Titelbild: Tabgha am See Gennesaret (Bayerischer Rundfunk)
von Lothar und Sylvia Schweitzer
Aus den Medien sind die schockierenden Meldungen bekannt. Der uns durch die Schallplattenfirma RCA viel sagende Bariton Leonard Warren und der Bassbariton Hermann Uhde, selbst als Escamillo und Großinquisitor an der Wiener Staatsoper gehört, brachen leblos auf der Bühne zusammen. Viele unserer einst bewunderten Lieblinge haben uns bereits verlassen, im zweiten Jahrzehnt unsres Jahrtausends häufen sich unsere traurigen Entdeckungen, wenn wir für ein Feuilleton in ihren Biografien recherchieren. So weilen von den fünfzehn auf der Bühne erlebten Ochsen auf Lerchenau (siehe Schweitzers Klassikwelt 65) sieben nicht mehr unter uns. Trostreich ist, dass oft erst in einem hohen Alter der Lebensbogen vieler SängerInnen zu Ende ging. Vielleicht ist der Beruf auf der Opernbühne doch nicht zu aufreibend, so dass man die Lorbeeren nach einem erfüllten Künstlerleben noch lange gemeinsam mit Familie und Freunden genießen kann.
Wir haben für diesen Beitrag hauptsächlich Persönlichkeiten ausgewählt, die im vorigen, zweiten Jahrzehnt unsres Jahrhunderts von uns gegangen sind. Das persönliche Erleben – und war es auch nur einmal – verbunden mit kurzen, ausgewählten Vermerken aus ihrem Leben soll allein zählen.
Meine Frau und ich beginnen mit Anny Felbermayer (*1924, †2014). Es sind nicht nur eine elektrisierende Elektra oder der Walkürenruf der Brünnhilde weltberühmter Künstlerinnen, die im Gedächtnis haften bleiben. Es kann auch ein zart verklingendes Echo sein, über das wir in der Serie „Unsere Lieblingsoper“ aus „Ariadne auf Naxos“ bei Anny Felbermayer ins Schwärmen gekommen sind.
Anna Maria Felbermayer-Szekely war das wohlbehütete Kind einer Wiener Handwerkerfamilie.
Nach Abschluss der Handelsschule widmete sie sich glücklicherweise dem Gesang. Blicken wir in das Spielplanarchiv der Wiener Staatsoper und in unsere sorgfältig gesammelten Besetzungszettel, so fällt auf, dass sie in populären Opern eher als Cover fungierte. Sie sang in ihrer 33-jährigen Laufbahn an der Wiener Staatsoper – damals war es noch nicht zur Mode geworden, bis ins hohe Alter aufzutreten – bis zum Jahr 1982 neunmal die Liù, nur achtmal die Zerlina und bloß viermal im Ausweichquartier Theater an der Wien die Susanna, aber 232 (zweihundertundzweiunddreißig) Male die Barbarina. Ich hatte im Gegensatz zu meiner Frau das Glück ihre bezaubernde Zdenka zu erleben.
Noch weit vor Wagner machte ich Bekanntschaft mit einer Hindemith-Oper. So lernte ich den späteren Heldentenor der MET Karl Liebl (*1915, †2007)
an der Wiener Staatsoper nicht als Stolzing, Tannhäuser oder Tristan kennen, sondern als Erzbischof von Mainz, Albrecht von Brandenburg, in seiner eindringlichen Weigerung, sich den Lutherischen anzuschließen und offiziell (!) eine Bürgerstochter zu ehelichen. Trotz widersprüchlicher politischer Einstellung wurde der Erzbischof zum Mäzen des Schöpfers des Isenheimer Altars. Paul Hindemith gab seiner Oper den historisch korrekten Titel „Mathis der Maler“, ohne „Grünewald“. Des Malers Darstellung der Auferstehung Christi halten meine Frau und ich zu einer der besten Lösungen, etwas unsrem Erfahrungsbereich gänzlich Fremdes darzustellen.
Margareta Sjöstedt (*1923, †2012)
ist für mich ident mit der Muse in „Hoffmanns Erzählungen“, ein prägendes Opernerlebnis „meines ersten Opernjahrs“. Kurz darauf erhaschte ich ein Gespräch in einem Bus der Linie 8, wo Leute aus dem Kreis der Wiener Staatsoper sie lobend erwähnten. Ich glaubte Ohrenzeuge einer großen Karriere zu sein. Weitaus bescheidener verlief dann das Vierteljahrhundert ihrer Mitgliedschaft an der Wiener Staatsoper. Zwar sang sie 97mal den Cherubino, aber nur vierzehn Male die Dorabella. Im „Rigoletto“ war sie 21mal die Giovanna, aber bloß drei Male die Maddalena. Als Annina im „Rosenkavalier“ konnte man sie 22mal erleben, aber leider nur ein einziges Mal als Dryade in „Ariadne auf Naxos“.
Carlo Cava (*1928, †2018)
Nach der Theorie der Gesangspädagogin meiner Frau, Gabriele Firbas, zufolge der typische Gesichtsschnitt eines dunkel timbrierten Basses. Sie meinte aus der Kopfform die männliche Stimmlage zu erkennen. An der Wiener Staatsoper in den Sechzigerjahren in den zigsten Repertoireaufführungen eingesetzt (Ramfis, Philipp, Großinquisitor, Sparafucile) betraute ihn Herbert von Karajan für seine „L’incoronazione di Poppea“ 1963 mit der Partie des Seneca, die ich nie wieder so eindrucksvoll gehört habe.
Rolando Panerai (*1924, †2019): Bei meiner ersten Begegnung an der Wiener Staatsoper im Frühjahr 1958 war er ein eleganter Konsul Sharpless in Puccinis Tragedia giapponese „Madama Butterfly“. Fast dreißig Jahre später im Opernhaus Zürich ein von Altersweisheit zeugender, etwas skurril wirkender Don Alfonso mit anderem, aber ebenso einnehmendem Stimmklang.
Bei Theo Adam (*1926, †2019), der vom Bass herkam, brauchte man bei seiner Wotanstiefe nicht bangen, wenn er sich mit seiner Tochter aussprach. Er wäre als Bass-Bariton mit Hans Hotter zu vergleichen, fehlte ihm nicht das Mystische eines Hotter, der uns übrigens 2003 94-jährig verließ. In Dresden geboren und beheimatet debütierte Theo Adam an der Semperoper als Eremit mit den charakteristischen großen Intervallsprüngen in die Tiefe. Auch während der Abkapselung der DDR gastierte Adam an den westlichen Opernhäusern.
Lothar und Sylvia Schweitzer, 1. November 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Schweitzers Klassikwelt (c) erscheint jeden zweiten Dienstag.
Lothar und Sylvia Schweitzer
Lothar Schweitzer ist Apotheker im Ruhestand. Gemeinsam mit seiner Frau Sylvia schreibt er seit 2019 für klassik-begeistert.de: „Wir wohnen im 18. Wiener Gemeindebezirk im ehemaligen Vorort Weinhaus. Sylvia ist am 12. September 1946 und ich am 9. April 1943 geboren. Sylvia hörte schon als Kind mit Freude ihrem sehr musikalischen Vater beim Klavierspiel zu und besuchte mit ihren Eltern die nahe gelegene Volksoper. Im Zuge ihrer Schauspielausbildung statierte sie in der Wiener Staatsoper und erhielt auch Gesangsunterricht (Mezzosopran). Aus familiären Rücksichten konnte sie leider einen ihr angebotenen Fixvertrag am Volkstheater nicht annehmen und übernahm später das Musikinstrumentengeschäft ihres Vaters. Ich war von Beruf Apotheker und wurde durch Crossover zum Opernnarren. Als nur für Schlager Interessierter bekam ich zu Weihnachten 1957 endlich einen Plattenspieler und auch eine Single meines Lieblingsliedes „Granada“ mit einem mir nichts sagenden Interpreten. Die Stimme fesselte mich. Am ersten Werktag nach den Feiertagen besuchte ich schon am Vormittag ein Schallplattengeschäft, um von dem Sänger Mario Lanza mehr zu hören, und kehrte mit einer LP mit Opernarien nach Hause zurück.“