Schweitzers Klassikwelt 127: Musiktheater in der Weihnachtszeit

Schweitzers Klassikwelt 127: Musiktheater in der Weihnachtszeit  klassik-begeistert.de, 3. Dezember 2024

Die MET in weihnachtlichem Glanz © Lothar Schweitzer

von Lothar und Sylvia Schweitzer

Städte und Dörfer verwandeln sich zur Advent- und Weihnachtszeit. Wir haben den Wandel einer Stadt am Anfang des Advents anlässlich zweier Opernbesuche in Basel eindrucksvoll erlebt. Wobei bei fortschreitender Säkularisierung die Grenze zwischen Advent und Weihnachtszeit undeutlich wird und alles schon ab der ersten Adventwoche im hellen Lichterglanz erstrahlt.
Liturgisch gesehen beginnt die Weihnachtszeit mit dem Heiligen Abend und dauert bis zum Sonntag nach Epiphanie. In Österreich ist der 6. Januar, im Volksmund Dreikönigstag genannt, ein Feiertag und die Schulferien sind auch bis zu dem Tag ausgeweitet. Früher ließ man oft die Christbäume und die Krippen bis zum 2. Februar dem Tag der „Darstellung des Herrn im Tempel“ stehen. Dieser Tag ist kein gesetzlicher Feiertag, obwohl der Evangelist Lukas, der Ähnlichkeiten mit einem modernen Regisseur hat, wahrscheinlich diese Szene und nicht die populärere, von uns romantisierte Hirtenerzählung (ποιμένες wäre in seinem Sinn mit „Gesindel“ zu übersetzen) als einen der Höhepunkte seiner Erzählkunst sah.

Wenn wir „Frohe Weihnachten!“ hören, was stellen sich die Wünschenden und ihre Empfänger eigentlich vor? In unsren Breiten vielleicht auch ein Wintermärchen. Aber sogar auf der sommerlichen südlichen Halbkugel sieht nach Sonnenuntergang Weihnachten nicht anders aus.

Malediven Weihnachten 2009 © Lothar Schweitzer

Zumindest damals waren im Inselstaat der Islamisch präsidentiellen Republik die für den Fremdenverkehr genutzten Inseln von den Einwohnerinseln abgesondert.

Apropos Märchen. Als ein Fest auch der Kinder sehen sich viele Opernhäuser bemüßigt in der besagten Zeit Humperdincks spätromantisches Werk „Hänsel und Gretel“ in möglichst dichter Reihenfolge aufzuführen. Deshalb war diese Oper auch eines unsrer drei MET-Erlebnisse, als wir Weihnachten 2007 in New York verbrachten.

MET Foto: Lothar Schweitzer

Unsre Eindrücke von der Zeit in dieser Metropole wäre vielleicht einen eigenen Beitrag wert.

Diese Saison 2024/25 wird an der MET „Hansel and Gretel“ von Mozarts „The Magic Flute“ ersetzt. Knapp vor dem 24. Dezember wird das symbolüberfrachtete Kunstmärchen von Hugo von Hofmannsthal (Musik Richard Strauss) „Die Frau ohne Schatten“ eingeschoben.

Im Staatstheater Nürnberg werden sich kommende Weihnachtszeit „Hänsel und Gretel“ mit einem Werk der leichten, unterhaltenden Kunst, der Operette „Märchen im Grandhotel“ von Ábrahám Pál abwechseln.

Die Bayerische Staatsoper wird neben „Die Zauberflöte“ Ballettabende bringen. „La Sylphide“ des nicht so bekannten französischen Komponisten Jean Schneitzhoeffer und das klassische Prokofjew-Ballett „Romeo und Julia“. Mit Kindereinführungen vorher im Königssaal des Nationaltheaters. Bemerkenswert ist, dass beide Stücke mit Herbeiführungen des Todes enden. Rechtzeitig zwei Tage vor dem Heiligen Abend ist die Premiere von Donizettis Opéra-comique „La fille du régiment“ geplant.

Ein sehr für die Jüngsten zugeschnittenes Programm bietet die Deutsche Oper Berlin. Neben Humperdincks populärster Oper bietet die Direktion Janáčeks „Das schlaue Füchslein“ an. Die DOB empfiehlt es ab zehn Jahren an. Uns wundert immer wieder, dass dieses pantheistisch ausgerichtete und melancholische Werk für Kinder geeignet sein soll.

Interessant wird „immmermeeehr“ – Sie lesen richtig! – von Gordon Kampe (*1976), Libretto Maria Milisavljević, werden. Ort ist nicht die große Oper, sondern ihre Tischlerei. Es ist eine Uraufführung. Kinder auf der Bühne sollen für gleichaltrige Kinder im Publikum (empfohlen ab acht Jahren) spielen. Die Inhalte werden unter Beteiligung der Kinder des Kinderchors und einer Grundschulklasse entwickelt. Sorgen und Probleme wie Leistungsdruck, Ausgrenzungserfahrungen bis hin zu Traumata von Flucht und Vertreibung, werden angesprochen. Es werden auch Gedanken über Lösungswege gemacht.

Ein vielleicht unserer Zeit angepasstes Sujet von Kästners „Das fliegende Klassenzimmer“, einem Kultroman unsrer Jugend, der im Advent und am Heiligen Abend spielt.

Das Tiroler Landestheater wählt für die Weihnachtszeit „Hair“, „Der Rosenkavalier“, „Falstaff“ und „Frau Luna“, vom Vater der Berliner Operette. In den vom Landestheater benutzten Kammerspielen in der Universitätsstraße hatte im Mai 2023 „Bergkristall“, eine Oper von Michael F.P. Huber, Text vom Kolumnisten der Tiroler Tageszeitung Alois Schöpf als Auftragswerk des Tiroler Landestheaters nach der Erzählung von Adalbert Stifter Uraufführung. Dieses um den Heiligen Abend spielende Werk geht uns im Großen Haus ab. „Die Rettung der Kinder wird zu einem Auferstehungsfest, als ob Weihnachten und Ostern zusammenfallen würden.“ (Online Merker, Thomas Nußbaumer)

Und welches „Weihnachtsprogramm“ hat aus ihrem reichen Bestand die Wiener Staatsoper diese Spielzeit vor? Es ist zur Tradition geworden, am 31. Dezember und am 1. Januar „Die Fledermaus“ von Johann Strauß zu spielen. Bis zum 6. Januar sind dann noch ein oder mehrere Wiederholungen geplant. Diesmal nur noch am 4. Januar. Ansonsten bestimmen zu der Zeit bis zum 6. Januar „Hänsel und Gretel“ und das Ballett „Dornröschen“ das Repertoire. Aus diesem Rahmen wird nur Verdis „Rigoletto“ fallen und am 6. Januar „Turandot“.

In der vorigen Saison bestimmte während der Weihnachtszeit neben der Märchenoper noch ein für Kinder adaptierter „Fliegender Holländer“ unter dem Titel „Das verfluchte Geisterschiff“ als Matinee das Weihnachtsprogramm. Richard Wagners wunderbare Musik wird verbunden mit einem Ausgang ohne den Opfertod einer Frau im Original.

Grafische Gestaltung: Irene Neubert

Das Ballettprogramm brachte nicht das klassische „Dornröschen“, sondern drei handlungsfreie Ballette verschiedener Komponisten unter dem gemeinsamen Titel „Shifting Symmetries“ („Sich verschiebende Symmetrien“) mit enormer Bewegungsvielfalt. Die Salzburger Nachrichten übertitelten: „Staatsballett nimmt Weihnachten cool“ und Marietta Steinhart von der APA schreibt darin von „vielen rechten Winkeln und horizontalen Linien“ und dass die Musik „Schauer durch die weichen Sitze der Staatsoper schickt“.

Shifting Symmetries © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor

Vor 64 Jahren war das Programm nicht so deutlich für die besondere Zeit maßgeschneidert. Zwar gab es am Christtag als Nachmittagsvorstellung „Die Puppenfee“ und am Abend „La Cenerentola“ – im Redoutensaal „Così fan tutte“ -, aber sonst ließ der Spielplan, von der „Fledermaus“ zum Jahreswechsel abgesehen, die Weihnachtszeit nicht immer erahnen: „Der Rosenkavalier“, „Capriccio“, „Le nozze di Figaro“, „Così fan tutte“ und „Der Wildschütz“ waren musikalische Komödien bzw. scherzhafte Opern mit nachdenklichem Inhalt. „Cavalleria rusticana“/„Pagliacci“, „Carmen“, „Tosca“ sowie „Madama Butterfly“ zeigten Opern mit tragischem, teils brutalem Ausgang.

Drei Aufführungen haben in den früheren Weihnachtszeiten der Festlichkeit entsprochen und sich dem Gedächtnis besonders eingeprägt. Es waren Erstbegegnungen. „Così fan tutte“ im Ambiente des Redoutensaals der Wiener Hofburg mit einem idealen Mozart-Ensemble: Schwarzkopf, Ludwig, Dermota, Kunz, Loose und Schöffler. Nicht verwunderlich das Bedürfnis dieser Oper zwei Jahre später zu gleicher Zeit und am selben Ort mit leicht veränderter Besetzung wieder zu begegnen. In der Regie von Josef Witt erlebte man eine etwas oberflächliche Leichtigkeit. Man/frau hatte noch nicht das Gefühl, aus dem Spiel könnte ernst werden.

Wenige Tage nach der Erstbegegnung mit „Così fan tutte“ ist sogar das genaue Datum, der 5. Januar 1961, unvergessen geblieben und in Schweitzers Klassikwelt 52 diesem ersten Capriccio-Abend ein Denkmal gesetzt. Nie mehr haben wir eine solche Capriccio-Sternstunde erlebt.

Ein Jahr später ist der 6. Januar wie ein Geburtsdatum. In „Klassik begeistert – Unsere Lieblingsoper (44)“ suchten wir das Neue und Besondere in Claude Debussys „Pelléas et Mélisande“ mit den Worten einzufangen: „Nach kurzem Aufbäumen der Musik die Stille, das nicht Ausgesprochene.“

Weihnachten zu Gast bei unseren rheinländischen Verwandten animierten wir sie für Korngolds „Die tote Stadt“ in der Kölner Oper mit dem Ergebnis, dass wir spontan noch vor Silvester Brügge besuchten, um die Oper nachwirken zu lassen.

Fernand Khnopff, Pastell auf Papier

Lothar und Sylvia Schweitzer, 3. Dezember 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Schweitzers Klassikwelt (c) erscheint jeden zweiten Dienstag.

Lothar und Sylvia Schweitzer

Lothar Schweitzer ist Apotheker im Ruhestand. Gemeinsam mit seiner Frau Sylvia schreibt er seit 2019 für klassik-begeistert.de: „Wir wohnen im 18. Wiener Gemeindebezirk  im ehemaligen Vorort Weinhaus. Sylvia ist am 12. September 1946 und ich am 9. April 1943 geboren. Sylvia hörte schon als Kind mit Freude ihrem sehr musikalischen Vater beim Klavierspiel zu und besuchte mit ihren Eltern die nahe gelegene Volksoper. Im Zuge ihrer Schauspielausbildung statierte sie in der Wiener Staatsoper und erhielt auch Gesangsunterricht (Mezzosopran). Aus familiären Rücksichten konnte sie leider einen ihr angebotenen Fixvertrag am Volkstheater nicht annehmen und übernahm später das Musikinstrumentengeschäft ihres Vaters. Ich war von Beruf Apotheker und wurde durch Crossover zum Opernnarren. Als nur für Schlager Interessierter bekam ich zu Weihnachten 1957 endlich einen Plattenspieler und auch eine Single meines Lieblingsliedes „Granada“ mit einem mir nichts sagenden Interpreten. Die Stimme fesselte mich. Am ersten Werktag nach den Feiertagen besuchte ich schon am Vormittag ein Schallplattengeschäft, um von dem Sänger Mario Lanza mehr zu hören, und kehrte mit einer LP mit Opernarien nach Hause zurück.“

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