Der in Hamburg lebende Journalist und Publizist Harald N. Stazol liebt klassische Musik, Oper und Ballett. Besonders schätzt er die Musik des russischen Komponisten Sergei Wassiljewitsch Rachmaninoff (* 20. Märzjul./ 1. April 1873greg. auf dem Landgut Semjonowo bei Staraja Russa im Gouvernement Nowgorod, Russisches Kaiserreich; † 28. März 1943 in Beverly Hills, Kalifornien, USA). Dies ist der zweite Teil einer sechsteiligen Serie über den Ausnahmemusiker.
Foto: Quelle: wikipedia.de (c)
von Harald N. Stazol
Obwohl mein Amazon-Konto überzogen ist, habe ich gerade „Rachmaninoff plays Rachmaninoff“ bestellt, und auch Sie, verehrter Leser dieser Eloge an einen Komponisten ohnegleichen, sans pareil, hätten Ihre wahre Freude daran, des‘ bin ich gewiss!
Da ist dieser kristallklare, vor Kraft und Anschlag bei oft durchgetretenem Pedal fast scheppernde Ton, eine Abfolge von brillantklaren Läufen und akrobatischen Akkordfolgen, der diese Tondokumente so unersetzlich macht, und ja, man kann dankbar für sie sein.
Als ich der Gastgeberin eines kleinen Empfanges zum Jahreswechel – sie trägt ein schwarzes Fransenkleid von Gianni Versace, ganz allerliebst, am Silvesterabend 2020 in bester und amüsantester Gesellschaft eine der „Études Tableaux“ auf dem Iphone vorspiele, ist sie hingerissen. Wir sitzen vor einem Panorama über die Dächer Hamburgs vom in allen Farben des Regenbogens illuminierten Fernsehturms links bis über die Hafenkräne in der Ferne und rechts Altona.
Es ist ja schön anzusehen, und schließlich hat Georg Friedrich Händel eine ganze „Feuerwerkssuite“ geschrieben für seinen König – aber für ein Feuerwerk eben, und auch die Suite ist bei Sir Neville Marriner und der Academy of St Martin in the Fields nach 33 Minuten beendet.
In Hamburg verfeuerte das offenbar glückliche Volk soviel Geld in die Luft, davon hätte man Neubau, Betrieb, Verwaltung, Ballett, Kostümabteilung, etc. pp. eines ganz neuen Opernhauses, sagen wir in Sachsen, erbauen können.
Während alldessen höre ich Rachmaninoffs Prélude cis moll.
Als Anton Rubinstein sich dem Komponisten erklärt, für ihn sei sie über „das Leben“ antwortet jener, „Sie haben es verstanden, genau das ist es.“ Und nun eben zu hören an den Tasten eines hochbetagten Pianisten der ohne Fehl und Tadel – nur einem Arturo Benedetti Michelangeli in der Hamburger Musikhalle 1996 ohne jeglichen Fehler (!!!) beim Chopin-Zyklus vergleichbar.
Frédérics „Revolutionsétude“ sendete Radio Warszawa in Endlosschleife während des deutschen „Überfalls“ und Bombardements auf die Stadt, solange sie nicht eingenommen war.
„Der Zar ist formidabel in Moskau, tapfer in Kazan und unbesiegbar in Tobolsk“ heißt es in einem russischen Sprichwort, will sagen: die Weiten des Landes sind nicht zu erobern, so General Kutusow, Held der Napoleonischen Kriege, zu denen Pjotr Iljitsch Tschaikowski die „1812“ schreiben wird und dessen Tod an Cholera in Sevastopol den jungen Rachmaninoff in eine tiefe Depression stürzen wird – Kutusow, der Held Russlands, ein dicker, unscheinbarer Mann, ein Auge ewig verkniffen, tiefgläubig, in speckigem Rock, lässt sogar Moskau brennen…
… würde Russland fallen, Radio Moskau sendete wohl die Étude Prélude cis moll bis zum bitteren Ende.
Auch die „Toteninsel“ eignete sich für etwas: Es ist ein langsamer Trauermarsch, getragen und unausweichlich, der der „tragisch, nicht bewegte“ (Gustav Mahler) Soundtrack sein könnte zum Artensterben.
Eine Stelle – wiederum in der 1. Sinfonie – gibt es, im 2. Satz, da nimmt das Genie eine frührussische Jazz-Einlage (!!!) vor, ein Flötenriff, zweimal wiederholt, noch ohne das Tempo aufzugeben, aber synkopisch geradezu.
Die „Études Tableaux“ sind von ebensolcher Genialität geprägt – zwischen dem obligaten Komponieren, dass sein Lehrer Nikolai Sergejewitsch Swerew (1832–1897) am Moskauer Konservatorium für eines Pianisten unwürdig erachtet und deswegen den Kontakt abbricht.
Dessen Geschenk, eine goldene Uhr, muss der Student Серге́й Васи́льевич Рахма́нинов sogar versetzen – Luchino Visconti belieh die Juwelen seiner Mutter, um „Rocco und seine Brüder“ drehen zu können.
Dazwischen immer wieder Klavierunterricht, um überhaupt Geld zu verdienen. Drei Jahre lang kann er überhaupt nicht komponieren, bis seine Mutter ihm eine tägliche Therapie verschafft. Er ist traumatisiert, ein früher Burn Out.
Zur gleichen Zeit fiel auch seine 1. Sinfonie in d-Moll bei Kritikern und Publikum durch: Uraufgeführt am 15. März 1897 in Sankt Petersburg unter der Leitung von Alexander Glasunow, stieß das Werk beim Publikum auf Ablehnung, der Kritiker César Cui fühlte sich beim Hören gar an eine Programmsymphonie zum Thema „Sieben ägyptische Plagen“ erinnert. Glasunow, der weder Rachmaninow noch seine 1. Sinfonie mochte, gab später im privaten Kreis zu, das Werk bei der Uraufführung im betrunkenen Zustand dirigiert zu haben.
Rachmaninoff, der von sich aus nicht gerade eine Frohnatur war, sondern eher eine Tendenz zur Schwermütigkeit hatte, geriet durch die vernichtende Kritik in eine tiefe Schaffenskrise und eine nachfolgende Depressionen, die durch die ablehnende Haltung Lew Tolstois gegenüber seiner Musik während eines Privatkonzerts verstärkt wurde. Er komponierte nicht mehr, sondern arbeitete stattdessen zeitweilig als Dirigent an der Moskauer Russischen Privatoper. Der Familie Satin gelang es schließlich, ihn dazu zu überreden, sich in ärztliche Behandlung zu begeben. Hilfe fand Rachmaninoff bei einem der russischen Pioniere auf dem Gebiet der Psychiatrie, Nikolai Dahl, dem es gelang, ihm sein Selbstvertrauen zurückzugeben. Dahl behandelte seinen berühmten Patienten mittels Hypnose.
Rachmaninoff schrieb hierüber später:
„Ich hörte die gleichen hypnotischen Formeln Tag für Tag wiederholt, während ich schlafend in Dahls Behandlungszimmer lag. ‚Du wirst dein Konzert schreiben … Du wirst mit großer Leichtigkeit arbeiten … Das Konzert wird von exzellenter Qualität sein …‘ Es waren immer dieselben Worte, ohne Unterbrechung. Auch wenn es unglaublich erscheint, diese Therapie half mir wirklich. Im Sommer begann ich zu komponieren. Das Material wuchs, und neue musikalische Ideen begannen sich in mir zu regen.“
Und warum „Rachmanin“, der Ursprung des Namens um 1400, auf Altrussisch „Der Faule“ hieß – des Vasily Namen, eines weiten Vorfahren Sergejs – nun, das will im dritten Teile beleuchtet werden.
Harald N. Stazol, 22. Januar 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Harald N. Stazol ist wie der Herausgeber Andreas Schmidt Absolvent der Henri-Nannen-Schule (Journalistenschule mit Sitz in Hamburg). Beide waren als Redakteure Kollegen beim Magazin STERN.