Pausenfoto Salzburger Festspiele 1950. Anton Dermota als Don Ottavio mit seiner Frau Hilda © Österreichisches Theatermuseum Wien.
An der Wiener Staatsoper sang Dermota zwischen 1937 und 1968 120 mal den Don Ottavio um Längen vor Kollegen mit 67 (Georg Maikl), 58 (Georg Müller) und 50 (Peter Schreier) Abenden. Als Augen- und Ohrenzeugen können wir beurteilen: Er besaß eine schöne Stimme, aber mit wenig Temperament. Er selbst bestätigte, dass die Passivität des Don Ottavio ein Einspringen erleichtert.
von Lothar und Sylvia Schweitzer
In Rudolf Kloibers Handbuch werden das bäuerliche Paar Zerlina und Masetto als mittlere Partien bezeichnet, während die etwas blasse Rolle des Don Ottavio als große Rolle angeführt wird. Soll damit eine Parallelität zu seiner Verlobten Donna Anna hergestellt werden?
Zu denken gibt, dass, nachdem Donna Anna die Ermordung ihres Vaters, „der ihr das Leben gab“, miterleben musste und das Bewusstsein verlor, den über sie gebeugten Verlobten beim Erwachen nicht gleich erkannte. „Tu sei! – perdon – mio bene.“ Das „mio bene“, wörtlich „mein Guter“ wird sehr gegensätzlich in den deutschsprachigen Operntexten übersetzt: eigenartig distanziert mit „mein Freund“ und in der superlativen Steigerungsform „mein Liebster“.
Don Ottavio tröstet sich und glaubt damit auch seine Verlobte trösten zu können: „Hai sposo e padre in me.“ In der Übersetzung um Nuancen anders: „Dein Bräutigam beschirmt als Vater dich.“ Als Antwort bekommt er zu hören: „Wo ist mein Vater?“
In der dreizehnten Szene (Rezitativ und Arie) dominiert Donna Anna mit ihrer Erzählung des schrecklichen Erlebnisses mit dem in Verdacht geratenen Don Giovanni. Don Ottavio fungiert bloß als Stichwortgeber. Die vierzehnte Szene besteht Don Ottavio allein mit einer Einleitung und mit der für die Wiener Aufführung nachkomponierten berühmten Arie „Dalla sua pace“, „Nur ihrem Frieden weih’ ich mein Leben.“
Erst in drei letzten Szenen des Ersten Akts, in der 19., 20. und 21. Szene hören wir wieder unseren einzigen (lyrischen) Tenor der Oper, größtenteils im Ensemble. Überraschend fordert er Don Giovanni zum Duell, Donna Elvira, die Don Giovanni noch immer verehrt, wirft sich dazwischen und Donna Anna sinkt wieder einmal in Ottavios Arme.
Don Ottavio läuft auch in der siebenten Szene des 2. Akts Donna Annas Schmerz über ihren toten Vater atemlos hinterher. Ihre Flut der Tränen störe den Seelenfrieden ihres Vaters. Aber sie entgegnet ihm: „Gönne mir den Trost der Tränen!“ Erst im Grab wird ihr Schmerz erloschen sein. Er setzt nun alle Hoffnung darauf, als erfolgreicher Rächer mehr Glück bei ihr zu haben.
In der zwölften Szene des 2. Akts kann Ottavio mehr Hoffnung schöpfen. Donna Anna: „Immerdar bleibt mein Herz treu dir ergeben.“ „Ja du weißt, dass ich dich liebe, dass mein Leben dir geweiht.“ Ein Lichtblick bleibt, dass nach dem Sturm Sonnenschein folgen kann.
Nach Don Giovannis Höllenfahrt ohne rächendes menschliches Zutun nimmt sich Ottavio den Mut zu einem neuerlichen Antrag. Donna Annas Antwort. „Gönne Ruhe noch meinen Schmerzen, lass’ ein Jahr vorübergehen!“ Ohne ein privates Happy End bleibt das Stück letzten Endes rein moralisierend.
Der Lyriker Ottavio hat im Gegensatz zu Don Giovanni nichts Männliches an sich. Schon die Art und Weise – musikalisch und textlich – wie er sich als Beschützer seiner Verlobten präsentiert, wirkt eigenartig. In „Dalla sua pace la mia dipende“ hören wir: „Seh’ ich sie leiden, sterb’ ich vor Pein. Ja, ihre Seufzer sind auch die meinen.“ Dann erst folgt: „Und mein ihr Zürnen, und mein ihr Weinen.“ Wobei der Moderoman Goethes „Die Leiden des jungen Werther“ – Erstveröffentlichung 1774, „Don Giovanni“- Uraufführung 1787 – in dreizehn Jahren noch nicht die Gegenreaktion „Ein Mann weint nicht.“ hervorgerufen hat, also durchaus auch als männliche Eigenschaft anerkannt ist.
Hätte Monteverdi die Partie des Don Ottavio für einen männlichen oder weiblichen Alt geschrieben? Diese Stimmgattungen würden für den glücklos Liebenden ebenfalls passen. Wir erinnern an den Ottone vom Countertenor Xavier Sabata in „L’incoronazione di Poppea“. Die Verzweiflung des Liebenden bekommt weibliche Züge. Eine ungewöhnliche, ursprünglichere Wahl der Stimmlagen wird wieder modern. In Karajans „L’incoronazione di Poppea“ 1963 interpretiert den Ottone noch der Bariton Otto Wiener. Die Macht der Liebe und die Leidenschaft in Person Neros wechselte in der Produktion vom Jahr 2021 vom Charaktertenor Gerhard Stolze zur Mezzosopranistin Kate Lindsey.

In Alexander Raskatovs „Animal Farm“ singt ein Sänger, der den „Max“ im „Freischütz“ im Repertoire hat, die Partie des Schweinemädchens Pigetta als Haute-Contre. Tenor und Bariton mutieren oft zum Countertenor oder zum Alt zurück.
Lothar und Sylvia Schweitzer, 21. Januar 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Schweitzers Klassikwelt (c) erscheint jeden zweiten Dienstag.
Lothar und Sylvia Schweitzer
Lothar Schweitzer ist Apotheker im Ruhestand. Gemeinsam mit seiner Frau Sylvia schreibt er seit 2019 für klassik-begeistert.de: „Wir wohnen im 18. Wiener Gemeindebezirk im ehemaligen Vorort Weinhaus. Sylvia ist am 12. September 1946 und ich am 9. April 1943 geboren. Sylvia hörte schon als Kind mit Freude ihrem sehr musikalischen Vater beim Klavierspiel zu und besuchte mit ihren Eltern die nahe gelegene Volksoper. Im Zuge ihrer Schauspielausbildung statierte sie in der Wiener Staatsoper und erhielt auch Gesangsunterricht (Mezzosopran). Aus familiären Rücksichten konnte sie leider einen ihr angebotenen Fixvertrag am Volkstheater nicht annehmen und übernahm später das Musikinstrumentengeschäft ihres Vaters. Ich war von Beruf Apotheker und wurde durch Crossover zum Opernnarren. Als nur für Schlager Interessierter bekam ich zu Weihnachten 1957 endlich einen Plattenspieler und auch eine Single meines Lieblingsliedes „Granada“ mit einem mir nichts sagenden Interpreten. Die Stimme fesselte mich. Am ersten Werktag nach den Feiertagen besuchte ich schon am Vormittag ein Schallplattengeschäft, um von dem Sänger Mario Lanza mehr zu hören, und kehrte mit einer LP mit Opernarien nach Hause zurück.“
Schweitzers Klassikwelt 128: Hänsel und Gretel klassik-begeistert.de, 7. Januar 2025