Schweitzers Klassikwelt 59: Das Rheingold

Schweitzers Klassikwelt 59: Das Rheingold,  klassik-begeistert.de

Foto: Goldstaub vom Rhein von ca. 0,1 mm Größe mit Begleitmineralien (vergrößert) © Manfred Common

Als wir (noch) nicht „Merker“ und „Blogger“ waren. Erinnerungen an schöne musikalische Erlebnisse.

von Lothar und Sylvia Schweitzer

In unserem Freundeskreis ist der Vorabend der dreitägigen Trilogie „Der Ring des Nibelungen“ nicht sehr beliebt. Der österreichische Dirigent und fast drei Jahrzehnte als Generalmusikdirektor an der Staatsoper Unter den Linden tätige Otmar Suitner gestand uns gegenüber seinen Respekt vor dem kürzesten Teil des Wagner’schen Opernzyklus und zwar wegen der vielen Einsätze. Uns gefällt an dieser Oper unter anderem die reiche Auswahl verschiedenartigster Stimmcharaktere. Von einer Reise zurückgekehrt ließen meine Frau und ich einmal den Taxifahrer spontan vor der Oper am Ring halten, weil sie an dem Abend „Das Rheingold“ spielten.

Unübertroffen die durchgehend prominente Besetzung meines ersten „Rheingolds“ am 31. Mai 1960. Die Personen der Aufführung verdienen es, der Reihe nach aufgezählt zu werden. Musikalische Leitung: Herbert v. Karajan, der auch den ganzen Ring in Szene setzte. Bilder und Kostüme waren von Emil Preetorius. Die Götter: Hans Hotter (Wotan), Eberhard Wächter (Donner), Waldemar Kmentt (Froh), Wolfgang Windgassen (Loge). Die Nibelungen: Alois Pernersdorfer (Alberich), Gerhard Stolze (Mime) und die Riesen: Kurt Böhme (Fasolt), Gottlob Frick (Fafner). Dann die Göttinnen: Ira Malaniuk (Fricka), Gré Brouwenstijn (Freia), Hilde Rössel-Majdan (Erda).

In die Wellen des Rheins tauchten die Pamina, Donna Elvira, Konstanze und Sophie Wilma Lipp sowie die Donna Anna und Desdemona Sena Jurinac. Hilde Rössel-Majdan war neben der Erda als Floßhilde zu hören. Auf den Programmzetteln der letzten Inszenierung werden die Göttinnen vor den Nibelungen und den Riesen gereiht. Die Rheintöchter bleiben weiterhin die Letzten. Neue Auflagen von Opernführern stellen Fricka sogar an die zweite Stelle neben Wotan.

War am Anfang die Partie des Loge mit den am Vorabend des Ring-Zyklus  noch „arbeitslosen“ Siegmunden und Siegfrieden besetzt, so war im Münchner Nationaltheater zu Beginn der Siebzigerjahre erstmals ein Mozarttenor mit Übergang ins Charakterfach zu hören, der jedoch keinen überragenden Eindruck hinterließ. Das änderte sich Mitte der Neunzigerjahre mit Heinz Zednik, den wir leider nicht in Bayreuth, aber dafür  an der Wiener Staatsoper erlebten, und mit dem typisch intellektuellen Interpreten Peter Schreier an der Staatsoper Unter den Linden. Im 21. Jahrhundert kam es in Wien wieder zu einer interessanten Wende. Den hohen Bariton Adrian Eröd, der auch den Pelléas im Repertoire hat, hörten wir bereits zweimal als den Feuergott.

Das Raubeinige, Struppige des Schwarzalben passte gut zu Alois Pernerstorfers Stimmcharakter. Gustav Neidlingers Alberich war stimmlich runder und glatter. Eine dem Alberich etwas ähnliche Rolle war sein Klingsor. Ich hörte ihn bei einem Gastspiel  der Württembergischen Staatsoper in Wien im krassen Gegensatz dazu als Amfortas. Vom Rundfunk her kennen wir ihn auch als Bassbuffo. Benno Kusche in München ist uns nur aus dem Radio mit leichterer Muse bekannt gewesen. In Bonn hörten wir Wicus Slabbert, ein guter Bekannter aus der Wiener Volks- und Staatsoper. Seinen  Alberich zeichnete der Regisseur Siegfried Schoenbohm, ehemaliger Assistent von Walter Felsenstein,  mit Zügen von Carl Barks’ Dagobert Duck.

Im „eigenen“ Haus am Ring teilten sich in den Neunzigerjahren den Alberich die Herren Franz Josef Kapellmann, Wicus Slabbert, Oskar Hillebrandt und Oleg Bryjak. Kapellmann war unser „Alberich vom Dienst“, den wir in der Premiere am 14. Oktober 1992 und in den Jahren darauf noch weitere zweimal hörten. Inszenierung Adolf Dresen, Bühnenbild und Kostüme Herbert Kapplmüller.

Tomasz Konieczny als Alberich, Wiener Staatsoper, Foto: Michael Pöhn

Oskar Hillebrandt erlebten wir im „Ring“, aber als Walküre-Wotan. Während der Auftritte Wotans in der Walküre vom 2. Dezember 2007 fürchteten wir, nach dem zweiten Akt nachhause geschickt zu werden. Hillebrandt stand gerade an einem Würstelstand in der Nähe des Westbahnhofs, als ihn ein Anruf mit der Bitte eines Einspringens erreichte. So sang er dann im dritten Akt  vom Bühnenrand aus. Auch beim Herabsteigen von exponierten Höhen zeigte Hillebrandt im Unterschied zu anderen (Bass)Baritonen eine volle, kräftige und nicht angeraute Tiefe.

Wir hatten nicht in Wien, dafür aber in der Opéra de Strasbourg Gelegenheit den kasachisch-deutschen Oleg Bryjak in der mittleren Rolle des Götterdämmerung-Alberichs zu erleben. Vom Gran Teatre del Liceu kommend, wo er als Alberich im „Siegfried“ aufgetreten war, wurde er mit seiner Kollegin Maria Radner und ihrer Familie Opfer des Selbstmords eines gewissenlosen Flugzeugpiloten.

Tomasz Konieczny als Wotan (gemeinsam mit Sophie Koch als Fricka), Wiener Staatsoper, (c) Michael Föhn

Am 5. Mai 2009 hörten wir zum ersten Mal  Tomasz Konieczny, der für uns zum neuen Idealtypus eines Alberich aufstieg. Es war die 2. Aufführung der neuen Inszenierung von Sven-Eric Bechtolf. Die Ausstattung lag in den Händen des Ehepaars Rolf und Marianne Glittenberg. Den Vorabend halten wir für den gelungensten Teil der Produktion. Koniecznys großer Erfolg erwies sich später als verhängnisvoll, denn das Wiener Publikum wollte seine  Entwicklung vom rohen und rauen Nibelungen zum Göttervater lange nicht wahrhaben.

Für uns war bis vor einigen Wochen nicht einsichtig, dass eine Produktion des Ring-Zyklus nicht mit dem Vorabend beginnt, sondern mit ihm endet, was wiederholt der Fall ist. In einem Interview für „den neuen Merker“ stellte Kollege Valentino Hribernig-Körber an den Intendanten des Klagenfurter Stadttheaters und gleichzeitig Regisseur der dort erstmals aufgeführten „Walküre“ die brennende Frage: Warum das „Rheingold“ am Schluss? Aron Stiehls Antwort: Darin steckt keine organisatorische Frage oder ein musikhistorischer Grund. Der Ring ist ein Ring. Am Ende sind wir wieder am Anfang. Ob es ein Ring ist oder eine Spirale, das müssen die Menschen dann selbst für sich entscheiden. Lernen die Menschen aus ihren Fehlern?

Am Sonntag, den 24. September 1995 ahnten wir noch nicht, dass die Rheintochter Floßhilde (Jutta Geister) wenige Jahre später zur Hochzeit von Tochter Corinna singen wird.

Lothar und Sylvia Schweitzer, 5. April, 2022 für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Schweitzers Klassikwelt (c) erscheint jeden zweiten Dienstag.

Lothar und Sylvia Schweitzer

Lothar Schweitzer ist Apotheker im Ruhestand. Gemeinsam mit seiner Frau Sylvia schreibt er seit 2019 für klassik-begeistert.de: „Wir wohnen im 18. Wiener Gemeindebezirk  im ehemaligen Vorort Weinhaus. Sylvia ist am 12. September 1946 und ich am 9. April 1943 geboren. Sylvia hörte schon als Kind mit Freude ihrem sehr musikalischen Vater beim Klavierspiel zu und besuchte mit ihren Eltern die nahe gelegene Volksoper. Im Zuge ihrer Schauspielausbildung statierte sie in der Wiener Staatsoper und erhielt auch Gesangsunterricht (Mezzosopran). Aus familiären Rücksichten konnte sie leider einen ihr angebotenen Fixvertrag am Volkstheater nicht annehmen und übernahm später das Musikinstrumentengeschäft ihres Vaters. Ich war von Beruf Apotheker und wurde durch Crossover zum Opernnarren. Als nur für Schlager Interessierter bekam ich zu Weihnachten 1957 endlich einen Plattenspieler und auch eine Single meines Lieblingsliedes „Granada“ mit einem mir nichts sagenden Interpreten. Die Stimme fesselte mich. Am ersten Werktag nach den Feiertagen besuchte ich schon am Vormittag ein Schallplattengeschäft, um von dem Sänger Mario Lanza mehr zu hören, und kehrte mit einer LP mit Opernarien nach Hause zurück.“

Das Rheingold, Richard Wagner, Oper Leipzig, 2. März 2022

Richard Wagner, Das Rheingold, Tiroler Festspiele Erl

Richard Wagner, Der Ring des Nibelungen, Wiener Staatsoper, 8., 12., 16., 20. Januar 2019

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