Schammis Klassikwelt 18: Wann geht der nächste Schwan?

Schammis Klassikwelt 18: Wann geht der nächste Schwan?  klassik-begeistert.de, 3. September 2023

Foto:  Leo Slezak als Otello mit Frances Alda als Desdemona: White Studio (Metropolitan Opera’s Archives)


Zum 150. Geburtstag von Leo Slezak

Wer war Leo Slezak? Vielen ist sein Name heute nicht mehr bekannt. Dabei war er einer der größten (nicht nur körperlich mit seinen ein Meter fünfundneunzig) deutschen Operntenöre anfangs des 20. Jahrhunderts. Aber in seinem Leben war er noch viel mehr: er war Filmschauspieler, Lied- und Schlagersänger, Buchautor.

Am 18. August feierten wir seinen 150. Geburtstag. Wie viele andere große Sänger und Musiker ist auch Leo Slezak in dem “Anno mirabilis” 1873 geboren.

 von Jean-Nico Schambourg

Als mährischer Junge wuchs Leo Slezak in Brünn in ärmlichen Verhältnissen auf und verdiente sein Geld mit vielen verschiedenen Berufen. So auch als Statist und Sänger im Aushilfschor an der dortigen Oper. Hier wurde der Gesangspädagoge und Bariton Adolf Robinson auf ihn aufmerksam und bildete seine Stimme aus.

1896 debütierte er in Brünn als Lohengrin. Schon 1898 schloss er sich der Berlin Hofoper an, wo er allerdings nur in kleineren Rollen eingesetzt wurde. Er löste sich aus dem Vertrag heraus und ging an das Stadttheater in Breslau, wo er die großen Tenorrollen zu singen bekam. 1901 berief Gustav Mahler ihn an die Wiener Hofoper. Er debütierte am 23. Januar 1901 als Arnold Melchthal in “Wilhelm Tell” von Gioachino Rossini, sang dann Radamès und Walther Stolzing. Nach diesen drei Vorstellungen engagierte Mahler ihn als festes Mitglied der Wiener Staatsoper, deren Mitglied er bis 1934 blieb, mit einer Unterbrechung zwischen 1912 und 1917.

Während diesen Jahren tätigte er viele erfolgreiche Gastspiele u.a. in Mailand, London und hauptsächlich New York (von 1908 bis 1912), wo er von William J. Henderson mit dem berühmten Tenor Jean de Reszke verglichen wurde, bei dem er sich Jahre vorher im italienischen Fach weitergebildet hatte. An der MET sang er unter anderem neben Lohengrin, Tannhäuser und Stolzing, auch Raoul und Jean de Leyde in den Meyerbeer Opern “Die Hugenotten” und “Der Prophet”. Vor allem aber erzielte der “Czech Giant”, wie er in den USA genannt wurde, große Erfolge als Otello in Verdis gleichnamiger Oper. Diesen sang er mehrmals unter der Leitung von Arturo Toscanini.

 Ab 1917 kehrte er wieder in das Ensemble der Wiener Staatsoper zurück, wo er 1934 seine letzte Opernvorstellung  sang: Otello.

 Er begann jetzt eine zweite sehr erfolgreiche Karriere als Filmschauspieler. Schon als seine stimmlichen Kräfte in den zwanziger Jahren nachließen, sang Slezak immer öfters Rollen in Operetten (Alfred in der “Fledermaus”, “Ritter Blaubart” von Offenbach, “Gasparone” von Millöcker) und Revuen. Auch übernahm er humorvolle Rollen in Tonfilmen, was, wie er selbst in seinem Buch “Rückfall” geschrieben hat, “nicht nur den Wert des Geldverdienens, sondern (…) hauptsächlich auf mein seelisches Wohlbefinden” sehr positiven Einfluss hatte. Durch seinen köstlichen Humor wurde er schnell zum Publikumsliebling.

 Slezak schrieb drei erfolgreiche, amüsante Bücher über sein Leben und seine Künstlerlaufbahn mit vielen Anekdoten aus seiner Sängerzeit (“Meine sämtlichen Werke”, “Der Wortbruch” und “Rückfall”). Posthum kam 1948 sein Buch “Mein Lebensmärchen” heraus. Viele lustige Anekdoten und Witze sind mit dem Namen Leo Slezak verbunden.

 So soll Slezak bei einer Aufführung von Lohengrin, als die Bühnenarbeiter den Schwan samt Wagen zu schnell von der Bühne zogen, ehe er diesen besteigen konnte, sich zum Publikum hingedreht und gefragt haben: “Wann geht der nächste Schwan?”

Dass er nie in Bayreuth sang, verdankt er auch dem Umstand, dass er beim Vorsingen naiverweise die Arie des Bajazzo aus Leoncavallos Oper zum Besten geben wollte, was Cosima Wagner verstimmte.

 Slezak war der populärste Tenor Deutschlands im ersten Jahrzehnt des zwanzigsten Jahrhunderts. Sein Bühnenrepertoire umfasste 66 verschiedene Opern. Allein in Wien sang er in 41 verschiedenen Werken, von Wagner, Weber, Goldmark, Beethoven und Mozart, von Verdi, Puccini, Leoncavallo und Mascagni, von Meyerbeer, Gounod, Massenet, Halévy, Bizet, Auber und Saint-Saëns, von Tschaikovski und Smetana, und von vielen anderen. Ein Großteil dieser Rollen ist auf Tonträger verewigt worden.

 Zwischen 1901 und 1931 machte er mehr als 400 Tonaufnahmen. Seine Aufnahmen machen es unseren heutigen Ohren oft nicht leicht, die große Beliebtheit des Künstlers zu verstehen. Die Aufnahmen des jungen Tenors sind oft von schlechter tonlicher Qualität, und man braucht schon ein geschultes Ohr, um die Qualitäten des jungen Sängers zu erkennen, die schon Jürgen Kesting in seinem Monumentalwerk “Die großen Sänger” hervorhob: “das Feuer und die Verve eines seiner Stimme sicheren jugendlichen Helden einerseits, Imagination und Ausdruckskraft andererseits”. Die späteren Aufnahmen, besserer Tonqualität, lassen aber leider oft eine Stimme hören, die ihren Zenith Mitte der Zwanziger schon überschritten hat.

 Zu seinen besten Aufnahmen gehören, meiner Meinung nach, die Arien der Meyerbeer-Opern, sowie diejenigen des Otello. Diese lassen eine mächtige jugendliche Heldentenorstimme erkennen. Die Klarheit und Stahlkraft seiner Stimme ist außergewöhnlich und mag befremdlich klingen für heutigen Ohren, die hauptsächlich an baritonal-gefärbte Otellos gewöhnt sind. Wir hören hier keinen alternder Heeresführer, sondern einen verzweifelten, eifersüchtigen Mann, in der vollen Kraft seines Lebens, dessen Welt auf ihrem Höhepunkt zusammenbricht. Allein schon der Umstand, dass er diese Rolle mehrmals an der New Yorker MET unter der Leitung von Arturo Toscanini gesungen hat, zeugt davon, dass er einer der führenden Sänger des Otello des Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts war.

 Will man seine Mezzavoce hören, für die er ebenfalls berühmt war, dann soll man sich unbedingt seine Aufnahme der Arie des Assad aus Goldmarks “Die Königin von Saba” zu Ohren führen. Seine Interpretation entspricht vollkommen deren Titel: Magische Töne”, mit einer wunderbaren Mezzavoce und einer, am Schluss der Arie, hinreißenden Süße in der Kopfstimme.

Auch als Interpret von Liedern trat Slezak viel in Erscheinung. Seine meisten Lied-Aufnahmen wurden in den späten Zwanziger eingespielt und sind oft kritisch bewertet worden. Für mich aber, ein Lehrbeispiel an Interpretation und stimmlichem Farbenreichtum, ist Slezaks Aufnahme aus dem Jahre 1928 von “Tom der Reimer” von Carl Loewe mit Heinrich Schacker am Klavier. Sein Vortrag mag in manchen Momenten fast volksliedhaft-kitschig erscheinen, aber jede Phrase bekommt die angemessene Farbe, sei es als Tom der Reimer, als Elfenkönigin oder als Erzähler.

 Leo Slezak war verheiratet mit der Schauspielerin Elsa “Liese” Wertheim (1874-1944). Sie hatten zwei Kinder: Tochter Margarete, die als Opern- und Konzertsängerin auftrat, und Sohn Walter, der in den USA Karriere als Schauspieler machte. Von Walter Slezak gibt es übrigens eine Schallplatte, auf der er Texte und Geschichten seines Vaters Leo Slezak vorliest, unter anderem dessen beliebte Geschichte “Das Hirn des Tenors”.

Leo Slezak verstarb am 1. Juni 1946 in Egern am Tegernsee, wo er auf den Friedhof der Kirche Sankt Laurentius neben seiner Gattin begraben liegt.

Jean Nico Schambourg, 3. September 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Schammis Klassikwelt (c) erscheint regelmäßig am Sonntag.

                                                                                                         

Jean-Nico SchambourgJahrgang 1959. Gehört einer weltlichen Minderheit an: Er ist waschechter Luxemburger! Und als solcher war es normal, Finanzwirtschaft zu studieren. Begann seine berufliche Karriere bei der Kriminalpolizei, ehe er zur Staatsbank und Staatssparkasse Luxemburg wechselte. Seit jeher interessiert ihn jede Art von Musik, aber Oper wurde seine große Liebe. Er bereist ganz Europa, um sich bekannte und unbekannte Opern und Operetten anzuhören. Nebenbei sammelt der leidenschaftliche Hobbykoch fleißig Schallplatten über klassischen Gesang (momentan ungefähr 25.000 Stück). Sang in führenden Chören in Luxemburg, verfolgt seit einigen Jahren aber ausschließlich eine Solokarriere als Bass. Sein Repertoire umfasst Lieder und Arien in zwölfSprachen. Unter der Bezeichnung “Schammilux Productions” organisiert er selbst jährlich zwei bis drei Konzerte. Perfektionierte sein Singen in Meisterkursen mit Barbara Frittoli, Jennifer Larmore sowie Ramón Vargas, organisiert von “Sequenda Luxembourg”, einer Organisation zur Förderung junger Sängertalente, geleitet von seiner Gesangslehrerin Luisa Mauro. Neu auf klassik-begeistert.de: Schammis Klassikwelt, regelmäßig am Sonntag.

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