John Neumeier vor dem Hamburger Wappen (Fotos: Graciela Madrigal)
Schön wäre es natürlich, wenn die Opernpläne von Klaus-Michael Kühne wahr würden, die Oper in die Hafencity zöge und das Ballett an der traditionsreichen Dammtorstraße verbliebe. Davon hat John Neumeier in seiner Rede natürlich nicht gesprochen. Vielmehr blickte er mit einer gewissen Altersweisheit auf das Erreichte zurück. Auf die Frage, wie er alles geschafft habe, antwortete Neumeier lakonisch: I did it my way.
Senatsempfang für John Neumeier im Hamburger Rathaus am 10. Juni 2023
von Dr. Ralf Wegner
Anlässlich des 50-jährigen Jubiläums als Ballettdirektor lud der Hamburger Senat John Neumeier zu einem Empfang in den großen Festsaal des Hamburger Rathauses. Mehrere Redner, beginnend mit dem Ersten Bürgermeister Peter Tschentscher und endend mit einer launigen Rede von Neumeier selbst sowie einer berührenden Filmcollage von Kiran West begleiteten drei Balletteinlagen, getanzt von Schülern der Theaterklasse (Keita Blomer, Javier Martínez, Tibor Perthel), von Mitgliedern des Ensembles (Charlotte Larzelere, Artem Prokopchuk, Emiliano Torres) sowie den langjährigen Ersten Solisten Sylvia Azzoni und Alexandre Riabko.
Neumeier versuchte sich bei seiner zwischen Deutsch und gut verständlichem Englisch wechselnden Rede zunächst in Statistik, wies auf mehr als 5.000 während seiner Ägide getanzten Vorstellung und Auftritten in mehr als 100 Städten hin, auch seien im Laufe der Zeit beim Hamburger Ballett 90 neue Planstellen geschaffen worden. Das seien aber nur Zahlen, wichtiger sei ihm gewesen, in Hamburg eine Ballettkompanie mit einem weltweit nicht vergleichbaren Gesicht zu schaffen, jede Tänzerin und jeder Tänzer solle sich als eigenständiger Künstler begreifen.
Anfangs, also 1973, sei es ihm in Hamburg nicht leicht gefallen (es gab wegen der zahlreichen Entlassungen im alten Ensemble zunächst heftigen Gegenwind von Seiten der Presse). Bald freundete sich Neumeier aber über die von ihm initiierten Ballettwerkstätten mit dem Publikum an. Bei ihm sei das Eis gebrochen, als er bei einer Vorstellung seinen Text vergessen habe, und dieses dem Publikum mitteilte. Der ihm daraufhin entgegenbrandende Applaus habe ihn sehr berührt. Er habe auch immer die Ehrlichkeit und Direktheit der Menschen dieser Stadt im persönlichen Umgang als positiv erlebt. Dessen ungeachtet sei Hamburg eine Kaufmannsstadt, die mit dem Motto lebe: Von Nichts kommt Nichts.
Da ist natürlich was dran. Tief verwurzelt in der Geschichte der Stadt musste jeder sehen, wie er wirtschaftlich zurecht kam, auch die Kaufmannsfamilien. Freiwillig gab die Stadtverwaltung kaum etwas für die Kunst her, es sei denn, jemand hat geliefert. Und Neumeier hat geliefert, hat unverwechselbare, weltweit auch von anderen Balletttruppen nachgetanzte Choreographien geschaffen, ein begeistertes, das Haus immer wieder füllendes Publikum erobert und mit seinem Ballett den Namen Hamburgs in der ganzen Welt, von den Vereinigten Staaten von Amerika über Moskau bis nach Japan als Kulturmetropole glanzvoll vertreten. Dafür hat Neumeier auch bekommen, wenngleich häufig wohl auch nicht ohne Nachdruck, vor allem eine Ballettschule mit Internat in einem wunderschönen Gebäude des Architekten Fritz Schumacher, er hat das Bundesjugendballett gegründet und wird seine Ballettsammlung demnächst in einer von der Stadt angekauften großen Villa museal präsentieren können. Auch hat Neumeier sich von der Operndirektion losgelöst und wurde Intendant nur für das Ballett. Schon anfangs hatte er darauf bestanden, dass seine Tänzerinnen und Tänzer nicht mehr als tanzende Statisten im Opernbetrieb verschlissen werden.
Mehr als John Neumeier erreicht hat kann man nicht erreichen; nur das eigene Theatergebäude erhielt er (bisher) nicht. Es sollte vor Jahrzehnten das ehemalige Operettenhaus zum Balletthaus umgebaut werden. Der Senat überließ das Gebäude allerdings einem Musicalbetreiber, der es jetzt immer noch nutzt und im Laufe der Zeit weitere Häuser für dieses Genre errichtete. Anders als die Oper sind diese Musicaltheater Gelddruckmaschinen und zumindest indirekt prächtige Steuerzahler, da die auswärtigen Besucher viel Geld in der Stadt lassen und über diesen Weg auch wieder Oper und Ballett quersubventionieren. Schön wäre es natürlich, wenn die Opernpläne von Klaus-Michael Kühne wahr würden, die Oper in die Hafencity zöge und das Ballett an der traditionsreichen Dammtorstraße verbliebe. Davon hat John Neumeier in seiner Rede natürlich nicht gesprochen. Vielmehr blickte er mit einer gewissen Altersweisheit auf das Erreichte zurück. Auf die Frage, wie er alles geschafft habe, antwortete Neumeier lakonisch: I did it my way.
Nicht unerwähnt bleiben soll der Erste Bürgermeister, der in seiner zurückhaltenden freundlichen Art auf die Bedeutung des Balletts in Hamburg und für Hamburg hinwies. Der 19-jährige Caspar Sasse, Absolvent der Ballettschule, lobte das Klima im Hause, vor allem die erlebte Gemeinschaft zwischen der Ballettschule und Ballettkompanie, die Mitglieder des Hamburger Balletts Hayley Page und Elliot Worrell berichteten ebenso wie die ehemalige Erste Solistin und jetzige stellvertretende Ballettdirektorin beim Kieler Ballett Heather Jurgensen über ihre Erfahrungen mit John Neumeier, oft zu Erheiterung des geladenen Publikums, darunter zahlreiche ehemals zu Kompanie gehörende Tänzerinnen und Tänzer. Künstlerischer Höhepunkt war ohne Zweifel der Auftritt von Sylvia Azzoni und Alexandre Riabko, die mit einem Pas de deux (Désir von John Neumeier, Musik Alexander Skrijabin) nochmals zeigten, das technische Perfektion mit Eleganz, Leichtigkeit und überzeugendem emotionalen Ausdruck einhergehen kann.
Dr. Ralf Wegner, 11. Juni 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Die Glasmenagerie, Ballett von John Neumeier nach Tennessee Williams Hamburg Ballett, 30. Mai 2023
Ballett von John Neumeier, Matthäus-Passion Staatsoper Hamburg, 7. April 2023
John Neumeier, Hamburg Ballett, Portrait, Staatsoper Hamburg