Foto: Vasily Petrenko © Mark McNulty
Unter der Leitung von Vasily Petrenko brilliert das Orchester aus London mit sehr attraktivem Programm in der Kölner Philharmonie.
Ralph Vaughan Williams (1872-1958) – Ouvertüre zu The Wasps
Edvard Grieg (1843-1907) – Klavierkonzert a-Moll op. 16
Sergei Prokofjew (1891-1953) – Romeo und Julia, Suite Nr. 2 op. 64b und Auszüge aus Suite Nr. 1 op. 64a
Royal Philharmonic Orchestra
Jan Lisiecki, Klavier
Vasily Petrenko, Dirigent
Kölner Philharmonie, 31. Januar 2023
von Brian Cooper, Bonn
Neulich, nach dem Kölner Konzert der Wiener Philharmoniker, rätselte ein Konzertfreund, warum die Musik von Ralph Vaughan Williams so gut wie gar nicht aufgeführt wird. Mal ehrlich, was kennen Sie von ihm? The Lark Ascending, natürlich. Fantasia on a Theme by Thomas Tallis, klar. Aber wie viele Sinfonien hat der Mann geschrieben, und wann haben Sie die zuletzt live gehört? Eben. Quod erat demonstrandum.
Nun hat es eine gewisse Tradition, dass Orchester aus fremden Ländern – und seit drei Jahren ist das Vereinigte Königreich leider, zu beiderseitigem Schaden, noch ein wenig fremder geworden – mitunter Kompositionen ihrer Landsleute aufs Programm setzen. Die amerikanischen Orchester tun dies besonders gern, und so hat man recht oft das Vergnügen, zum Einstieg in einen sinfonischen Abend so raffinierte und mitreißende Orchesterwerke wie Short Ride in a Fast Machine oder Lollapalooza von John Adams zu hören…
Aber ich schweife ab. RVW also. Von ihm gab’s gestern die Ouvertüre zu The Wasps, den Wespen also, und das ist so brillant komponiert, dass man gleich zu Beginn, bei den rasanten Trillern, meint, direkt unter einem Wespennest zu stehen. Ein witziges Stück, ein wenig Filmmusik, ein wenig Tom & Jerry, ein launiger Einstieg in den Abend, den das Royal Philharmonic Orchestra und sein Chef Vasily Petrenko gaben.
Und der wurde außerordentlich gut. Man merkte vom ersten Takt an, was da für ein Orchester auf der Bühne war. Welch grandioser und kultivierter Klang. O felix Londinium! Ihr habt zwar keinen besonders tollen Saal für Sinfonik (die Wigmore Hall, der wahrscheinlich beste und schönste Konzertsaal der Stadt, ist für Kammermusik konzipiert), dafür aber eine lange Reihe von Spitzenorchestern, die auch uns Festlandmenschen trotz Brexit – ein fürchterliches Wort – noch immer regelmäßig beehren: Das LSO kommt gefühlt alle zwei Monate irgendwohin in die Nähe, kommenden Monat sind sie mit Barbara Hannigan in Köln; das London Philharmonic und die Academy of St. Martin in the Fields kommen noch in dieser Spielzeit nach Köln; dann gibt es noch das BBC Symphony, das Philharmonia, das OAE, und selbst damit wäre die Liste längst nicht beendet.
Vor der Pause, also nach den Wespen, kam Jan Lisiecki auf die Bühne, und wie er Griegs Klavierkonzert spielte, fühlte ich mich sofort an die Aufnahme des jungen Krystian Zimerman unter Karajan erinnert. Es war etwas zügiger, ja. Aber hier wie dort wird die große Kadenz des Kopfsatzes ähnlich spannungsgeladen und mit ganz ausladender Geste dargeboten, dass es einem schier den Atem raubt.
Lisiecki spielte das Konzert in jeder Hinsicht souverän, beeindruckend kontrolliert, unglaublich zupackend an den lauten Stellen, sehr lyrisch hingegen in den leisen Passagen vor allem des Mittelsatzes. Er geht volles Risiko, wenn’s wild wird, und in Köln ging es immer gut. Wahnsinn. Chapeau.
Der Mittelsatz wurde als jene Ruheoase aufgefasst, die er auch ist. Hier wurden im Orchester herrliche Soli gespielt, etwa von Horn und Cello, und der kanadische Solist mit polnischen Wurzeln zeigte einmal mehr, zu wie vielen „Anschlagsschattierungen“ er fähig ist.
Der Flügel klang, wie so oft in Köln, prächtig, und das phänomenale Zusammenspiel zwischen Solist und Orchester brachte das Klavierkonzert zu einem überzeugenden Ende, das etliche Zuhörerinnen und Zuhörer schon zur Pause von ihren Sitzen holte. Der bemerkenswerte Künstler schenkte uns noch eine Chopin-Zugabe, und schon im ersten Takt fiel mir wieder ein, dass ich ihn ja noch in dieser Spielzeit mit einem reinen Chopin-Klavierabend im Abo habe. Große Vorfreude also.
Prokofjews Romeo und Julia wurde in Riesenbesetzung (inklusive Saxophon) transparent und virtuos gespielt. Die Hörnergruppe beeindruckte in den einschlägigen Passagen. Vasily Petrenko, nicht verwandt und nicht verschwägert mit Kirill, entschied sich für die zweite Suite sowie Teile aus der ersten. Insbesondere Romeo am Grabe Julias sowie Tybalts Tod werden lange in Erinnerung bleiben. Wenn diese Musik so gespielt wird wie gestern vom Royal Philharmonic, kann ich sie nicht oft genug hören.
Zwei Zugaben entließen das Publikum glücklich in den usseligen Kölner Abend. Zunächst Tea for Two, der von Schostakowitsch orchestrierte Youmans-Schlager (zur Orchestrierung gibt es eine witzige Geschichte, die man im Netz oder bei Krzysztof Meyer nachlesen kann, im achten Kapitel von dessen Schostakowitsch-Biografie). Danach, als Rausschmeißer, wurde fulminant Lezginka aus Chatschaturjans Ballett Gayaneh gegeben. Thank you, ladies and gentlemen!
Dr. Brian Cooper, 1. Februar 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Jan Lisiecki, Edward Gardner, London Philharmonic Orchestra, Elbphilharmonie, 20. November 2021
London Symphony Orchestra, Sir Simon Rattle, Dirigent Kölner Philharmonie, 7. Dezember 2022