Rachmaninoff, mon Amour I

Serie: Rachmaninoff, mon Amour (Teil 1)  klassik-begeistert.de

Foto: Quelle: wikipedia.de (c)
Der in Hamburg lebende Journalist und Publizist Harald N. Stazol liebt klassische Musik, Oper und Ballett. Besonders schätzt er die Musik des russischen Komponisten Sergei Wassiljewitsch Rachmaninoff (* 20. Märzjul./ 1. April 1873greg. auf dem Landgut Semjonowo bei Staraja Russa im Gouvernement Nowgorod, Russisches Kaiserreich; † 28. März 1943 in Beverly Hills, Kalifornien, USA). Dies ist der erste Teil einer siebenteiligen Serie über den Ausnahmemusiker. Harald N. Stazol ist wie der Herausgeber Absolvent der Henri-Nannen-Schule (Journalistenschule mit Sitz in Hamburg).

von Harald N. Stazol

„Er ist ein Genie!“, ruft die Gräfin beim Hauskonzert in St. Petersburg in ihrem goldenen Salon, da kommt der Graf, etwas verspätet – wer sonst darf sich das im eigenen Palais erlauben, leis-leise auf Zehenspitzen dazu, und setzt sich neben seine Gattin – aber das geht ihm doch entschieden zu weit: „Ich dachte, das sei Rachmaninoff!“ – und irgendwie haben sie ja beide recht. Der Graf nimmt ihre Hand, und weiß gerade ganz genau, warum er sie freite, sie klopft einmal mit dem Fächer darauf. Von wegen Gewalt in der Ehe – nein, bei Boris Pasternak sind es gewaltige Ehen, und wer sonst, man muss es neidlos anerkennen, kann sich solch eine Gemme an Szene hinhauchen, wie so schön geschenkt von Omar Sharif in dem Monumentalwerk von David Lean und der unvergleichlichen Geraldine Chaplin, die so absolut bezaubernd in einem lila Pelzensemble aus Paris anreist…

Und hier nun die Monumentalität eines Giganten, der, ich höre wohl nicht recht, auf NDR Kultur gerade zu „Kitsch“ erklärt wird. Ein Grund, Rundfunkgebühren und GEMA gleich abzuschaffen.

Kitsch?

Das 2. Klavierkonzert, eine tiefenpsychologische Studie, der Komponist hatte eine Krise, da nimmt er Therapiestunden, – daher die bewegende Sogwirkung, die das Werk ausübt, die erste Melodie, von der man sich noch heute fragt, wo er sie hernimmmt, klingt sie doch ganz wie ein russisches Volkslied, zu dem aber die Vorlage fehlt, ein Thema so einprägsam, „da-da-da-dam-daaaaaa-daaaaaa-da-da-dam“, dass man sich fragt, ob es dem kleinen Sergej, einem von sechs Kindern von einer Babuschka vorgesummt worden sein mag, wie ein Wiegenlied.

Rachmaninoff im Alter von zehn Jahren. Quelle: Wikipedia.de

Die Mutter bringt fünf Landgüter in die Ehe, die der Vater in nur wenigen Taktschlägen alle ruiniert, was die Ehe äußerst belastet und sie schließlich zerbrechen lässt.

Und nun kommen wir zu jener glücklichsten Fügung, die Gott einem Kranken geben kann, Rachmaninoffs riesige Finger, diesem Genie! – die es ihm erlauben, zwölf Töne zu greifen, was sein größter Konkurrent, Alexandre Skrjabin eben bei aller Virtuosität nicht kann…: “Arachnodaktylie”, Spinnenfinger, „die im Rahmen des Marfan- bzw. Loeys-Dietz-Syndroms oder der Homocystinurie vorkommt“ – so meint Medizinstudent Marvin, seine Nebenbemerkung soll mit der Anlass für diese Zeilen sein.

In einem Anfall von geistiger Umnachtung verschenke ich meine sämtlichen Symphonien und Klavierwerke an Madame Jacob zu ihrem 60., einer Frau, mit der ich jetzt gar keinen gesellschaftlichen Umgang mehr pflege, aber das ist wieder einmal eine andere Geschichte, aber so sind wir Kenner eben; gekauft hatte ich das Gesamtwerk für 9 Mark in dem legendären CD-Laden am Neuen Wall in Hamburg, der leider nicht mehr da ist, von Youtube in die Pleite getrieben. Kenner eben: Ich habe nur meine geliebte 1. Symphonie in der Hand an der Kasse, für 11 Mark, da leuchten die Augen des Verkäufers auf, „darf ich Sie gerne auf diese Aufnahme hinweisen“ und schon liegt die Aufnahme in einem hellblau ziselierten Schuber bereit, Mariss Janssons dirigiert …

Überhaupt: Die 1.

Tatsächlich fällt sie fast niemandem auf oder auch nur ein. Sie ist sein frühes Meisterwerk und fällt in Petersburg – natürlich durch. Man bemerkt es daran, dass früh die Kaleschen vorfahren, weil das Zarenpaar aufbricht, und die Reihen sich lichten der besten Gesellschaft aus Hochadel, Magnaten, Großgrundbesitzern mit tausenden Leibeigenen, einigen Schriftstellern und wohl auch schon dem ein oder anderen Bolschewijken – man geht nach Hause, auf den Empfang der Worontzova-Daschkova in etwa, oder zur Baronin, die es als vulgär empfindet, beim Essen Publikum zu haben und deswegen im hinteren Salon des Speisesaals diniert, bis die Tafel aufgehoben wird und man eben der Hausherrin Referenz erweist. Nicolai Rimsky-Korsakov wird die Premiere seiner „Sheherazade“ im Foyer zitternd verbringen, doch in seinem Falle kommt noch keiner die Treppe hinuntergetröpfelt, immer noch niemand, niemand ergibt Anweisungen an die Kutscher draußen, und dann: Donn-ern-der Applaus, und der Musikstudent ist berühmt.

Der junge Sergej fällt also – hier sei es erlaubt – durch, mit „Pauken und Trompeten“, und übervoll ist sie davon, die 1. ein frühgewaltiges Werk, voller Verve und Ungestüm an Rhythumswechseln, Tempi…

Wie es aber dazu kommen konnte, woher er kam, wohin er gehen wird, dieser junge, bitterarme Musikstudent und Romantiker, voller Jugendstolz und Heißsporn, langer Trompetenstöße und wirbelnden Schlagzeuges, ewig-fließenden Streichersätzen und Katarakten der Tonalität, Wirbelstürmen aus den russischen Provinzen …
davon soll nun der nächste Teil handeln.

Harald N. Stazol, 11. Januar 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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