Umschlaggestaltung: P. Agentur für Markengestaltung – nach einer Grundkonzeption von Mediabureau Di Stefano, Berlin Titelbild: Hugo Wolf nach einer Fotografie um 1895
Fast haben wir Hemmungen, die große Bedeutung der musikhistorischen Werke Dietrich Fischer-Dieskaus hervorzuheben, als wäre sein begnadetes Sängerleben nicht genug. Wir müssen vonseiten des Künstlers ein sehr gewissenhaftes und zeitraubendes Quellenstudium für so viele wertvollen Einzelheiten aus dem Leben des Komponisten Hugo Wolf annehmen.
von Lothar und Sylvia Schweitzer
Auf Umwegen kamen wir dazu, das inzwischen nur mehr antiquarisch erhältliche Buch aus dem Henschel Verlag wieder aufzuschlagen. Auch im Roman „Cilia“ des Autors Matthias Mander wird ein Lebensabschnitt Hugo Wolfs erwähnt. Aber erfundene Hauptfigur ist in diesem Roman eine schwanger allein gelassene junge Frau, deren Selbstfindung zum Plädoyer für das Leben wird.
Auf ihrem beschwerlichen Weg zurück in ihre steirische Heimat erleidet Cilia in ihrem Heimatbezirk Murau angekommen eine Gedankenflut, die der Schriftsteller gern als Stilmittel einsetzt. Auf Seite 167 lesen wir: „Immer wieder die seltsame Weigerung des Komponisten Hugo Wolf, das Kind seiner Schwester in Murau zur Taufe zu halten.“ Und auf Seite 227 wird während einer Autofahrt genauer ausgeführt: „Das schnelle Schweben über den Murböschungen vergleitet in langsames Einmünden nach Murau… Und dort: Das Haus, aus dem 1886 der Tondichter Hugo Wolf vor dem Neugeborenen seiner Schwester erschauerte und in die Wälder flüchtete.
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Aber nachdem der damals sechsundzwanzigjährige Komponist zuerst vor der Taufe des Säuglings seiner ältesten Schwester Modesta und seines Schwagers Strasser in den Murauer Wald davongerannt war, ja sofort bei der Geburtsnachricht abreisen wollte – ein kleines Kind, ich gehe fort! –, liebte er später diese kleine Nichte so sehr, dass er bei dem Säugling gern Wache hielt, wenn Modesta aus dem Haus gehen musste.“
Nun wollten wir diese allzu menschliche und rührselige Geschichte, die mit den Augen eines Dichters geschrieben wurde, mit Fischer-Dieskaus nicht nur literarischem, sondern auch sachkundigem Text vergleichen.
Wir werden – welcher Zufall! – wieder auf Seite 167 fündig: „Im Sommer 1886 hofft Wolf auf ruhige Arbeitstage im Familienkreis seiner Schwester Modesta, mit deren Mann er sich so glänzend versteht… Modesta hat wenige Tage vor Wolfs Ankunft ein Töchterchen geboren. Der Säugling schreit, die übrigen Kinder liegen krank… Die Wut steigt so weit, dass er die Patenschaft für das neue Kind ablehnt. Er reagiert auf die Bitte gar nicht, sondern verlässt stumm das Haus und bleibt für den Tag unauffindbar. Wo er sich im Regen von mittags bis abends aufgehalten hat, erfährt niemand.
Der Entschuldigungsbrief am nächsten Morgen auf dem Frühstückstisch lässt in Wolfs von der Krankheit mitbedingten Zustand blicken. ,Es ist leider nicht das erste Mal, dass ich in einem solchen Seelenzustand mich befinde. Dadurch habe ich die Überzeugung gewonnen, dass meine Gemütsbeschaffenheit eine durchaus kranke ist und bleiben wird. Was gäbe ich darum, wenn ich Dir den kleinen Dienst, Patenstelle bei Deinem Kind vertreten zu haben, getan hätte! Aber da flüsterte mir so ein Teufel (und ich beherberge Legionen in mir) ins Ohr, dass ich’s nicht tun sollte, weil Dich das schmerzen werde.‘ Versöhnung folgt auf dem Fuß und ein weiterer Aufenthalt von vier Monaten.“
Nicht immer wird uns bei Dietrich Fischer-Dieskau ein sympathischer Charakter vorgestellt. Manches uns Abstoßendes mag vielleicht schon als Vorzeichen seiner geistigen Erkrankung zu entschuldigen sein. Wir sind dadurch immer wieder verleitet gewesen, das Buch weg zu legen. Im überwiegenden Teil I schildert uns Fischer-Dieskau das Leben des Komponisten. Das letzte Viertel des Bands analysiert sein musikalisches Werk. Wir wollen daraus in einer weiteren Folge näheres Interesse Erweckendes auslesen.
Übrigens: Hugo Wolfs unmittelbare Vorfahren stammen aus mehrsprachigen Landschaften der altösterreichischen Monarchie, die heute zur Region Friaul-Julisch-Venetien und zu Slowenien gehören. Hugo Wolf ist in der damaligen Untersteiermark, heute ein Teil Sloweniens geboren. Die deutsche Sprache nahm aber in der Familie überhand, so dass der slowenische Familienname Vouk in Wolf übersetzt wurde.
Lothar und Sylvia Schweitzer, 17. Februar 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Schweitzers Klassikwelt (c) erscheint jeden zweiten Dienstag.
Lothar und Sylvia Schweitzer
Lothar Schweitzer ist Apotheker im Ruhestand. Gemeinsam mit seiner Frau Sylvia schreibt er seit 2019 für klassik-begeistert.de: „Wir wohnen im 18. Wiener Gemeindebezirk im ehemaligen Vorort Weinhaus. Sylvia ist am 12. September 1946 und ich am 9. April 1943 geboren. Sylvia hörte schon als Kind mit Freude ihrem sehr musikalischen Vater beim Klavierspiel zu und besuchte mit ihren Eltern die nahe gelegene Volksoper. Im Zuge ihrer Schauspielausbildung statierte sie in der Wiener Staatsoper und erhielt auch Gesangsunterricht (Mezzosopran). Aus familiären Rücksichten konnte sie leider einen ihr angebotenen Fixvertrag am Volkstheater nicht annehmen und übernahm später das Musikinstrumentengeschäft ihres Vaters. Ich war von Beruf Apotheker und wurde durch Crossover zum Opernnarren. Als nur für Schlager Interessierter bekam ich zu Weihnachten 1957 endlich einen Plattenspieler und auch eine Single meines Lieblingsliedes „Granada“ mit einem mir nichts sagenden Interpreten. Die Stimme fesselte mich. Am ersten Werktag nach den Feiertagen besuchte ich schon am Vormittag ein Schallplattengeschäft, um von dem Sänger Mario Lanza mehr zu hören, und kehrte mit einer LP mit Opernarien nach Hause zurück.“
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