Sommereggers Klassikwelt 76: Hugo Wolfs tragisches, kurzes Leben

Sommereggers Klassikwelt 76: Hugo Wolfs tragisches, kurzes Leben

„An seinem Trauergottesdienst in der Wiener Votivkirche nahm auch der Hofoperndirektor und Jugendfreund Wolfs, Gustav Mahler, teil. Gestört wurde der Trauerzug durch maskierte, fröhliche Menschen, an Wolfs Begräbnistag feierte man den Faschingsdienstag.“

von Peter Sommeregger

Als der Komponist Hugo Wolf am 22. Februar 1903 in Wien starb, war er bereits nahezu fünf Jahre Patient der Landesirrenanstalt in der Wiener Lazarettgasse. Sein Geist war zu diesem Zeitpunkt bereits völlig erloschen. Die Lungenentzündung, die zu seinem Tod führte, erlöste ihn von einem Siechtum, das seinen Ursprung in einer Syphilis-Erkrankung des damals 18-Jährigen hatte.

Aber auch weitere Lebensabschnitte vor seiner finalen Erkrankung waren von vielfältigen Problemen gekennzeichnet. Der 1860 im slowenischen Windischgraz, einem freudlosen Ort in schöner Landschaft, als eines von acht Kindern eines Lederwarenhändlers geborene Hugo fand im Elternhaus durchaus Verständnis für sein Interesse an der Musik. Der Vater unterrichtet ihn im Klavier- und Geigenspiel, der Fünfzehnjährige verlässt den Heimatort und beginnt ein Studium am Wiener Konservatorium. Dort ist er Mitschüler von Gustav Mahler, zu dem der Kontakt auch in späteren Jahren bestehen bleibt.

Bereits nach zwei Jahren muss er aus ungeklärten Gründen das Konservatorium verlassen, als Autodidakt setzt er seine musikalische Ausbildung fort. Durch Klavierstunden und sporadische finanzielle Unterstützung durch den Vater bestreitet er seinen Lebensunterhalt, mehr als ein Leben in großer Armut ist ihm zu dieser Zeit nicht möglich.

Für kurze Zeit wird er in Salzburg als Hilfskapellmeister angestellt, aber auch diese Stellung verliert er bereits kurz danach wieder. Erfolgreicher verläuft seine Tätigkeit als Musikkritiker für das Wiener Salonblatt, der er zwischen 1884 und 1887 nachgeht. 1887 veröffentlicht er ein Album mit zwölf Liedern, die kommenden neun Jahre sollten die produktivsten seines kurzen Lebens werden.

Das Kunstlied in der Tradition Franz Schuberts wird zu seiner eigentlichen Domäne. Inspiriert durch die Lyrik von Dichtern wie Mörike, Heinrich Heine, Eichendorff und Goethe komponiert er insgesamt über dreihundert Lieder. Sie bilden den zentralen Teil seines Werkes. Seine Instrumentalwerke in geringer Zahl spielen in seinem Gesamtwerk eine untergeordnete Rolle.

Von verschiedenen Plänen für Opern wird lediglich „Der Corregidor“, eine heitere Spieloper, vollendet. Sie erlebt 1896 in Mannheim eine erfolgreiche Uraufführung. Der zentrale melodische Einfall des Werkes ist identisch mit dem bekannten Lied Wolfs „In dem Schatten meiner Locken“. An einem weiteren Opernprojekt „Manuel Venegas“ arbeitet Wolf bis zu seiner Einweisung in die Nervenklinik.

Trotz seines schwierigen Charakters und seiner starken Stimmungsschwankungen gelingt es dem Komponisten, mit mehreren einflussreichen Menschen dauerhafte Freundschaft zu schließen. Da Wolfs Einkünfte auch nach dem einsetzenden Erfolg seiner Lieder gering blieben, war er lebenslang auf die Unterstützung seines Freundeskreises angewiesen. So entstanden mehrere Hugo-Wolf-Vereine, die neben der Verbreitung seiner Werke den Zweck hatten, den Lebensunterhalt des Komponisten zu sichern.

Spätestens ab 1897 traten deutliche Anzeichen von Wolfs Geisteskrankheit zutage. Es folgte ein zeitweiliger Aufenthalt in einer privaten Nervenheilanstalt. Im September 1897 kam es zu einem folgenreichen Streit mit Gustav Mahler, als dieser Wolf wegen einer Aufführung des „Corregidor“ an der Hofoper vertröstete. In der Folge entwickelte sich aus dem Zorn über diese Zurückweisung die Wahnvorstellung Wolfs, er wäre der neue Wiener Operndirektor. Seine besorgten Freunde versuchten, ihn wieder zur Vernunft zu bringen, mussten aber erkennen, dass der Zustand Wolfs einen Klinikaufenthalt notwendig machte.

Die letzten Lebensjahre Wolfs wurden durch eine ehrenhalber ausgesetzte Rente des Kaisers und Zuwendungen des Freundeskreises erleichtert. So blieb Wolf bis zu seinem Tod in völliger geistiger Umnachtung Patient erster Klasse, was ihm eine individuelle und vor allem menschenwürdige Behandlung sicherte.

Sein Tod am 22. Februar 1903 wurde von der Öffentlichkeit durchaus wahrgenommen. An seinem Trauergottesdienst in der Wiener Votivkirche nahm neben anderen Persönlichkeiten auch der Hofoperndirektor und Jugendfreund Wolfs, Gustav Mahler, teil. Gestört wurde der Trauerzug durch maskierte, fröhliche Menschen, an Wolfs Begräbnistag feierte man den Faschingsdienstag.

Hugo Wolf erhielt ein Ehrengrab auf dem Wiener Zentralfriedhof, den markanten Grabstein gestaltete der Bildhauer Edmund von Hellmer.

Heute ist Wolf nur noch durch sein Liedschaffen bekannt, seine Lieder gehören aber nach wie vor zum Standardrepertoire von Liederabenden.

Peter Sommeregger, 23. Februar 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Sommereggers Klassikwelt 75: Die Loreley – Mythos, Dichtung, Oper

Ladas Klassikwelt (c) erscheint jeden Montag.
Frau Lange hört zu (c) erscheint jeden zweiten Dienstag.
Schweitzers Klassikwelt (c) erscheint jeden zweiten Dienstag.
Sommereggers Klassikwelt (c) erscheint jeden Mittwoch.
Hauters Hauspost (c) erscheint jeden zweiten Donnerstag.
Radek, knapp (c) erscheint jeden zweiten Donnerstag.
Lieses Klassikwelt (c) erscheint jeden Freitag.
Spelzhaus Spezial (c) erscheint jeden zweiten Samstag.
Der Schlauberger (c) erscheint jeden Sonntag.
Ritterbands Klassikwelt (c) erscheint jeden zweiten Sonntag.
Posers Klassikwelt (c) erscheint jeden zweiten Sonntag.

Peter Sommeregger

Der gebürtige Wiener Peter Sommeregger (Jahrgang 1946) besuchte das Humanistische Gymnasium. Er wuchs im 9. Gemeindebezirk auf, ganz in der Nähe von Franz Schuberts Geburtshaus. Schon vor der Einschulung verzauberte ihn an der Wiener Staatsoper Mozarts „Zauberflöte“ und Webers „Freischütz“ – die Oper wurde die Liebe seines Lebens. Mit 19 Jahren zog der gelernte Buchhändler nach München, auch dort wieder Oper, Konzert und wieder Oper. Peter kennt alle wichtigen Spielstätten wie die in Paris, Barcelona, Madrid, Verona, Wien und die New Yorker Met. Er hat alles singen und dirigieren gehört, was Rang und Namen hatte und hat – von Maria Callas und Herbert von Karajan bis zu Riccardo Muti und Anna Netrebko. Seit 26 Jahren lebt Peter in Berlin-Weißensee – in der deutschen Hauptstadt gibt es ja gleich drei Opernhäuser, die er auch kritisch rezensiert: u.a. für das Magazin ORPHEUS – Oper und mehr. Buchveröffentlichungen: „‘Wir Künstler sind andere Naturen.‘ Das Leben der Sächsischen Hofopernsängerin Margarethe Siems“ und „Die drei Leben der Jetty Treffz – der ersten Frau des Walzerkönigs“. Peter ist seit 2018 Autor bei klassik-begeistert.de.

Ein Gedanke zu „Sommereggers Klassikwelt 76: Hugo Wolfs tragisches, kurzes Leben“

  1. Vielen Dank, dass Sie mir mit diesem kurzen Aufsatz den Komponisten in Erinnerung bringen. Es kann nur spekuliert werden, in wie weit Wolfs Syphilis-Erkrankung vielleicht auch produktiven Einfluss auf seine Lied-Komposition genommen hat. Ob es ein Zufall ist, dass sein Leidensgenosse Schubert ebenfalls ein herausragender Lied-Komponist war? Wahrscheinlich schon. Dennoch ist der Blick auf die Einflüsse der Erkrankung auf das kompositorische Schaffen interessant. Franz Schubert, Robert Schumann und Hugo Wolf stehen im Focus eines entsprechenden Aufsatzes (https://www.karger.com/Article/FullText/311192), der vor ca. 10 Jahren hierzu erschienen ist.

    Guido Grass

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert