Adina (Claudia Muschio), Belcore (Björn Bürger), Staatsoper Stuttgart © Martin Sigmund
von Lothar und Sylvia Schweitzer
Mit der Aufnahme ins Repertoire von „L’elisir d’amore“ scheint auch heute ein Opernbetrieb zu punkten. Das zeigte ein spontaner Szenenapplaus, als Nemorino und Adina endlich zusammenfinden. In dieser Vorstellung war viel junges Publikum in der Wiener Staatsoper zu sehen. Wir bleiben, mag sein aus größerer Lebenserfahrung, skeptisch, was die Zukunft dieses ungleichen Paars betrifft.
Versuchen wir uns in das Gefühlsleben Adinas zu versetzen, aber beginnen wir ganz sachlich. Im italienischen Text wird Adina als fittaiuola tituliert, was Pächterin bedeutet. Für „OPERA – Komponisten, Werke, Interpreten“ ist sie sogar Gutsbesitzerin. Der eitle Belcore wird in wörtlicher Übersetzung als Sergeant einer Garnison im Dorf bezeichnet. Er ist damit der ranghöchste Unteroffizier der im Dorf stationierten Truppen, der sich in unsrem Fall wie ein hochrangiger Offizier gebärdet. Vielleicht mit einem Dienstführenden im österreichischen Bundesheer zu vergleichen. Bei Nemorino steht als Beifügung Bauer. Ein weiter Begriff für einen Berufsstand. Es wird sich wahrscheinlich um einen Kleinbauern, ja einen Kleinhäusler handeln (Winterfutterstand vier Kühe, in einem in Österreich Keuschen genannten Kleinhaus wohnend), der einem Nebenerwerb nachgehen muss.
Was in dem Stück anfangs zwar gezeigt wird, aber im Laufe der Handlung zur Nebensache wird, ist der große Bildungsunterschied zwischen der literaturbeflissenen Adina und Nemorino.
In diesem „Kellertheater“ wurde die Oper mit Klavierbegleitung gespielt und erzeugte damit die Atmosphäre eines ersten Spielens vor geladenem Publikum.
Und der Altersunterschied? Adina sagt an einer Stelle zu Belcore: „Habt Mitleid mit ihm, er ist ein Junge. Un ragazzo wird hier aus dem Kontext heraus nicht mit „junger Mann“ oder „Bursche“, sondern mit „Junge“ übersetzt.
Der Ort bleibt mit Baskenland sehr unbestimmt, ob nördlich oder auf der südschauenden Seite der Pyrenäen, und auch Auswirkungen der französischen Revolution auf das Feudalsystem sind nicht erkennbar.
Was im Personenverzeichnis des Textbuchs und in einigen Opernhandbüchern auffällt, dass neben der Angabe der Stimmlage auch die besondere Art der Person vermerkt wird. Bei Nemorino: einfacher junger Mann, bei Adina: kapriziöse bzw. launige Landpächterin. Adinas Charakter und ihrer Folgerichtigkeit oder Widersprüchlichkeit im Handlungsablauf wollen wir nachgehen.
Als Titelbild haben wir ein Foto der Inszenierung von Anika Rutkofsky ausgewählt, weil uns bei diesem Schnappschuss Adinas Wesen besonders gut getroffen erscheint.
Adina spielt gegenüber dem selbstbewussten Unteroffizier, der mit seinem Truppenverband ins Dorf eingerückt ist, die „verteidigenden Erfahrungen“ (Baron Ochs, Der Rosenkavalier) aus: „Diese Männer! Sie singen schon vom Sieg, bevor sie überhaupt gekämpft haben.“ Aber die Unsicherheit im Werben des Kleinbauern Nemorino wirkt ganz und gar nicht anziehend. Er zeigt zu viel Schmerz und Melancholie. Mitleid ist auch keine Grundlage, auf der man etwas aufbauen könnte. Und – ewige Liebe, davon träumt Adina (noch) nicht. Rein äußerlich gefällt ihr der eitle Geck eines feschen Offiziers und ein dementsprechender Bariton ist für das Casting notwendig. Dass der Schönling aber gleich von Heirat spricht, ist bei diesem Typen für uns nicht ganz nachvollziehbar. Schon eher, dass er in jeder Garnison eine Braut hat. Außerdem geben wir zu bedenken, dass Truppen von Garnison zu Garnison wechselten, Kinder aus Offiziersfamilien deshalb als Tornisterkinder bezeichnet wurden. Adina aber als Landpächterin ein ortsgebundenes Leben führt.
Auch wenn der sogenannte Liebestrank des vazierenden Heilpraktikers „Bittersüß“ nichts anderes ist als ein Tropfen guten Weins, hat er seine physiologische Wirkung. Man spricht bei einer gewissen Blutkonzentration vom Stadium der Toleranz und der Gleichgültigkeit. Es macht die junge Frau nicht sympathisch, wenn sie einerseits den Kleinbauern nicht ernst nimmt, sich aber andrerseits ärgert, wenn er ihr gelassener entgegentritt. „Ich will mich an ihm rächen, will ihn quälen, will, dass er voller Reue mir zu Füßen fällt.“ Spielt hier nicht ein Sadismus mit?
Beginnt der zweite Akt wirklich mit einer Hochzeitsfeier? Doch anscheinend ist eine Hochzeit in Abwesenheit des jungen Bauern für Adina keine richtige Hochzeit. Belcore wundert sich, dass Adina einen Aufschub bis in den Abend will.
Es zeigt das Berechnende dieses dörflichen Milieus, dass Nemorino als Erbe eines reichen, gerade verstorbenen Onkels an Wert steigt. Doch weder er noch Adina wissen von dem sonst durch das ganze Dorf gehenden Gerücht. Von den Mädchen plötzlich umschwärmt wandelt sich seine Persönlichkeit. Er macht zum ersten Mal die Erfahrung eines Siegers und ist nicht mehr der ewige Verlierer. Obwohl diese andere Seite ihres Verehrers Adinas Empfindungen durcheinander bringen, der springende Punkt scheint zu sein, dass Nemorino, wie Adina erfährt, nicht nur von seiner Liebe und seinem Begehren spricht, sondern sich für seine Gefühle auch einsetzt. Um noch mehr vom vermeintlichen Liebestrank kaufen zu können, geht er des Soldes wegen zu den Soldaten, wo er nicht sicher sein kann, jemals lebend und gesund zurückzukehren. Mitverwoben in Adinas Gefühlswandel mag auch das drohende plötzliche Nicht-mehr-Dasein dieses Menschen mitspielen. Abseits dieser Liebesgeschichte ist es immer ein schönes Erlebnis ungeahnte schöne Züge bei einem Menschen kennenzulernen.
Lothar und Sylvia Schweitzer, 20. Februar 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Schweitzers Klassikwelt (c) erscheint jeden zweiten Dienstag.
Lothar und Sylvia Schweitzer
Lothar Schweitzer ist Apotheker im Ruhestand. Gemeinsam mit seiner Frau Sylvia schreibt er seit 2019 für klassik-begeistert.de: „Wir wohnen im 18. Wiener Gemeindebezirk im ehemaligen Vorort Weinhaus. Sylvia ist am 12. September 1946 und ich am 9. April 1943 geboren. Sylvia hörte schon als Kind mit Freude ihrem sehr musikalischen Vater beim Klavierspiel zu und besuchte mit ihren Eltern die nahe gelegene Volksoper. Im Zuge ihrer Schauspielausbildung statierte sie in der Wiener Staatsoper und erhielt auch Gesangsunterricht (Mezzosopran). Aus familiären Rücksichten konnte sie leider einen ihr angebotenen Fixvertrag am Volkstheater nicht annehmen und übernahm später das Musikinstrumentengeschäft ihres Vaters. Ich war von Beruf Apotheker und wurde durch Crossover zum Opernnarren. Als nur für Schlager Interessierter bekam ich zu Weihnachten 1957 endlich einen Plattenspieler und auch eine Single meines Lieblingsliedes „Granada“ mit einem mir nichts sagenden Interpreten. Die Stimme fesselte mich. Am ersten Werktag nach den Feiertagen besuchte ich schon am Vormittag ein Schallplattengeschäft, um von dem Sänger Mario Lanza mehr zu hören, und kehrte mit einer LP mit Opernarien nach Hause zurück.“
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