Absolut sehenswert

Romeo und Julia, Ballett von John Cranko, Stuttgarter Ballett  Arte, 14. Februar 2021

Romeo und Julia, Ballett von John Cranko, Stuttgarter Ballett
Arte, 14. Februar 2021

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von Dr. Ralf Wegner

John Crankos Romeo und Julia-Choreographie habe ich auf der Bühne in den letzten 10 Jahren fünfmal gesehen, in Berlin, Wien und München. Im Gegensatz zu John Neumeiers Romeo und Julia-Interpretation hatte sie bei mir keinen nachhaltigen Eindruck hinterlassen. Bei der jetzt auf Arte gezeigten Stuttgarter Produktion aus dem Jahre 2017 war das anders. Zum einen lag es am ausgezeichneten Ensemble des Stuttgarter Balletts, zum anderen an dem wunderschönen Bühnenbild von Jürgen Rose.

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Neuntes Bild: Marktplatz, Adhonay Soares da Silva (Benvolio) beim Drehsprung (Videostill Arte concerts)

Die Bühnenmitte trennte ein als Brücke dienender Säulengang, hinter dem gemalte Vorhänge ein spätmittelalterliches Stadtbild mit markantem Geschlechterturm oder auch den Blumengarten im Hause Capulet zeigen. Zudem dient dieser gedeckte Säulengang als Eingangstor zum und als Durchgang im Hause Capulet, als Julias Balkon oder als Dach des Capuletschen Mausoleums. Nur Pater Lorenzo lebt außerhalb der Stadtmauern. Der Bühnenprospekt zeigte eine Landschaft mit beeindruckender Stadtmauer, wie man sie heute noch in Ávila in Spanien sehen kann.

Romeo und Julia ist ein Stück für und mit Jugendlichen. Dem Jugendalter entwachsene Tänzer wirken nicht mehr so ganz glaubhaft, selbst wenn sie gut schauspielern können. Bei Elisa Badenes als Julia war das anders. Es gelang ihr überzeugend, das jungmädchenhaft Schüchterne, bald in strahlende Freude oder auch in tiefste Verzweiflung Übergehende aus- zudrücken; vor allem aber die Zwangsläufigkeit, mit der die erste Liebe, die keinen Raum außer für den Geliebten lässt, von innen, von der Seele her zu vermitteln. Ihr Partner David Moore vermochte das Ungestüme, auch Verletzliche der Rolle des Romeo zwar ausreichend zu schauspielern, aber nicht als unmittelbar erlebt zu gestalten. Tänzerisch war er aber über jeden Zweifel erhaben, vor allem als Partner in den choreographisch großartigen Pas de deux mit Elisa Badenes.

Robert Robinson war als Tybalt perfekt besetzt, Martí Fernández Paixà als Mercutio bot ihm allerdings nicht genügend Widerpart. Als bester männlicher Tänzer stach Adhonay Soares da Silva (Benvolio) ins Auge, nicht nur mit seinen fabelhaften Tours en l‘air im Pas de trois im 5. Bild vor dem Hause Capulet, sondern auch mit einem gewaltigen Drehsprung zu Beginn des 9. Bildes auf dem Marktplatz, der später als Schauplatz des berühmten Degenduells zwischen Romeo und Tybalt dient.

Das Stuttgarter Ballett konnte für die Rollen der Amme, des Pater Lorenzo sowie Julias Eltern auf erfahrene Tänzerinnen und Tänzer zurückgreifen. So beeindruckte vor allem Marcia Haydée als Julias Amme mit einer darstellerisch herausragenden Interpretation. Egon Madsens Pater Lorenzo schien mir nicht darstellerisch, sondern aus dramaturgischen Gründen zu reif für die Rolle. Jemand, der die zweite Lebenshälfte mit entsprechender Erfahrung bereits erreicht hat, lässt sich vermutlich, wie in dieser Choreographie gezeigt, nicht so leicht zu einer Schnelltrauung und zu einer Scheintodinszenierung instrumentalisieren. Das wäre eher bei einem jungen Priester glaubhaft.

Julias Schlafzimmer, Elisa Badenes (Julia) und Marcia Haydée (Julias Amme) (Videostill Arte concerts)

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Melinda Witham überzeugte mit ihrer gravitätischen Erscheinung als Julias Mutter. Warum sie sich allerdings mit überzogener Theatralik auf den toten Tybalt wirft und sich mit der Leiche hochheben und heraustragen lässt, erschließt sich dramaturgisch nicht. Nachteilig für den Handlungsverlauf ist auch der ausdauernde, eigentlich unmotivierte Lilientanz vor dem Bett der bereits scheintoten Julia, ebenso das überflüssige kurze Duell mit Paris neben der scheintoten Julia.

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Elisa Badenes (Julia), David Moore (Romeo), Egon Madsen (Pater Lorenzo), Marcia Haydée (Julias Amme) beim Schlussbeifall (Videostills Arte concert)

Die Aufführung ist noch bis zum 15.03.2021 bei Arte Concert abrufbar. Sie ist absolut sehenswert.

Dr. Ralf Wegner, 15. Februar 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Foto: Das Stuttgarter Ballett, Foto: Videostills Arte concert (c)

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