Schweitzers Klassikwelt 103: Die Sängerstimmen

Schweitzers Klassikwelt 103: Die Sängerstimmen  klassik-begeistert.de, 12. Dezember 2023

von Lothar und Sylvia Schweitzer

Ein Grafiker, der sein Atelier in der Mansarde desselben Hauses hat, das auch wir bewohnen, gab den Anstoß für eine Tauschecke im Souterrain. Dort machten wir den oben abgebildeten kostbaren Fund.

Des Öfteren wurden wir bei der Lektüre an Renée Flemings auch literarisch wertvolles Buch „Die Biografie meiner Stimme“, ebenfalls im Henschel Verlag erschienen, erinnert, wo sie bis ins kleinste Detail ihre Gedanken während einer Schlussszene in „Capriccio“ bekennt. Bei einer Stimme ist so vieles ineinandergreifend und verflochten.

Eine Methode in die Sängerstimme wissenschaftlich einzuführen geht über die Geschichte der Medizin. Welche Vorstellungen haben wir über das anatomische Wissen Mitte des achtzehnten Jahrhunderts? In den Memoiren der Pariser Akademie der Wissenschaften berichtet Antoine Ferrein – der interessante Lebenslauf dieses französischen Chirurgen würde leider den Rahmen dieses Feuilletons sprengen und wir verweisen auf das Internet – von seinen spannenden Untersuchungen an ausgeschnittenen Hundekehlköpfen.

Er näherte die Lippen dem Stimmlippenapparat und blies stark in die Luftröhre. Und jetzt seine Ergriffenheit wörtlich: „Sofort schien sich das Organ zu beleben und ließ, ich sage nicht, bloß einen Laut, sondern eine Stimme hören, angenehmer für mich als die ergreifendsten Konzerte.“

Foto: Antoine Ferrein © Wikipedia

Von der Anatomie und Physiologie zur Psychologie. Jeder Stimmträger ist zugleich ein Stimmungsträger. Wir erfahren, welche Gefühle die Tenorstimme zum Unterschied von anderen Stimmlagen bewirkt. Starke emotionale Wirkungen zu erreichen, ohne sich selbst im Zustand ungezügelter Emotionen zu befinden ist die Kunst, die uns in diesem Buch nahe gebracht wird. Wir sind bereits von dem berühmten Opern- und Liedsänger Hans Hotter beeinflusst und prüfen bei Rezitals, ob der/die Künstler/in zu theatralisch wird.

Der Untertitel „Phoniatrische Grundlagen des Gesangs“ weist eigentlich schon darauf hin, dass einige Kapitel für die Opernliebhaber, welche letztlich doch Dilettanten bleiben (wenn auch wohl mehr im italienischen Sinn gemeint), medizinisch und anatomisch viel abverlangen.

Die Autoren Prof. Dr. med. Wolfram Seidner und Prof. Dr. med. Jürgen Wendler waren an der Berliner Univ.-HNO-Klinik Charité in der Fachabteilung für Phoniatrie und Pädaudiologie tätig. Prof. Seidner absolvierte neben der Humanmedizin ein Musikstudium mit Hauptfach Gesang inklusive Solistenabschluss und Lehrbefugnis und war Tenorsolist vorwiegend in kirchlichem Rahmen. Prof. Wendler befasste sich u.a. mit stimmerhöhenden Operationen.

Prof. Dr. med. Wolfram Seidner   VOX HUMANA Fachzeitschrift für Gesangspädagogik
Prof. Dr. med. Jürgen Wendler – Charitè Berlin

 

 

 

 

 

 

Es macht nichts, hier Seiten zu überblättern, erst bei fortgeschrittener Lektüre wird dafür das Interesse wachsen und man wird zurückblättern.

 Zu denken gab uns das Kapitel „Besondere stimmliche Erscheinungsformen“. Unsre Liebe zur Oper kommt vom Stimmfetischismus und nicht durch die Begeisterung für das Gesamtkunstwerk. Aber die männliche Stimmlage des Countertenors blieb uns fremd. Wir erfahren im vorliegenden Werk, dass die bessere Bezeichnung „männliche Altstimme“, seltener „männliche Sopranstimme“ wäre. Wir kennen einen Sänger, der bei Konzertveranstaltungen vergeblich für den Druck der Programmhefte darauf hinwies, dass er kein Countertenor sei. In dem speziellen Fall handelte es sich um einen echten Alt, da er als Sängerknabe versehentlich die Mutation überging.

Es geht sicher auf das Konto von Wolfram Seidner, der sowohl Stimmarzt als auch Gesangspädagoge ist, in der strittigen Frage, ob ein männlicher Alt als Vorarbeit zwei Jahre nur im Brustregister unterrichtet werden soll, dies als wenig nützlichen Umweg sieht und einen Sofortunterricht empfiehlt. Wer eine Frauenstimme unterrichten kann, sei auch in der Lage eine männliche Altstimme auszubilden, ist seine Meinung.

Es ist irrig, die männliche Alt- oder Sopranstimme als humane Fortsetzung der Kastratenstimme zu sehen. Hier sprechen zwei Ärzte. Aufgrund der abnormen anatomischen Verhältnisse – kindlicher Kehlkopf bei männlichem Brustkorb – lässt sich die Kastratenstimme mit der Frauen- und der Knabenstimme nicht vergleichen. Sie soll ein strahlendes Timbre, einen großen Tonhöhenumfang und eine lange Tonhaltedauer gehabt haben. An Stimmkraft stellten sie Knaben- und Frauenstimmen in den Schatten.  „Heldensoprane statt Heldentenöre“ bringen es die Autoren auf den Punkt.

„Die Sängerstimme“ regte uns an im Internet bei diversen Stichworten weiter nachzulesen. Als Ohrenzeuge des letzten Kastraten Alessandro Moreschi berichtet Franz Haböck: „Er übertönt die mitsingenden Knabensoprane so gänzlich, wie ein Scheinwerfer kleine Wachslichtchen überstrahlt.“ Moreschi der „letzte Kastrat“? In seiner Dissertation über den „Niedergang des Kastratentums“ vertrat a.o. Univ.Prof. Dr. Gerold Gruber, Gründer und Leiter des Exilarte-Zentrums für verfolgte Musik an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, aufgrund von Analysen von Tonaufzeichnungen die Auffassung, dass auch noch in späteren Jahren trotz päpstlicher Distanzierung unter den vatikanischen Sängern Kastraten zu identifizieren seien.

Besonders im Zeitalter des Barocks wurde die Kastratenstimme zu einer Mode(torheit). Waren es hermaphroditische Wunschträume? Erinnert das nicht stark an unsre Zeit? Die Rollen der Götter und Halbgötter eigneten sich für eine stimmliche Abstraktion.  Ist die Deutung richtig, dass damals die dunkle Männerstimme als sexuell-brutal galt? Die Autoren ziehen als Beispiel den Osmin heran. Nach andrer Deutung soll ein spaßiger Gegensatz zu den Haremseunuchen beabsichtigt gewesen sein die Partie Osmins mit enormer Tiefe bis zum großen D auszustatten. Leporello passt vielleicht noch in diese Theorie. Der Figaro ist kein Edelmann, scheint sich jedoch seinem Grafen sehr anzupassen. Don Giovanni stellen wir uns eher elegant vor, der Komtur hingegen wirkt unheimlich.

Die Autoren sehen bis zu einem gewissen Grad in den weiblichen Hosenrollen z.B. eines Octavians im „Rosenkavalier“ eine Fortsetzung der Kastratenbesetzungen, die ja nicht nur für Frauenrollen, sondern auch für stilisierte Heldenpartien wie Glucks Orfeo geeignet erschienen. Da lässt sich einwenden, dass Hugo von Hofmannsthal bei Sophie und Octavian, einem jungen und naiven Paar, einen Vergleich mit Tristan und Isolde fürchtete. Anders die Einstellung des Dichtervaters des „Rosenkavaliers“ bei der Partie des Komponisten in der „Ariadne auf Naxos“. Hier rät er Richard Strauss von einer Besetzung mit einer Frau ab. Zu viel Travestie und Operette. Aber der Komponist bekommt Schwierigkeiten, weil namhafte Tenöre oder Baritone wegen der Kürze der Rolle abwinken und verbreitern will Hugo von Hofmannsthal die Figur nicht. So bleibt nur eine junge, talentierte Sängerin, die sich auf die Kabinettrolle eines „jungen Mozarts“ freut. Nachzulesen im Briefwechsel zwischen Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal.

Ein Hauptkapitel lässt in seinem Titel den feinen Unterschied zwischen Sprech- und Sprecherstimme erkennen. Wann lässt bei „nachvollziehenden HörerInnen“ die Konzentrationsfähigkeit gegenüber dem Vortragenden nach, wann werden die Stimmen des Publikums heiser, wie es bei einer Opernaufführung passieren kann?

Fangfrage: Aus wieviel Vokalen besteht die deutsche Sprache? Es gibt allein vier verschiedene E: Das offene, kurze (Leck), das offene, lange (ähnlich), das geschlossene, lange (Steg) und das schwachtonige (Mitte) in Neben- und Endsilben, welche beim Gesang eine Aufwertung erfahren, was allerdings bei längerer Tondauer ein Diminuendo als Ausgleich verlangt. Wann folgt ein gesungener Zwielaut (au, eu, ei) der gewohnten Sprechsprache und in welchen Fällen und auf welche Weise sind Veränderungen vonnöten? Auch hier finden Sie die Antwort in diesem Sachbuch.

Der Sprechablauf selbst ist medizinisch betrachtet sehr vielschichtig und ineinandergreifend. Dass nicht alle stimmbildenden Organe an der Bildung eines bestimmten Lauts beteiligt sind, ist einem Laien einleuchtend. Vielleicht nicht so selbstverständlich, dass die nicht unmittelbar beteiligten Organe bereits die Positionen der folgenden Laute vorbereiten. Es wird von den Autoren auf eindrucksvolle röntgenkinematografische Untersuchungen Bezug genommen. Wie in der Musik spricht man von einem Takt. Der ist nicht immer mit einem Satz identisch, weil erweiterte Satzgefüge einen Atemstoß überragen. Ähnlich verhält es sich mit Kurzsätzen. Das Sprechen kennt keinen Wortabstand wie die modernen Schriften und erst bei der Sinnentnahme erkennt der Hörer die bedeutungstragenden Einheiten wieder.

Schwierigkeiten kennen wir besonders bei nicht in der Originalsprache gesungenen Opern Janáčeks, in denen die Sprachmelodie eine besondere Rolle spielt. Im Tschechischen wird prinzipiell die erste Silbe betont, in mehrsilbigen deutschen Wörtern liegt die Betonung auf dem Wortstamm.

Dass auch eine Sprecherziehung bei SängerInnen nicht von der Hand zu weisen ist, erlebten wir bei einer Pamina, die bezauberte, solange sie nicht sprechen musste. Da wirkte sie dann fad. Und gerade das zeitgenössische Musiktheater basiert häufig auf einer engen Verflechtung von sängerischer und sprecherischer Gestaltung.

Der erste Schrei des Neugeborenen folgt dem ersten Atemzug und zeigt den Beginn des Lebens außerhalb des Mutterleibs. Wir hatten beim erst wenige Monate alten Enkel Philemon die Gelegenheit anhand des Buchs uns einzuhören. Kurze schwache Schreie mit weichen Stimmeinsätzen im Gegensatz zu starken Erregungen mit harten Einsätzen und Schreien von längerer Dauer. Das war nicht immer leicht und sein neun Jahre älterer Bruder Aeneas zeigte das bessere Gehör.  Gespannt sind wir nun nach dieser Anleitung auf die allmähliche Erweiterung des Tonhöhenumfangs und dem Absinken der mittleren Sprechstimmlage.

Wiederum zeigen sich die Autoren als Ärzte, wenn sie davor warnen, in der kindlichen Stimmentwicklung heisere Stimmen als tiefe Stimmen einzuordnen. Man muss auch zwischen echten Falschsingern, Sprechsingern und Tiefsingern unterscheiden.

Die Pubertät steht ganz im Zeichen der Mutation. Schon unser gymnasialer Musiklehrer Paul Lande hat uns darauf hingewiesen, dass auch Mädchen mutieren und ihre Stimme um eine Terz sinkt. Knabenchöre mit ihrem charakteristischen Sound werden heute immer mehr aus ideologischen Gründen verpönt. Ergebnis ist ein Gemisch aus Knaben-, Mädchen- und bereits mutierten Frauenstimmen. Da ich ein untypischer Mutant war, kann ich die drei Stadien (Vormutation, Mutation, Nachmutation) bei Buben aus eigener Erfahrung, vor allem was die zeitliche Länge betrifft, nicht bestätigen.

Als ich mit Bassstimme zu sprechen begann, meinte meine Mutter das sei gepresst und gekünstelt. Ihr brav folgend sprach ich mit einer mehr und mehr heiser und brüchig werdenden Knabenstimme. Ich sang zu der Zeit gern Freddy Quinns bassbaritonales „Brennend heißer Wüstensand“ nach,

Freddy Quinn Quelle: esc-history

so dass ich nach sechs Monaten aus der Ordination eines Hals-Nasen-Ohrenarztes – Freddy Quinn sei Dank! – mühelos mit Männerstimme und einer Stoppuhr für Atemübungen herauskam. Zum Glück waren damals noch sentimentale Gefühlsprodukte beliebt und noch nicht der Einfluss vieler Rocksänger maßgebend, die in ihrem Vortragsstil aus Merkmalen stimmlicher Fehlleistungen eine Tugend machen. Seidner und Wendler warnen übrigens während des Stimmbruchs Knaben im Chor singen zu lassen, weil für den Chorleiter zu wenig individuelle Kontrollmöglichkeiten bestehen. Zu heißen Diskussionen führte es in meinem Gymnasium, als ein außerordentlich talentierter Knabensopran trotz beginnenden Stimmwechsels zum Ruhm der Schule eine Arie der Königin der Nacht singen sollte.

Altersveränderungen der SängerInnenstimme sind Ausdruck eines unüberschaubaren geistig-leiblichen Geschehens. Wir kennen Künstlerinnen, die in reifen Jahren bei absichtlicher Einschränkung unsres Gesichtssinns als Sophie oder Gilda noch ein Erlebnis waren. Da wären die modernen, oft wirkungsvollen Dia-Vergrößerungen der Personen kontraproduktiv gewesen.

In weiterer Folge nehmen wir lebendig an einer phoniatrischen Erstordination mit seiner feinfühligen Anamnese teil. Der Traum eines Naturwissenschafters, mit Hilfe apparativer Messtechnik der menschlichen Stimme nahe zu kommen, scheitert oft allein daran, dass sich die Sängerin, der Sänger beengt fühlen und es somit zu verfälschten Ergebnissen führt, wie ich es selbst bei Ruheenergiebedarfsmessungen der Fünfzigerjahre zur Beurteilung der Schilddrüsenfunktion erfahren musste.

Nach genauer Beschreibung solcher Methoden kommen die Autoren zur Hörbeurteilung zurück. Wir geben zu, wir mussten die folgenden Absätze zu einem etwas besseren Verständnis von gehauchtem, weichem und hartem Stimmeinatz mehrmals durchlesen. Man kann auch mit der Atemstütze übertreiben. Was geschieht, wenn der gestaute Atem nach Beendigung der Gesangsphase nicht angehalten werden kann? Die mit hoher Geschwindigkeit ausströmende Luft führt zu einem ächzenden Geräusch. Quizfrage: Bei welchem berühmten Sänger wurde ein manchmal wahrnehmbares Nachächzen akzeptiert, was jedoch nicht als Vorbild anzustreben wäre? Auch hier finden Sie die Antwort in „Die Sängerstimme“.

Vibrato und Tremolo sind Reizwörter. Angaben über eine als schön empfundene Vibratofrequenz sind, wie gezeigt wird, von Partie zu Partie unterschiedlich. Die rhythmische Schwankung der Tonhöhe geht mit einer Änderung der Lautstärke und der Klangfarbe einher, die zu einer Klangqualität verschmelzen und beim Hören nicht zu unterscheiden sind. Ähnlich vernehmen wir beim Vogelgesang nicht alle Tonintervalle.

Kommen wir auf die Sprechstimme zurück und betrachten wir insbesondere die mittlere Sprechstimmlage. Hier muss man zwischen gespanntem und ungespanntem Sprechen unterscheiden. Die Indifferenzlage zur Probemessung erreicht man bei geringstem Kraftaufwand beim Sprechen von viersilbigen Zahlenreihen oder Wochentagen und bei gefühlsmäßig neutralen Texten. Die Lage liegt im unteren Drittel des Tonhöhenumfangs, ungefähr eine Quarte über der unteren Grenze. Ein Studienkollege von mir studierte parallel Gesang, was ich interessiert mit lebte. So machte ich die Erfahrung, dass sich sein Bassbariton in der Höhe mehr ausbauen ließ als in der Tiefe.

Wir nähern uns den Tauglichkeitsuntersuchungen. Da lässt man zunächst die ProbandInnen einen Ausruf (Achtung! Hallo!)  crescendieren. Frauen sind da im Nachteil, weil sie ausschließlich die Bruststimme einsetzen. In Staaten mit erhöhter Kontrolle seiner Bürger wurden solche ausscheidenden Prüfungen für alle Sprechberufe, so auch für LehrerInnen und KindergartenpädagogInnen zur Pflicht gemacht. Sie sollen ja stimmlich Vorbildfunktion ausüben, da bei der Entwicklung der Stimme sich eine bewusste und unbewusste Nachahmung auswirkt. Nach Ansicht der Autoren wirken sich die beliebten Tierstimmenimitationen nachteilig aus. Nach unsren Beobachtungen gibt man dem heutigen Freiheitsdenken zuliebe dem Lärmen und Schreien der Kinder zu sehr nach. Hier haben wir zwei Mediziner auf unserer Seite.

Thema Singstimmenprofile. Der Proband steht vor einem Messmikrofon und singt zunächst so leise wie möglich – und damit ist kein sängerisches Piano gemeint – über den gesamten Tonhöhenumfang und anschließend so laut wie möglich ohne unkontrolliertes Schreien im kontrollierten sängerischen Fortissimo. Jeder Ton muss drei Sekunden gehalten werden. Aus der Grafik ersehen wir, dass beim großen A auf dem Vokal A das Fortissimo bei 72 Dezibel (Maß der relativen Lautstärke) liegt und zwei Oktaven höher bei 105 Dezibel. Das u.a. gemessen bei einem prominenten lyrischen Tenor. Unsrer Besprechung sind Grenzen gesetzt. Beim tieferen Verständnis dieses Themas taten wir uns schwer. Oft brachte auch lexikalisches Nachschlagen nicht den Erfolg. Eine der vielen Grafiken soll auch zur Veranschaulichung dieses Sachbuchs dienen.

Als Abschluss wählen wir das Kapitel „Klassifizierung der Sing- und Sängerstimme“ aus. Hier mussten meine Frau und ich zunächst bei der Nomenklatur aufpassen. Stimmgattung wird gleichbedeutend mit Stimmlage verwendet. Was wir für Stimmgattung halten, wird hier mit Stimmtyp oder auch als Stimmfach bezeichnet. Zum Beispiel jugendlich-dramatischer Sopran oder Charaktertenor. Für mich persönlich war dieser Abschnitt besonders reizvoll, weil ich nach meiner Mutation als Opernfreund im öffentlichen Leben draußen gleichsam als Freizeitbeschäftigung aus einer Sprechstimme die Stimmlage der betreffenden Person herauszufinden versuchte. Dabei möchte ich in dieser Rezension noch einmal auf die Theorie von Sylvias Gesangspädagogin und meiner Kommandatistin, Ella Firbas, zurückkommen, die aus der Kopfform auf die Stimmlage schloss. Zum Beispiel ein breites, schildförmiges Gesicht verrät den Tenor.

Typisches Porträt eines Basses (Carlo Cava, Foto: www.teatronovecento.it)

Das Timbre kann bezüglich Stimmlage täuschen. Oft wird auch einem Klangideal nachgesungen, was für die Persönlichkeit von Nachteil ist und von der Gesangspädagogik erkannt werden muss. Siehe auch die Biografie von Heinz Zednik, Schweitzers Klassikwelt 24.  Bei der mittleren Sprechstimmlage der Männer handelt es sich zwischen Bass, Bariton und Tenor maximal um eine Terz, oft nur um einen Halbtonschritt. Bei Sopran und Alt bildet das gis die Scheidegrenze. Neben der Sprechstimme ist ein Parameter die männliche Kaustimme. Aufgrund der Wesenseinheit von Kau- und Artikulationsbewegungen können beim lustbetonten Kauen stimmliche Äußerungen hervorgebracht werden. Die liegen beim Tenor zwischen A und c, also nicht in seinem normalen Stimmumfang, beim Bariton im tiefsten bassbaritonalen Bereich. Auch die Körpergröße wird eingebunden. Tenöre sind nicht größer als 180 cm, Bässe selten kleiner als 170 cm. Baritone haben einen relativ kleinen Stimmumfang. Das fiel uns zum Beispiel beim Lesen des Klavierauszugs von Verdis „Rigoletto“ auf. Die Titelpartie erreicht ohne zur Tradition gewordenen Alternativtönen keine zwei Oktaven!

Wir glauben ein sehr interessantes Werk vorgestellt zu haben.

Lothar und Sylvia Schweitzer, 11. Dezember 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Schweitzers Klassikwelt (c) erscheint jeden zweiten Dienstag.

Lothar und Sylvia Schweitzer

Lothar Schweitzer ist Apotheker im Ruhestand. Gemeinsam mit seiner Frau Sylvia schreibt er seit 2019 für klassik-begeistert.de: „Wir wohnen im 18. Wiener Gemeindebezirk  im ehemaligen Vorort Weinhaus. Sylvia ist am 12. September 1946 und ich am 9. April 1943 geboren. Sylvia hörte schon als Kind mit Freude ihrem sehr musikalischen Vater beim Klavierspiel zu und besuchte mit ihren Eltern die nahe gelegene Volksoper. Im Zuge ihrer Schauspielausbildung statierte sie in der Wiener Staatsoper und erhielt auch Gesangsunterricht (Mezzosopran). Aus familiären Rücksichten konnte sie leider einen ihr angebotenen Fixvertrag am Volkstheater nicht annehmen und übernahm später das Musikinstrumentengeschäft ihres Vaters. Ich war von Beruf Apotheker und wurde durch Crossover zum Opernnarren. Als nur für Schlager Interessierter bekam ich zu Weihnachten 1957 endlich einen Plattenspieler und auch eine Single meines Lieblingsliedes „Granada“ mit einem mir nichts sagenden Interpreten. Die Stimme fesselte mich. Am ersten Werktag nach den Feiertagen besuchte ich schon am Vormittag ein Schallplattengeschäft, um von dem Sänger Mario Lanza mehr zu hören, und kehrte mit einer LP mit Opernarien nach Hause zurück.“

Schweitzers Klassikwelt 24: Heinz Zednik – ein Opernleben

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