Bild: Anton Domenico Gabbiani: Drei Musiker am Medici Hof in Florenz – Galleria dell’Accademia, Florenz
Ist es von Vorteil, wenn man zugleich Komponist und Sänger ist? Kann in diesem Fall der Komponist die Partitur sänger-freundlicher gestalten? Und umgekehrt, versteht ein Sänger es dann besser die Ideen des Komponisten umzusetzen? Den meisten ist diese doppelte Begabung nicht gegeben. So sind auch die in diesem Beitrag aufgeführten Künstler meistens hauptsächlich wegen einer Gabe im Gedächtnis der Musikwelt geblieben, obwohl sie sich am Komponieren und am Singen versucht haben.
Dieser Beitrag hat keinen wissenschaftlichen Anspruch, sondern zählt einige Fakten und Anekdoten aus dem Leben einiger Sänger-Komponisten auf. Bei meiner Auflistung beschränke ich mich auf diejenigen, die eine gewisse Berühmtheit als (Opern)Sänger errungen haben. Trotzdem werde ich wahrscheinlich einige Künstler übersehen haben.
von Jean-Nico Schambourg
Der zweite Teil meines Beitrags konzentriert sich auf die Kastraten und deren Kompositionen. Die Glanzzeit dieser Stimmgattung erstreckte sich von Anfang des 17. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. Viele von ihnen waren nicht nur als Sänger tätig, sondern auch als Gesangslehrer und Komponist.
Ehe wir uns allerdings den Kastraten zuwenden, muss Eleonora Baroni oder Leonora Baroni (1611-1670) erwähnt werden. Sie war eine italienische Sopranistin, Musikerin und Komponistin. Geboren wurde sie in einer musikbegabten Familie. Schon ihre Mutter, Adriana Basile, genannt “la bella Adriana”, war eine gefragte Sängerin am Hofe von Mantua. Auch ihre Schwestern waren sehr musikalisch. Nach ersten Erfolgen in Neapel, Genua, Lucca und Florenz, zog die Familie 1633 nach Rom. Dort wurde Leonora in den dreißiger Jahren des 17. Jahrhunderts zur führenden Sängerin von Kammermusik ihrer Zeit.
Kardinal Antonio Barberini wurde einer ihrer größten Unterstützer und Gönner. Auch mit Giulio Mazzarino, dem späteren Kardinal Mazzarin, und Giulio Rospigliosi, der Papst Clemens IX. wurde, unterhielt sie engen Kontakt.
Sie war die einzige Frau der “Accademia degli Umoristi”, einer der einflussreichsten und bedeutendsten Akademien im gesamten 17. Jahrhundert und verfasste als deren Mitglied Gedichte. Ihr selbst wurden zahlreiche Gedichte gewidmet und als “Applausi poetici alle glorie della Signora Leonora Baroni” veröffentlicht, darunter Verse von Bracciolini, Testi und Giulio Rospigliosi.
Auch wenn es im damaligen Rom Frauen verboten war, öffentlich als Sängerin in Erscheinung zu treten, erfreuten sich ihre Auftritte in privaten Konzerten großer Beliebtheit. Baroni tat dies mit großem Erfolg. Sie begleitete sich selbst auf der Viola und Theorbe, dem großen Bruder der kleinen, handlichen Laute. Nicht nur ihre Interpretation sakraler Musik, sondern auch von sogenannten “Galanterie”-Liedern, mit suggestiven Doppeldeutigkeiten, waren sehr gepriesen. So beschrieben in einem Brief von 1630 von Mattias de’ Medici: er erzählt darin von einem Konzert, gegeben von Adriana und Leonora, bei dem ein Lied mit dem Wort “zizì” (im Italienischen, ein Kosewort für Penis) anscheinend besonders großen Erfolg hatte!
Leonora Baroni war, typisch für das frühe 17. Jahrhundert, neben Interpretation und Improvisation, auch im Bereich der Komposition tätig und hat zumindest strophische Variationen komponiert. Von ihren Werken blieb aber leider nichts erhalten.
Kardinal Antonio Barberini war auch Mäzen des italienischen Kastraten und Komponisten Marc’Antonio Pasqualini (1614-1691), der als einer der führenden männlichen Soprane seiner Zeit galt. Papst Urban VIII. war ebenfalls unter seinen Förderer.
Le Jardin Secret: “Si ch’io voglio sperare”:
Neben seinen Aufgaben als Sänger im Chor der Sixtinischen Kapelle im Vatikan, dessen Leiter er 1655 wurde, stand Pasqualini auch auf der römischen Opernbühne. In Opernaufführungen, organisiert von Kardinal Barberini, trat er dabei vorwiegend in der Rolle einer unglücklichen Figur auf, meistens einer als Mann verkleideten Frau. Dies gab ihm Gelegenheit zu langen emotionalen oder rachsüchtigen Monologen. Der englische Autor John Evelyn bezeichnete Pasqualini als den besten Sopran auf dem Kontinent.
Im Jahr 1647 sang Pasqualini, auf Einladung von Kardinal Mazarin in Paris, in der Uraufführung der Oper “Orfeo” des Komponisten Luigi Rossi die Rolle des Aristeo.
Philippe Jaroussky & Ensemble Artaserse: Lamento d’Orfeo “Lasciate averno” (Orfeo)
Als Komponist hat Pasqualini mehr als 250 Arien und Kantaten geschrieben. Dabei orientierte er sich an den Komponisten der von ihm gesungenen Musik.
Als Sänger war er von 1676 bis 1677 Sänger in Rom und 1681 Chorsänger am Mailänder Dom. 1681 wurde er zum Priester geweiht, doch 1685 wegen schlechten Benehmens entlassen. Zwei Jahre später in 1687 hatte er seinen einzig dokumentierten Opernauftritt in Reggio Emilia in “Odoacre” von Giovanni Varischino.
1693 übersiedelte er nach London, wo er Gesangslehrer wurde und in wöchentlich öffentlich stattfindenden Konzerten sang. Von 1701 bis 1711 war er Komponist am kaiserlichen Hof in Wien, wo sein Oratorium “Il Martirio di San Caterina” in der Kaiserkapelle Leopolds I. von Habsburg gesungen wurde. Zwischen 1701 und 1723 reiste er viel und kehrte 1724 nach London, wo er Gründungsmitglied der “Academy of Ancient Music” wurde. Danach kehrte er nach Italien zurück.
Von ihm komponierte Arien und Kantaten befinden sich heute in mehreren europäischen Museen und Bibliotheken (Berlin, Bologna, Cambridge, Dresden, London, München, Münster, Oxford und Turin), während das “Martyrium von Santa Katharina” sich in Wien in der Österreichischen Nationalbibliothek befindet.
Francesco Antonio Mamiliano Pistocchi (1659-1726), bekannt als “Il Pistocchino” war ein Wunderkind mit einer schönen Sopranstimme, der schon mit drei Jahren öffentlich auftrat und mit acht seine erste Komposition “Capricci puerili” veröffentlichte. Ab 1670 trat er als Soprankastrat regelmäßig in Bolognas Cappella Musica in der Basilika San Petronio auf, wo sein Vater Geiger war. Im Alter von 15 Jahren, 1674, trat er in Ferrara erstmals auf die Bühne. Allerdings verlor er schnell seine Stimme. Er ging daraufhin nach Venedig wo er sich zum Altkastraten ausbilden ließ. Erst nach 1687 trat er wieder in Opern auf.
Während seiner “Stimmkrise” war Pistocchi fleißig am Komponieren und bereits 1679 gelangte seine erste Oper “Leandro” zur Aufführung in einem venezianischen Puppentheater.
Im Jahre 1687 wurde er als Sänger Mitglied der Accademia Filarmonica von Bologna und trat erst ab diesem Jahre wieder auch, zunächst in Parma sowie später auch in Piacenza, Modena und Bologna, auf der Opernbühne auf.
In Ansbach, wo er seit 1696 Kapellmeister war, kam neben dem Schäferspiel “Il Narciso” (März 1697), im Jahre 1699 die von ihm komponierte Oper “Le pazzie d’amore e dell’interesse“ zur Aufführung, in der er selbst die Rolle des Rosmiro übernahm und mit der das Ansbacher Hoftheater eröffnet wurde.
Roberta Invernizzi: “Hor che morto è Narciso” (Il Narciso – pastorale in musica)
Nach einem kurzen Aufenthalt in Wien kehrte er nach Bologna zurück, wo er als Konzertsänger wieder an der Kapelle der Basilika San Petronio angestellt wurde.
Pier Francesco Tosi, der auch an der Gesangschule in Bologna lehrte, bezeichnete Pistocchi in seinem schon erwähnten Werk “Opinioni de’ cantori antichi e moderni” als den “berühmtesten Sänger aller Zeiten”, der “seinen Namen unsterblich gemacht dadurch, daß er der einzige Erfinder eines reifen und unnachahmlichen Geschmackes war und alle Schönheiten der Kunst gelehrt hatte, ohne dem Zeitmaß zuwider zu sein”.
Nach seinem Rückzug von der Bühne schrieb Pistocchi weiter eigene Musik. 1715 wurde er Mönch und erhielt seine Priesterweihe, fertigte nunmehr immer mehr Musik für kirchliche Anlässe, darunter mehrere Oratorien.
Es sei bemerkt, dass Wolfgang Amadeus Mozart wegen dem übermäßige Verzieren der Arien nicht so begeistert war von der Lehre von Bernacchi. Gegenüber dem Tenor Anton Raaff, Schüler von Bernacchi und erster Interpret des “Idomeneo”, sagte er: „die Bernacische Schule – die ist nicht nach meinem Gusto“.
Bernacchi war zu seiner Zeit einer der berühmtesten italienischen Sänger. Sein Debüt auf der Opernbühne war 1703 in Genua, von da an war er auf allen italienischen Opernhäusern engagiert und arbeitete mit den italienischen Komponisten seiner Zeit zusammen. 1714 ernannte ihn Antonio Farnese zum Virtuoso seiner Hofkapelle. In den Spielzeiten 1716 und 1717 war er auch in London im King’s Theatre engagiert in Aufführungen von Händels Bühnenwerken, u.a. als Goffredo in “Rinaldo”.
Carlo Vistoli: “Sovra balze scoscese e pungenti” (Rinaldo)
Von 1720 bis 1727 wirkte er in München. 1729 holte Händel Bernacchi zurück nach London, anstelle des verstorbenen Senesino, für die zweite Königliche Akademie. Für Händel schuf Bernacchi Rollen in “Lotario” (1729) und “Partenope” (1730). Er sang auch in Wiederaufführungen von “Julius Cäsar” und “Ptolemäus” sowie im Pasticcio “Ormisda”. 1730 ging er wieder nach Italien zurück und sang noch bis 1735.
Als Komponist schrieb er Soli und Duette mit geistlichen und weltlichen Texten vorwiegend zum eigenen Gebrauch. Es handelte sich dabei um ansprechende Virtuosenmusik, die stilistisch ihrer Zeit entsprach.
Filippo Finazzi (1705-1776) war ein italienischer Soprankastrat, Komponist und Kapellmeister. Er war einer der Lieblingssänger von Vivaldi.
Nach musikalischer Ausbildung in Mailand debütierte Finazzi 1723 in Crema und setzte seine Laufbahn als Sänger in den folgenden Jahren in Rom und Venedig fort. In Rom trat er als “Seconda Donna” in mehreren Frauenrollen auf u. a. in “Didone abbandonata” und “Farnace” von Leonardo Vinci. In der Saison 1726/27 war er Teil der Truppe, die Vivaldi im Sant’Angelo in Venedig versammelt hatte. Finazzi sang Nomio in der ersten Version des Pasticcio “Dorilla in Tempe”, dann Gilade in “Farnace”.
1728 ging er nach Breslau und kehrte um 1730 nach Italien zurück. In den nächsten Jahren konzentrierte sich seine sängerische Tätigkeit, nun vornehmlich in Primario-Partien, auf Norditalien u.a. Venedig, Bologna, Modena, wo er am Hofe als Sänger (Sesto in Hasses “Tito Vespasiano” mit Mareschi im Jahr 1741) und als Komponist angestellt war.
Max Emanuel Cenčić: “Opprimete i contumaci” (Tito Vespasiano)
Nach seiner Entlassung trat Finazzi 1743 der Mingotti-Truppe, mit der berühmten Sopranistin Regina Mingotti, bei und bereiste Linz, Prag, Leipzig und Hamburg. In der norddeutschen Stadt spielte die Truppe Werke des italienischen Genres Serio und Buffo. Finazzi ließ sich 1747 endgültig in Hamburg nieder. Sein letzter Auftritt als Sänger datiert aus dem Jahr 1746, in der von ihm selbst komponierten Oper “Temistocle”.
Viele seiner Opern sind verloren gegangen. Die Kantaten weisen stilistische Gemeinsamkeiten mit der neapolitanischen Schule auf, mit einer konservativen Melodielinie und einer konventionellen Instrumentalbegleitung. Er komponierte auch Instrumentalmusik. So gehören zu seinen publizierten Werke auch 6 Sinfonien.
Sein Operndebüt gab er 1765 am Teatro Valle in Rom, wo er eine der weiblichen Figuren in Niccolò Piccinnis Oper “Il finto astrologo” verkörperte. Über Venedig ging es dann nach München, wo er zwischen 1766–1767 an der Münchner Hofoper sang. Anscheinend hat Rauzzini wegen seiner zahlreichen Affären mit verheirateten Frauen München verlassen müssen. 1767 sang er am Wiener Hof, wo Wolfgang Amadeus Mozart ihn hörte und ihm die Rolle des primo uomo in seinem “Lucio Silla” anbot, der 1772 in Mailand uraufgeführt wurde. Später komponierte Mozart die Motette “Exsultate, Jubilate“ (1773) speziell für Rauzzini.
Exsultate, jubilate, K.165 (Mozart):
Franco Fagioli: https://youtu.be/QaEBOs3wR8k?si=NgeZAPM5zrkZGs9h
Elly Ameling: https://youtu.be/D_njNl4ukSc?si=4xUfaoUV_IUVmvzz
Im Jahr 1774 zog Rauzzini nach London, wo er während drei Saisons am King’s Theatre sang. Er wurde vom Londoner Publikum schnell akzeptiert und von Kritikern gelobt, die hervorhoben, dass Rauzzinis schauspielerische Begabung seiner Gesangskunst ebenbürtig war.
Er komponierte in dieser Zeit auch für das Theater. Seine erfolgreichste Oper, die zweiaktige Tragödie “Piramo e Tisbe”, wurde 1775, mit Rauzzini als Piramo, aufgeführt und in drei späteren Spielzeiten wiederaufgenommen.
Meredith Hall: “Così tranquilla e cheta” (Piramo e Tisbe)
Nach anfänglichen Problemen wegen seiner Sexualität und seiner Religion (Rauzzini war Katholik), nahm er in London eine kulturelle Führungsposition ein. Im Gegensatz zu den Kastratensänger, die vor ihm dort auftraten, war Rauzzini der erste, der Großbritannien zu seiner dauerhaften Heimat machte, anstatt nach Ablauf seiner Auftrittszeit auf den Kontinent zurückzukehren. So zog er sich nach Beendigung seiner Laufbahn als Sänger nach Bath zurück, wo er Konzerte dirigierte und Gesangsunterricht gab. Er steigerte sein kompositorisches Schaffen und veröffentlichte, neben zahlreichen Vokalwerken, auch Streichquartette und Sonaten für Klavier und Violine.
Jean Nico Schambourg, 21. Januar 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Teil 3 „………….“ können Sie hier auf klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at am Sonntag, 28. Januar 2024 lesen.