Foto: Martin Lengemann (c)
Schwer zu verstehen ist die Tatsache, dass die Berliner Philharmonie bei einem solchen Spitzenkonzert nur gut zur Hälfte gefüllt ist. Sind die Berliner Musikliebhaber so verwöhnt, dass sie den Ausnahmecharakter dieses Abends nicht zu schätzen wissen?
Philharmonie Berlin, 14. November 2018
Gastspiel Sächsische Staatskapelle Dresden
Herbert Blomstedt Dirigent
Leif Ove Andsnes Klavier
Johannes Brahms, Konzert für Klavier und Orchester Nr.1 d-Moll
Symphonie Nr.1 c-Moll
von Peter Sommeregger
Das Spitzenorchester von der Elbe – die Sächsische Staatskapelle Dresden – ist in Berlin ein seltener, aber umso lieber gesehener Gast. Wenn das Konzert dann auch noch von seinem langjährigen Chef- und inzwischen Ehrendirigenten Herbert Blomstedt geleitet wird, sind die Erwartungen hoch gespannt.
Für das erste Klavierkonzert von Brahms hatten die Dresdner den norwegischen Pianisten Leif Ove Andsnes als Solisten mitgebracht. Eine gute Wahl, was sich in der souveränen Gestaltung des anspruchsvollen Klavierparts schnell zeigte. Das Werk, von Brahms erst unter gehörigen Geburtswehen vollendet, stellt höchste Anforderungen an das technische Können des Pianisten, zudem ist das Zusammenspiel mit dem Orchester in diesem Werk noch etwas diffiziler als in anderen Klavierkonzerten. Das ursprünglich als Symphonie konzipierte Stück hatte Brahms schon als 25-Jähriger begonnen, seine endgültige Gestalt fand es aber erst nach mehreren Umarbeitungen.
Nach einer ungewöhnlich langen Orchestereinleitung kommt endlich der Pianist zum Zug und demonstriert in dem fast einstündigen Werk nicht nur seine technische Meisterschaft, sondern auch optimale Harmonie mit dem Dirigenten und dem Orchester. Hier hört und fühlt jeder mit dem anderen und daraus entsteht eine bemerkenswert homogene Interpretation. Nach zwei schwergewichtigen Sätzen erscheint der Finalsatz erstaunlich leicht und spielerisch beschwingt und hinterlässt ein zu Recht begeistertes Publikum, bei dem sich Andsnes mit einem zugegebenen Nocturne von Chopin bedankt. Bemerkenswert die souveräne Art, in der Herbert Blomstedt allen Applaus auf den Solisten lenkt, ihm selbst stehend applaudiert und völlig uneitel hinter ihm zurück tritt.
Die 1. Symphonie von Johannes Brahms, oft ironisch als die zehnte Beethoven bezeichnet, sieht den inzwischen 91-jährigen Dirigenten auf der Höhe seiner Meisterschaft. Es ist ein Vergnügen, den schlanken, großen Mann kerzengerade am Pult zu beobachten. Ohne Partitur, und wie immer ohne Taktstock agiert er nicht als Dompteur seines Orchesters, er schreibt mit seinen ausdrucksvollen Händen förmlich die Musik in den Raum, entlockt der Staatskapelle mit ihren virtuosen Mitgliedern wunderbar vollendeten Wohlklang. Man meint das häufig aufgeführte Stück wieder ganz neu zu hören. Die von Beethoven begonnene Verlagerung der Gewichte auf den Finalsatz wird von Brahms schon in seiner ersten Symphonie meisterhaft angewandt. Das Werk endet in jubelndem C-Dur und löst eine beglückende Hochstimmung im Publikum aus.
Als der Jubel und die standing ovations kein Ende nehmen wollen, überraschen die Gäste mit einer unerwarteten Zugabe: Webers schwungvolle Oberon-Ouvertüre gibt den Dresdnern noch einmal Gelegenheit, ihre hohe Orchesterkultur unter Beweis zu stellen. Bescheiden wie gewohnt dankt der Dirigent, der inzwischen Kult-Status erreicht hat, und entlässt ein hoch gestimmtes Publikum.
Schwer zu verstehen ist die Tatsache, dass die Berliner Philharmonie bei einem solchen Spitzenkonzert nur gut zur Hälfte gefüllt ist. Sind die Berliner Musikliebhaber so verwöhnt, dass sie den Ausnahmecharakter dieses Abends nicht zu schätzen wissen?
Peter Sommeregger, Berlin 16. November 2018 für klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at