Diese Attikafiguren von Friedrich Steger zierten das Wiener Ringtheater, das am 8. Dezember 1881 unmittelbar vor Beginn von „Hoffmanns Erzählungen“ durch einen verheerenden Brand zerstört wurde. Die Figuren konnten gerettet werden, nicht aber 384 Opernbesucher. Kunstmäzen Max Schmidt aus der bekannten Wiener Möbelfabrikantendynastie erwarb die Figuren für seinen privaten Schlosspark Wien-Pötzleinsdorf, den er 1934 der Stadt Wien übereignete. Noch in unserer Kindheit sprach man vulgo vom Schmidt-Park. Die Wiesen waren damals mit Margeriten übersät, die man zu gewissen Zeiten pflücken durfte. Die Statuen sind dort in der Original-Reihenfolge (von links nach rechts) Alt, Tenor, Sopran, Bass aufgestellt. Foto © Lothar Schweitzer
Immer wieder lesen meine Frau und ich von KollegInnen, meistens weiblichen Geschlechts, dass sie sich von einer speziellen Stimmlage besonders angesprochen fühlen. Gerade in der Corona-Krise, wo die aktuelle Berichterstattung nicht platzfüllend sein konnte, standen Reflexionen im Vordergrund, in denen sich viele diesbezüglich outeten.
von Lothar und Sylvia Schweitzer
Ich stelle mir jetzt die Frage, ob das bei mir auch der Fall ist. Angefangen hat mein Interesse an Opern im Alter von vierzehneinhalb Jahren, als ich von meinem Lieblingslied „Granada“ des Komponisten und Medien-Stars Agustín Lara eine Single mit Mario Lanza bekam. Ich kannte bisher nur die Interpretation der Chanson- und Schlagersängerin und auch Schauspielerin Caterina Valente. Der Mexikaner Lara hatte einen Liederzyklus für Tenor über spanische Städte im Stil von Opernarien vertont. Jetzt war mein Interesse an dem Genre geweckt und ich kaufte die erste Schallplatte, die keine Schlager zum Tönen brachte, sondern „Operatic Arias“ – gesungen von dem Tenor Mario Lanza.
Der nächste Schritt war dann, Oper in der Oper zu erleben. Ziemlich am Anfang stand „Tosca“ auf dem Programm. Im Laufe des ersten Akts trat ein dunkel gewandeter, äußerlich nobel wirkender Herr auf, der dann im zweiten Akt eine dominierende Rolle innehatte. Seine dunkle Stimme, die zwischen Bass und Bariton klang, machte einen enormen Eindruck auf mich. Es handelte sich um Edmond Hurshell als Baron Scarpia. Durch dieses Erlebnis begannen mich die dunklen Männerstimmen zu interessieren. Paul Schöffler und Walter Berry zählten zu meinen ersten Idolen. Ich erlebte Schöffler als Matthias Grünewald in der österreichischen Erstaufführung der Hindemith-Oper „Mathis der Maler“ unter Karl Böhm. Geflissentlich überhörte ich bei seinem wunderschönen Timbre seine Höhenprobleme, von mir wortschöpferisch „Schöfflerschrei“ genannt. Diese Produktion erlebte, auch wenn es kaum zu glauben ist, nur sieben Abende! Am eindrucksvollsten in Erinnerung blieb mir Paul Schöffler in der Basspartie des Philipp II. in Verdis „Don Carlo“. Damals als gemischtsprachige Aufführung, Simionato und Bastianini sangen italienisch, Schöffler deutsch.
Die erste Begegnung mit Walter Berry erfolgte in der Quadrupel-Partie des Bösen als Widersacher des Dichters Hoffmann, was zur Folge hatte, dass ich ihn als Scarpia erleben wollte. Im Gedächtnis geblieben sein „Te deum“ mit zur Schau gestellter Frömmigkeit, indem er sich publikumswirksam auf die Knie fallen ließ.
Nicht nur von der Körpergröße überragt wurden die beiden von Hans Hotter. Ich war niemals mehr von einer Bestürzung König Markes, von einem Monolog des Holländers, von Wotans Abschied von seiner Tochter Brünnhilde derart beeindruckt. Auch an seinen Scarpia erinnre ich mich noch gut.
Der Leserin und dem Leser wird vielleicht aufgefallen sein, dass alle drei Interpreten des Scarpia als Bassbaritone zu charakterisieren sind. Als hellstimmigen Bariton in der Partie des Scarpia akzeptierte ich allein Juri Masurok, nachdem er mich in „Pique Dame“ als Fürst Jeletzki anlässlich des Gastspiels des Bolschoi-Theaters 1971 beeindruckt hatte.
Ein besonderes Erlebnis war, meinen Schallplattenliebling, den Bariton Aldo Protti (Rigoletto, Jago), zum ersten Mal auf der Bühne der Wiener Staatsoper sozusagen live zu hören.
Ein ausgeprägtes Interesse für Tenöre nach den Anfängen mit Mario Lanza stellte sich erst zwei Jahre später wieder ein. Das kommt daher, dass im von mir besuchten italienischen Repertoire mit Gianni Poggi, Carlo Guichandut, Ermanno Lorenzi und Gastone Limarilli weniger profilierte Sänger der Mailänder Scala in Wien gastierten. Giuseppe Zampieri hörte ich vor seiner Stimmkrise zu selten. So kam mein erster Lieblingstenor, Gerhard Stolze, aus dem Charakterfach. Als Mime und als David lernte ich ihn kennen. Ausgefallenere Partien folgten. Die Titelrolle in Orffs „Oedipus der Tyrann“, der Oberon in „A Midsummer Night’s Dream“ und der Nerone in „L’incoronazione di Poppea“ spannten den Bogen vom 20. Jahrhundert bis zur Wende von der Renaissance zum Frühbarock. Gleichzeitig wuchs meine Begeisterung für Wagner und für Wolfgang Windgassen (Parsifal, Stoltzing, Siegmund, Tristan, Erik, ja sogar Loge und Tamino).
Ich hatte noch das Vergnügen „den Schwärzesten aller Bässe“ Gottlob Frick zu hören. Zunächst in der kleinen Rolle des Rheingold-Fafners, dann als Rocco und später noch einmal als Daland. Bei den Bässen erwarte ich eine sichere Tiefe. Prüfstein dafür ist der Baron Ochs im „Rosenkavalier“. Nur vierzig Prozent der Gehörten erwiesen sich als verlässlich.
Ich muss gestehen, Soprane waren mir anfangs fremd, vielleicht weil so fernab der eigenen stimmlichen Erfahrungen. Am 5. Januar 1961 passierte es dann, als Elisabeth Schwarzkopf in „Capriccio“ das der Gräfin gewidmete Sonett zu singen begann und sich zum Schluss mit leichter Koketterie ihrem Spiegelbild zuwendete. In typisch jugendlichem Überschwang war ich hingerissen von den silberglänzenden Tönen. Ich erfuhr, was eine Richard-Strauss-Stimme ist. Verliebt habe ich mich zwei Jahre später in das sehnsuchtsvolle Timbre der Gundula Janowitz, die vorerst unglücklich verliebte Helena in Brittens „A Midsummer Night’s Dream“.
Die beeindruckendste Violetta bleibt für mich Ileana Cotrubaș , die ich manchmal zweimal in der Woche zu erleben das Bedürfnis hatte.
Vom Blickpunkt des Genders aus kann die Alt-Stimme manchmal als eine erotisch-feinsinnige Gratwanderung oder sogar als Geschlechtsüberschreitung empfunden werden, ohne wie in der Unterhaltungsbranche grob zu wirken. Ich war ein großer Verehrer von Marjana Lipovšek. Ich wartete auf die zweite Staffel, um sie als Dalila zu hören.
Elīna Garanča sind meine Frau und ich in ihre schöne Heimatstadt Riga nachgefahren, um ihre erste Carmen zu erleben. Auch sie genossen wir in Wien als Dalila. Unser letzter großartiger Eindruck war ihre Santuzza. Gespannt wollen wir ihre weitere Entwicklung verfolgen.
Countertenöre und männliche Altisten sprechen uns nicht so an.
Bei den Knabensopranen finden in Wikipedia besondere Erwähnung der junge Hirte in „Tannhäuser“, Golauds Sohn Yniold in „Pelléas et Mélisande“ – wir denken dabei besonders an die Szene, in der Golaud seine Frau und seinen Bruder durch seinen Sohn beobachten lässt –, sowie die drei Knaben in der „Zauberflöte“. Ein Beispiel wird leider übergangen. Es ist der Knabensopran in Leonard Bernsteins „Mass“. Obwohl eine kleine Partie unter zahlreichen kleinen Solistenaufgaben sticht seine Rolle hervor, da sie Trägerin des überraschenden, befreienden Schlusses ist.
Wir kommen zu dem Ergebnis, die Vielfalt der Stimmlagen ist das Charakteristische und das Schöne an der menschlichen Stimme.
Lothar und Sylvia Schweitzer, 27. Juli 2021, für
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Lothar Schweitzer ist Apotheker im Ruhestand. Gemeinsam mit seiner Frau Sylvia schreibt er seit 2019 für klassik-begeistert.de: „Wir wohnen im 18. Wiener Gemeindebezirk im ehemaligen Vorort Weinhaus. Sylvia ist am 12. September 1946 und ich am 9. April 1943 geboren. Sylvia hörte schon als Kind mit Freude ihrem sehr musikalischen Vater beim Klavierspiel zu und besuchte mit ihren Eltern die nahe gelegene Volksoper. Im Zuge ihrer Schauspielausbildung statierte sie in der Wiener Staatsoper und erhielt auch Gesangsunterricht (Mezzosopran). Aus familiären Rücksichten konnte sie leider einen ihr angebotenen Fixvertrag am Volkstheater nicht annehmen und übernahm später das Musikinstrumentengeschäft ihres Vaters. Ich war von Beruf Apotheker und wurde durch Crossover zum Opernnarren. Als nur für Schlager Interessierter bekam ich zu Weihnachten 1957 endlich einen Plattenspieler und auch eine Single meines Lieblingsliedes „Granada“ mit einem mir nichts sagenden Interpreten. Die Stimme fesselte mich. Am ersten Werktag nach den Feiertagen besuchte ich schon am Vormittag ein Schallplattengeschäft, um von dem Sänger Mario Lanza mehr zu hören, und kehrte mit einer LP mit Opernarien nach Hause zurück.“
Sehr geehrtes Ehepaar Schweitzer,
mein Name ist Michael Hurshell, ich bin der Sohn des erwähnten Scarpia, dessen Bassbariton auf Sie „einen enormen Eindruck“ machte. Ich war tief berührt von Ihren Worten über meinen Vater, der bereits 1993 verschieden ist. Falls Sie Interesse haben, Kontakt aufzunehmen, bin ich unter der angeführten Email erreichbar.
Beste Grüße
Michael Hurshell