Umschlaggestaltung P. Agentur für Markengestaltung – nach einer Grundkonzeption von Mediabureau Di Stefano, Berlin Titelbild: Hugo Wolf nach einer Fotografie um 1895
Es fällt auf, dass im zweiten Abschnitt des Werks unter dem Titel „Die großen Liedfolgen“ das Kapitel „Mörike“ den weitaus größten Umfang einnimmt. Und wieder entdecken wir Vergleichsmöglichkeiten zu einem anderen Buch, einer Art Biografie über den „Sänger seiner Lieder“, Leonard Cohen.
von Lothar und Sylvia Schweitzer
Sind es im Fall Hugo Wolfs zwei Personen, der Dichter Eduard Mörike und der Komponist Hugo Wolf, so ist bei Leonard Cohen der Übergang vom Genre des Gedichts zu dem des Lieds fließend und geschieht in Personalunion.
Lyrik war zu Leonard Cohens Zeit nicht „in“. An der McGill University in Montreal bildete Cohen mit Gleichgesinnten einen Kreis. Ihr Leben war die Lyrik. In der Studentenzeitschrift warben sie für Subskription, um das nötige Geld für den Druck zu bekommen. Aber in den Literaturseminaren waren diese Werke nicht vorhanden. In Jazzclubs trug Cohen seine Gedichte vor. Es war sein Schicksal, mit Joan Baez und Bob Dylan in Berührung zu kommen. Fortan wurde Leonard Cohen zum Interpreten und Sänger seiner Lyrik.
Ohne Vertonung durch Hugo Wolf wäre es bei wenigen Bewunderern Mörikes geblieben. Der Lyriker brachte es zu Lebzeiten gerade zu fünf Auflagen. Etwa ein Fünftel seiner Gedichte vertonte Hugo Wolf. „Es gehörte Mut dazu, sich in die Arena der zahlreichen Liedkomponisten mit einem Dichter zu wagen, den kaum jemand kannte und den er zur Diskussion und Wiederentdeckung vorstellte“, schreibt der Liedspezialist Dietrich Fischer-Dieskau. Und der Autor zitiert den Musikkritiker und Schriftsteller Ernst Decsey, der es pointiert so ausdrückt: „Der unbekannte Wolf, der den unbekannten Mörike entdeckt hat.“
Zuerst versenkte er sich ohne ans Komponieren zu denken mit immer mehr Begeisterung in dessen Gedichte. Wolf arbeitete in enger Gebundenheit an das Wort, aber Melodie, Harmonie und rhythmische Kraft sind nicht nur begleitende Elemente. Den Liedinterpreten Fischer-Dieskau fasziniert die musikalische Verwandlungsvielfalt bei jedem neuen Gedicht. Wohl erfand die berühmte Sängerin und Pianistin Pauline Viardot-García zwanzig Jahre vor Wolf eine recht eigenwillige Musik zu Mörike-Gedichten, indem sie dramatisch-psychologische Akzentuierung suchte. Wolf suchte Verse, in denen er den beschaulichen, ironischen oder verzweifelten Dichter erkannte.
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Vor dem Vorspielen las der Tondichter seinen Hörern eindringlich die Gedichte vor. Lobte jemand seine Musik, ohne das Gedicht zu würdigen, fühlte er sich nicht verstanden.
Wie anders liest es sich bei der Frage an Leonard Cohen, was am Anfang steht, zuerst die Melodie oder der Text, und die Antwort lautet: „Sie werden zusammen geboren, kämpfen zusammen und beeinflussen sich gegenseitig.“ Nicht nur Melodie und Tempo werden von ihm selbst kritisch gesehen. Nein, irgendwo war da eine Lüge, so dass Leonard Cohen das Lied nicht singen konnte.
Lothar und Sylvia Schweitzer, 19. Februar 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Schweitzers Klassikwelt (c) erscheint jeden zweiten Dienstag.
Lothar und Sylvia Schweitzer
Lothar Schweitzer ist Apotheker im Ruhestand. Gemeinsam mit seiner Frau Sylvia schreibt er seit 2019 für klassik-begeistert.de: „Wir wohnen im 18. Wiener Gemeindebezirk im ehemaligen Vorort Weinhaus. Sylvia ist am 12. September 1946 und ich am 9. April 1943 geboren. Sylvia hörte schon als Kind mit Freude ihrem sehr musikalischen Vater beim Klavierspiel zu und besuchte mit ihren Eltern die nahe gelegene Volksoper. Im Zuge ihrer Schauspielausbildung statierte sie in der Wiener Staatsoper und erhielt auch Gesangsunterricht (Mezzosopran). Aus familiären Rücksichten konnte sie leider einen ihr angebotenen Fixvertrag am Volkstheater nicht annehmen und übernahm später das Musikinstrumentengeschäft ihres Vaters. Ich war von Beruf Apotheker und wurde durch Crossover zum Opernnarren. Als nur für Schlager Interessierter bekam ich zu Weihnachten 1957 endlich einen Plattenspieler und auch eine Single meines Lieblingsliedes „Granada“ mit einem mir nichts sagenden Interpreten. Die Stimme fesselte mich. Am ersten Werktag nach den Feiertagen besuchte ich schon am Vormittag ein Schallplattengeschäft, um von dem Sänger Mario Lanza mehr zu hören, und kehrte mit einer LP mit Opernarien nach Hause zurück.“
Schweitzers Klassikwelt 131: Hugo Wolf Teil 1 klassik-begeistert.de, 17. Februar 2025
Sommereggers Klassikwelt 76: Hugo Wolfs tragisches, kurzes Leben
Hugo Wolf, Italienisches Liederbuch Staatsoper Unter den Linden, Berlin, 10. Juli 2023