Schweitzers Klassikwelt 65: Unsere Begegnungen mit Ochsen auf Lerchenau

Schweitzers Klassikwelt 65: Unsere Begegnungen mit Ochsen auf Lerchenau

von Lothar und Sylvia Schweitzer

Die erste Begegnung war mittels eines Opernquerschnitts des bewährten Schallplattenlabels Decca. Ludwig Weber war darauf im walzerseligen, nahezu operettenhaften Schluss des zweiten Akts zu hören. Als Komtur mit pechschwarzem, getragenem Bass aus dem Hintergrund hatte ich 1959 noch Gelegenheit ihn an der Wiener Staatsoper live zu hören.

In den Jahren 1959 bis 1965 wechselten sich an meinen „Rosenkavalier“-Abenden Otto Edelmann und Oskar Czerwenka in der Rolle des Baron Ochs auf Lerchenau ab. Edelmann war der Sanguiniker mit sehr drastischer Mimik und eigentlich ein Bassbariton mit nicht sicherem tiefem E bei der „nie zu langen Nacht“. Czerwenka war der echte Bass, in der Darstellung phlegmatischer.

Otto Edelmann Foto Fayer, Wien
Mopsfan Oskar Czerwenka Paul Neff Verlag, Autobiografie in Briefen

Ich musste einen „Rosenkavalier“ in Frankfurt am Main erleben, um zu erfahren, wie sich der Baron von der Feldmarschallin nach dem Lever mit einem auffallend tiefen Ton „tief beschämt“ verabschiedet. Im Klavierauszug nachlesend: es handelt sich um das große C! Der mir bis dahin unbekannte österreichische Sänger hieß Manfred Jungwirth. Als er bald darauf ins Ensemble der Wiener Staatsoper geholt wurde, interessierte mich sein Osmin, den ich im Redoutensaal der Wiener Hofburg erlebte.

Dr. Manfred Jungwirth Foto: Discogs

Ein Sänger, der vom Typ her sehr gut als Baron Ochs passte, war Walter Berry. In der neuen Otto-Schenk-Inszenierung traten am 13. April 1968 zum ersten Mal in der Wiener Staatsoper Walter Berry als Baron Ochs und seine damalige Ehefrau Christa Ludwig, die zwölf Jahre lang hier für uns   d e r   Octavian war, als Feldmarschallin auf. In der 13. Aufführung in dieser Inszenierung im Rahmen des Richard-Strauss-Zyklus, die ich besuchte, war Berry nicht die Nacht, aber das tiefe E zu lang. Kaum dass er den Ton angesetzt hatte, sprang er mit einem verschmitzten Kichern ins Falsett.

Walter Berry Foto Fayer, Wien

Acht Jahre lang ein eifriger Besucher des Tiroler Landestheaters lernte ich dort einen neuen Namen kennen: Romano Nieders.  Er debütierte in seiner Heimatstadt Graz und war von 1966 bis 1985 festes Ensemblemitglied an den Städtischen Bühnen Münster. Er gastierte in der Saison 1983/84 am Tiroler Landestheater als sehr spielfreudiger Baron Ochs. An den Landestheatern beobachtete ich den Ehrgeiz, getreu nach Partitur zu singen und nicht hin und wieder zu transponieren. Als es nun zur Verabschiedung des Landedelmanns von der Feldmarschallin kam, traten die Augen aus seinen Augenhöhlen, aber das tiefe C  blieb unhörbar.

Drei Jahre später gastierte Romano Nieders in dieser Partie an der MET. Nicht konnte man ahnen, dass sich der Sänger fünf Jahre nach seinem Innsbrucker Gastspiel und knappe zwei Jahre nach seinem krönenden Erfolg in New York aufgrund einer schweren Krankheit von der Opernbühne zurückziehen musste. Etwa ein Vierteljahrhundert, ein Drittel seines Lebens, lebte er dann zurückgezogen in der Stadt Münster, die ihm zu seiner zweiten Heimat geworden war.

Ein gediegener Ochs jenseits des Starrummels war Günter Missenhardt. Zweimal erlebte ich ihn, einmal an der Wiener Staatsoper und einmal im Großen Festspielhaus anlässlich der Salzburger Kulturtage 1993. Bei ihm brauchte man keine Angst um die Noten unter den fünf Linien zu haben.

Günter Missenhardt (c) Tamino Klassik Forum

Ebenfalls mit profunder Tiefe, in Rollen grimmigen und humorigen Charakters zuhause: Kurt Rydl. Im „Rosenkavalier“ begann er seine Karriere zunächst als Polizeikommissär.

Kurt Rydl (c) Bildagentur Imago Images

Als stimmlich idealen Lerchenauer fand ich Kurt Moll. Ich konnte mit Sicherheit meine BegleiterInnen schon zwei Silben vorher mit Handzeichen auf die bevorstehende extreme Tiefe im ersten Akt aufmerksam machen. Kurt Moll – selbst ein König Marke – äußerte sich einmal sehr kritisch über den „Helden“ Tristan. Sein Treuebruch missfiel ihm trotz des Zaubertranks, was menschlich sehr für ihn spricht.

Kurt Moll (c) Bruce Duffie

Der erste „Rosenkavalier“ gemeinsam mit meiner Frau Sylvia war in der Oper Graz. Grund unsrer Fahrt über den Semmering war das Debüt der Mezzosopranistin Angelika Kirchschlager als Octavian. Wir lernten aus diesem Anlass auch Walter Fink als einen sowohl darstellerisch als auch stimmlich souveränen  Baron kennen, der zu den knapp fünfzig Prozent an Rollengestaltern zu zählen ist, die in den hier genannten Aufführungen restlos befriedigen konnten.

Walter Fink Quelle: Opera Online

Anlässlich der Aufführung der Haydn-Oper „Der Apotheker“ im Hotel Altstadt, eines kleinen, aber feinen  Hotels in der Kirchengasse des Wiener siebenten Gemeindebezirks,  trafen wir unvermutet  auf einen Kunden des Musikinstrumentengeschäfts meiner Frau, Michael Eder, der die Basspartie sang. Im Pausengespräch erfuhren wir, dass er den Ochs im Repertoire hat. Er schien es von uns nicht ernst zu nehmen und für eine Floskel zu halten, als wir ihn baten uns  über seinen nächsten Auftritt zu informieren. Wir erlebten seinen den vollen Stimmumfang der Partie auskostenden Ochs in Darmstadt, Krefeld und an der Deutschen Oper am Rhein Düsseldorf. Und auch für seinen Osmin sind wir ihm nachgefahren, denn ein guter Ochs macht auch auf die Partie des Osmin neugierig. Es entwickelte sich  bald eine Freundschaft.

Michael Eder Quelle: Opera Online

Wieder einmal machten wir einen Ausflug nach Graz, denn am 13. März im Jahr 2005 „probierte“ der Bassbariton Wolfgang Bankl an dem zweiten Opernhaus Österreichs seinen Ochs aus. Es war ein Erfolg, auch wenn Tiefen unter dem großen G nicht jedes Mal verlässlich zu hören waren. Eine gewisse Unberechenbarkeit machte das Ganze spannend. So hatte das große D mehr Volumen als das große E.  Ungefähr ein Jahr darauf am 10. Februar sang Bankl  an der Wiener Staatsoper im ersten Akt den Notar und musste im zweiten und dritten Akt für Peter Rose den Baron übernehmen. Seither war Bankl in der Staatsoper sowohl als Ochs, als auch als Polizeikommissär oder als Notar eingeteilt. In der besagten Grazer Aufführung hörten wir auch Stephanie Houtzeel zum ersten Mal als Octavian. Mit ihr gab es Jahre später in dieser Partie im Haus am Ring ein Wiederhören.

Wolfgang Bankl Foto: Christian Schörg

Salzburger Festspiele, 11. August 2014. Der Intendant Alexander Pereira tritt vor den Vorhang. Günther Groissböck hat eine Infektion und der Intendant bittet uns um „ermutigendes Mitgehen“. Trotz des Kostüms hatte man bei unsrem neuen Ochs nicht den Eindruck eines Typs aus der Zeit Maria Theresias. Auch die sehr eindrucksvollen in den Hintergrund projizierten Prospekte von Wien gingen bis in die Gründerzeit. Kann es einen modernen Ochs geben? Wir bezweifeln es.

Günther Groissböck Salzburger Festspiele, Foto: Monika Rittershaus

In den letzten acht Jahren erlebten wir keinen interessanten Ochs mehr. Nicht nur von der  Handlung, sondern auch vom Stimmlichen her waren die jungen Grafen Rofrano die Siegreichen.

Lothar und Sylvia Schweitzer, 28. Juni 2022,  für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Schweitzers Klassikwelt (c) erscheint jeden zweiten Dienstag.

Lothar und Sylvia Schweitzer

Lothar Schweitzer ist Apotheker im Ruhestand. Gemeinsam mit seiner Frau Sylvia schreibt er seit 2019 für klassik-begeistert.de: „Wir wohnen im 18. Wiener Gemeindebezirk  im ehemaligen Vorort Weinhaus. Sylvia ist am 12. September 1946 und ich am 9. April 1943 geboren. Sylvia hörte schon als Kind mit Freude ihrem sehr musikalischen Vater beim Klavierspiel zu und besuchte mit ihren Eltern die nahe gelegene Volksoper. Im Zuge ihrer Schauspielausbildung statierte sie in der Wiener Staatsoper und erhielt auch Gesangsunterricht (Mezzosopran). Aus familiären Rücksichten konnte sie leider einen ihr angebotenen Fixvertrag am Volkstheater nicht annehmen und übernahm später das Musikinstrumentengeschäft ihres Vaters. Ich war von Beruf Apotheker und wurde durch Crossover zum Opernnarren. Als nur für Schlager Interessierter bekam ich zu Weihnachten 1957 endlich einen Plattenspieler und auch eine Single meines Lieblingsliedes „Granada“ mit einem mir nichts sagenden Interpreten. Die Stimme fesselte mich. Am ersten Werktag nach den Feiertagen besuchte ich schon am Vormittag ein Schallplattengeschäft, um von dem Sänger Mario Lanza mehr zu hören, und kehrte mit einer LP mit Opernarien nach Hause zurück.“

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