Schammis Klassikwelt 6: Stimmliche Eleganz oder vokaler Sexappeal?

Schammis Klassikwelt 6: Stimmliche Eleganz oder vokaler Sexappeal?  klassik-begeistert.de

Fisch oder Fleisch? Wein oder Bier? Blondine oder Brunette? Ich habe meinen Geschmack in keiner Situation meines Lebensauf eine feste Idee beschränkt! Im Gegenteil, mich ziehen Gegensätze sogar an! So auch im Operngesang. Und deshalb sind sowohl Carlo Bergonzi als auch Franco Corelli meine Lieblingstenöre. Der folgende Artikel soll kein Vergleich zweier bedeutender Sänger sein, sondern eine Erklärung meiner Bewunderung für beide.

 

Meine Lieblingstenöre: Carlo Bergonzi und Franco Corelli!

von Jean-Nico Schambourg

Beide begannen ihre Karrieren Anfang der Fünfziger Jahre und hatten zum großen Teilen dasselbe Repertoire: Verdi, Puccini, Verismus. Doch ihre Vortragsweise könnte unterschiedlicher nicht sein. Viele meiner Schallplatten bezeugen dies und es fällt mir oft schwer zu entscheiden, welches musikalische Menü ich mir genehmigen will. Ernani, Radamès, Don Alvaro, Manrico zum Beispiel sind alles Rollen in denen mir beide Tenöre große Freude bereiten, jeder auf seine eigene Art. Bei anderen Rollen wiederum habe ich ganz klare Favoriten: Bergonzi bei “Un Ballo in maschera”, bei “Luisa Miller”, bei “La Gioconda”, Corelli dagegen bei “Turandot”, bei “Tosca”, bei “Andrea Chénier”.

Die Faszination, die von beiden auf mich ausgeht, ist grundverschieden. Bei Carlo Bergonzi bewundere ich die stimmliche Perfektion und stilistische Eleganz, seine Phrasierungskunst. Bei Franco Corelli bekomme ich Gänsehaut wegen dem Squillo, den er in der Stimme hat und den er machmal “schamlos” einsetzt, um mich als Zuhörer in seinen Bann zu ziehen.

 

 Carlo Bergonzi habe ich zweimal auf der Opernbühne und, gegen Ende seiner Karriere, einige Male im Konzertsaal erleben dürfen. Sein szenisches Auftreten entsprach dabei immer seiner stimmlichen Auffassung von Musik: alles wurde der Produktion des stimmlich perfekten Tons untergeordnet. Das mag für heutige Augen und Ohren veraltet erscheinen, galt jedoch damals als hohe Schule der Perfektion. Man schließe einfach nur die Augen (was ich bei sehr vielen der heutigen Inszenierungen auch im Opernsaal leider sowieso aus anderen Gründen tue) und genieße einfach die stimmliche Darbietung.

Bergonzi steht für stimmliche Eleganz, perfekte Gesangstechnik. Dies sticht besonders in den Opern von Giuseppe Verdi hervor, von denen er fast alle Tenorpartien im Repertoire hatte. Er respektiert genauer als andere Tenöre die Indikationen, die Verdi in seine Partitur niedergeschrieben hat. Seine Phrasierung dabei ist exemplarisch: jedes Wort und jede Note bekommt genau die richtige Farbe und das nötige Gewicht, um die Vorgaben des Komponisten zu erfüllen. Dabei sind auch die hohen Töne in die Gesanglinie eingebunden und bilden nicht Zielnoten, mit denen der Zuhörer überrumpelt werden soll.

 Manchmal, so könnte man kritisieren, fehlt es seinen Charakteren an Feuer (bei Manrico in Verdis “Trovatore”) und auch an erotischem Flair (bei Puccini). Auch wenn er einen einfachen Bauernburschen wunderbar darzustellen vermochte, sowie er es als Nemorino in Donizettis “Elisir d’amore” tut, so sind seine Darstellungen von Adligen und hochgestellten Figuren, wie sie oft in den Opern von Verdi vorkommen, beispielhaft, weil sie bei ihm die Noblesse ausstrahlen, die diesen Figuren in den Opern zugeschrieben ist. So zum Beispiel bei Rodolfo in “Luisa Miller”, Riccardo in “Un Ballo in Maschera”, Radamès in “Aida”, Don Alvaro in “Forza del Destino”.

Eine andere Rolle, mit der ich diese Behauptung belegen möchte, ist diejenige des Ernani aus der gleichnamigen Oper von Giuseppe Verdi. Ernani ist kein einfacher Räuber, er ist vom königlichen Hofe in diese Situation gedrängt worden. Aus politischen Gründen wurde sein Vater getötet und er verlor seine Titel und Güter. Bergonzis Ernani zeichnet sich deshalb stimmlich stets durch Eleganz und Noblesse in seiner Gesangslinie aus. Sein Ernani kennt die Gepflogenheiten bei Hofe. Er weiß, was ein gegebenes Versprechen bedeutet und daß er es einlösen muß, auch wenn es seinen Tod bedeutet.

 Bei Franco Corelli, der diese Rolle ebenfalls in seinem Repertoire hatte, hört man mehr den jugendlichen Draufgänger und Liebhaber heraus. Bei seiner Darstellung ist man geneigt sich zu fragen, warum er nicht Don Silva schlussendlich das Horn auf dessen sturen vergreisten Kopf haut, anstatt sich selbst zu erdolchen!

Die Stimme und Darbietungen von Franco Corelli kenne ich nur von Schallplatten. Sein Tenor hat dieses Feuer, das der Stimme von Carlo Bergonzi manchmal abgeht. Im Gegensatz zu diesem, muss man dann allerdings bei Franco Corelli öfters auf stimmlichen Perfektion, stilistische Feinheiten und musikalische Genauigkeit verzichten. Aber nichtsdestotrotz, es gibt keine andere Tenorstimme, die mich allein von ihrem Klang her so in ihren Bann zieht, wie die Stimme von Franco Corelli mit ihrem warmen, bronzenen Timbre, das auch in lyrischen Passagen “männlich” bleibt, das sich aber speziell von der höheren Mittellage an mit diesem heroischen “Squillo” mischt und die Spitzentöne zu gleißendem Kanonenfeuer veredelt.

 Die wenigen Filmaufnahmen von Corelli lassen mich vermuten, dass er, nicht nur wegen seines tollen Aussehens, unseren heutigen Vorstellungen vom modernen Operndarsteller eher entspricht, als der ein wenig steif anmutende Carlo Bergonzi.

 Am Besten gefällt Corelli mir in Rollen von jugendlichen Draufgängern (Manrico, Calaf), Revolutionären (Andrea Chénier, Cavaradossi), Erobern und Kriegshelden (Radamès). Hier kann er seinen heldischen Tenorklang am Besten einbringen. Corelli hat Sexappeal, auch in der Stimme!

 Sein “Nessun dorma” aus Puccinis Oper “Turandot” erzeugt bei mir bei jedem Anhören Gänsehaut. Sein hohes C am Ende der Oper auf “Vinceeeeerò” kommt einem vokalen Orgasmus gleich. Und genau das muss es sein: Seine Stimme leuchtet in diesem Moment immer mehr auf und das finale “Vincerò” beschreibt genau Calafs Begeisterung und Überzeugung bei dem Gedanken, die Prinzessin von China zu erobern. Denn um dieses große Unterfangen geht es in dieser Oper! Bei den gepressten Anstrengungen vieler anderer Tenöre ließen sich dagegen schon schwerlich einfache Dorfschönheiten” rumkriegen.

https://youtu.be/fWokel5YxM8 auf youtube ansehen

 Stimmliche Eleganz oder vokaler Sexappeal? Die Entscheidung fällt mir schwer. Die Gesangskunst von Carlo Bergonzi ist für mich auf Schallplatte einmalig und wurde seither, zumindest bei den Opern von Giuseppe Verdi, nicht mehr erreicht. Von den heutigen Tenören scheint mir alleine Ramón Vargas Bergonzis Lektionen verstanden zu haben und zu befolgen. Und trotz all dieser Perfektion zieht es mich immer wieder hin zur Stimme von Franco Corelli! Sein Vortrag erreicht mein Herz!

 Eine Gemeinsamkeit sei zum Schluß noch erwähnt: beide Tenöre haben sich während ihrer jeweiligen Glanzzeiten nicht an Verdis Otello versucht. Von beiden Sängern gibt es zwar auf Schallplatte Arien und Duette von Verdis Mohren, aber beide haben, verständlicherweise, von dieser Mammutrolle Abstand genommen (Bergonzi hat am Ende seiner Karriere einen konzertanten Versuch in New York unternommen, den er nach dem ersten Akt allerdings abbrechen musste). Könnte man Bergonzis stilistische und technische Perfektion mit Corellis Stimmmaterial in einer Stimme zusammen vereinen, wir würden DEN Otello der Geschichte erleben!

 Und vielleicht liegt hier schlußendlich der Schlüssel zu meiner Bewunderung für diese beiden gegensätzlichen Tenöre: Carlo Bergonzi ist “Kunst”, Franco Corelli ist “Stimme”!

Jean-Nico Schambourg, 20. November 2022, für
klassik-begesitert.de und klassik-begeistert.at

Schammis Klassikwelt (c) erscheint jeden zweiten Sonntag.

                                                                                                         

Jean-Nico SchambourgJahrgang 1959. Gehört einer weltlichen Minderheit an: Er ist waschechter Luxemburger! Und als solcher war es normal, Finanzwirtschaft zu studieren. Begann seine berufliche Karriere bei der Kriminalpolizei, ehe er zur Staatsbank und Staatssparkasse Luxemburg wechselte. Seit jeher interessiert ihn jede Art von Musik, aber Oper wurde seine große Liebe. Er bereist ganz Europa, um sich bekannte und unbekannte Opern und Operetten anzuhören. Nebenbei sammelt der leidenschaftliche Hobbykoch fleißig Schallplatten über klassischen Gesang (momentan ungefähr 25.000 Stück). Sang in führenden Chören in Luxemburg, verfolgt seit einigen Jahren aber ausschließlich eine Solokarriere als Bass. Sein Repertoire umfasst Lieder und Arien in zwölfSprachen. Unter der Bezeichnung “Schammilux Productions” organisiert er selbst jährlich zwei bis drei Konzerte. Perfektionierte sein Singen in Meisterkursen mit Barbara Frittoli, Jennifer Larmore sowie Ramón Vargas, organisiert von “Sequenda Luxembourg”, einer Organisation zur Förderung junger Sängertalente, geleitet von seiner Gesangslehrerin Luisa Mauro. Neu auf klassik-begeistert.de: Schammis Klassikwelt, alle zwei Wochen.

 

 

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