer wieder von neuem mit Sternstunden überraschen. Wir stellen Ihnen bei Klassik-begeistert regelmäßig diese Rising Stars vor: junge SängerInnen, DirigentInnen und MusikerInnen mit sehr großen Begabungen, außergewöhnlichem Potenzial und ganz viel Herzblut sowie Charisma.

von Dr. Lorenz Kerscher

Auf die russische Cellistin Anastasia Kobekina wurde ich aufmerksam, als sie vor drei Jahren bei Beginn der russischen Invasion in der Ukraine demonstrativ mit der ukrainischen Pianistin Anna Fedorova Videos publizierte und Konzerte gab. Mich beindruckte dieses mutige Zeichen gegen Putins völkerrechtswidrigen Angriffskrieg, gegen den sie auch öffentlich Stellung nahm, wie auch das hervorragende Spiel der jungen Künstlerin, und ich verfolge seitdem mit Interesse ihre Entwicklung.

Anastasia Kobekina wurde 1994 in Jekaterinburg am Ural als einziges Kind eines Musikerehepaars geboren und von früher Kindheit an gefördert. Ab dem Alter von vier Jahren erhielt sie Cellounterricht, trat schon bald auch mit Orchester auf und begann mit 12 Jahren ihre Ausbildung am Moskauer Konservatorium. Von 2012 bis 2015 studierte sie mit einem Stipendium an der hessischen Kronberg Academy bei Frans Helmerson. Mit zahlreichen Wettbewerbserfolgen und Auftritten mit namhaften Musikern und Orchestern in bedeutenden Konzerthäusern reihte sie sich seither in die Spitzengruppe des Cellonachwuchses ein.

 

Eine vierteilige Fernsehreportage des WDR ist nun seit kurzem in der ARD-Mediathek verfügbar und bietet gute Gelegenheit, die junge Künstlerin näher kennenzulernen. Man sieht kurze Videoschnipsel von liebevollen Eltern, die mit dem kleinen Mädchen singen und Klavier spielen, auch von der ersten Cellostunde und von frühen Konzertauftritten. Doch dann wird schnell klar, dass hinter der geradlinigen Biografie der jungen Aufsteigerin vor allem eines steckt: harte Arbeit! Das zeigt sich zum Beispiel bei den Tonaufnahmen für ihr erstes mit Sony Classical produziertes Album „Venice“, das Anfang 2024 erschienen ist und für das sie inzwischen bei Opus Klassik als Nachwuchskünstlerin des Jahres ausgezeichnet wurde. Hier erlebt man eine junge Frau mit dem unbändigen Willen, ihr Bestes für eine eigenständige künstlerische Aussage zu geben. Das hat seinen Preis: ihrer Physiotherapeutin, die ihr mit manueller Therapie Entspannung verschafft, gesteht sie, dass ihr das Leben in dieser Phase wie ein große Welle erscheint, die sich auf sie stürzt.

Sehr nahe lässt Anastasia Kobekina in diesen Reportagen die laufende Kamera an sich heran. Neben der musikalischen Höchstleistung gilt es heute auch, Social Media Kanäle mit Bild- und Videomaterial zu bedienen, Reisen zu organisieren, Koffer ein- und auspacken, Bahn fahren, einchecken im Hotelzimmer. Das wertvolle Cello von Antonio Stradivari von 1698, das man ihr zur Verfügung gestellt hat, darf die zierliche junge Frau nicht unbeaufsichtigt im Hotelzimmer lassen, sondern muss es immer in einem massiven Koffer mit sich herumschleppen. Da sieht man sie oftmals auch erschöpft, doch sofort ist sie wieder konzentriert, um z.B. mit Paavo Järvi die bevorstehende Aufführung des Cellokonzerts von Dvořák beim Beethovenfest Bonn 2023 durchzusprechen.

Aufnahmen wie diese geben Anastasia Kobekinas Weggefährten Recht, die ihr eine unverwechselbare Individualität bescheinigen, mit der sie über ihre makellose Virtuosität hinaus mit jedem interpretierten Werk eine emotional packende Geschichte erzählt. Ansonsten zeigt sie ein zurückhaltendes und sehr ernsthaftes Naturell und möchte sich voll auf ihr Streben nach künstlerischer Vollkommenheit konzentrieren.

Doch ihre wichtigsten Unterstützer, wie der Generalmanager von Sony Classical, ihr Agent und ihre Social Media Betreuerin, halten ein erhebliches Maß an Glamour für notwendig, um die für eine Weltkarriere notwendige Aufmerksamkeit zu generieren. Da muss sie, die auch bei ihren Auftritten grundsätzliche flache Schuhe trägt, für das Photoshooting schon mal extreme High Heels tragen, mit denen sie kaum laufen kann, für Videoaufnahmen muss sie bei Regenwetter in einem wackligen Boot sitzen und mit den Händen in einem Seerosenteich plantschen.

In zahlreichen Interviews muss sie sich präsentieren und auf Empfängen mit vielen Leuten reden, auch wenn ihr gar nicht danach zu Mute ist. All das lässt sie wie ein notwendiges Übel über sich ergehen, sie versteht, dass man als Rising Star in der heutigen Zeit als Influencer in eigener Sache wie auch generell für klassische Musik aktiv sein muss. Doch ihre Seele kann sie nicht in all dieser Vordergründigkeit, sondern nur in ihrer Kunst zum Ausdruck bringen.

Belohnt wird dieser unermüdliche Einsatz mit interessanten Engagements, wie etwa kürzlich bei den BBC Proms, wo sie vor 6.000 Zuhörern mit Jakub Hrůša am Pult das Dvořák-Konzert spielte. Auch in Solokonzerten mit Klavierbegleitung kann man sie erleben, über Mitwirkung in Kammermusikensembles habe ich dagegen keine Belege gefunden. Um ihr Repertoire zu erweitern, studiert sie bei Kristin von der Goltz Barockcello.

So bestreitet sie, etwa mit den Cellosuiten von Bach, auch ganz alleine große Konzertabende. Als Tochter des Komponisten Wladimir Kobekin, dessen „Gagliarda“ mit Tamburinbegleitung sie auch gerne als Zugabe spielt, unterstützt sie natürlich auch zeitgenössische Musik. Demgegenüber bevorzugen die Veranstalter doch meist die beliebten Konzertwerke von Haydn bis Elgar, doch auch Shostakovitch und Kabalewski stehen in ihrem Auftrittskalender.

 

Man erlebt Anastasia Kobekina in ihrem gesamten Repertoire mit makelloser Technik, stilsicher und ausdrucksstark. Sehr überzeugend gelingt ihr in allen Interpretationen eine unverwechselbare persönliche Aussage. Die Musikindustrie hat den Ball angenommen und ist mit professioneller Werbung in die Offensive gegangen. Doch am Ende wird ihre künstlerische Leistung den Ausschlag geben, ob sie so hoch wie erhofft fliegen kann. Ohne Zweifel verfügt sie über ein herausragendes Potenzial, das ihr gehörig Auftrieb gibt!

Dr. Lorenz Kerscher, 27. Februar 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Weiterführende Information:

Offizielle Webseite

Anastasia Kobekina in Wikipedia

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