Matthias Janz: Was dieser Mann an schöner Musik geradezu ausstrahlt, ist wahrlich wundersam.
Foto: 6. April 2019: Matthias Janz dirigiert Johann Sebastian Bachs Johannespassion in der Laeiszhalle Hamburg mit dem Symphonischen Chor Hamburg und dem Flensburger Bach-Chor
Schleswig-Holstein Musik Festival
St. Michaelis, K 146, Hamburg, 12. August 2022
Dom zu Lübeck, K 150, 13. August 2022
Iwona Sobotka, Sopran
Gerhild Romberger, Alt
Benjamin Appl, Bariton
Flensburger Bach-Chor
Symphonischer Chor Hamburg
Elbipolis Barockorchester
Matthias Janz, Dirigent
Johannes Brahms:
Schicksalslied op. 54 für Chor und Orchester
Rhapsodie für Alt, Männerchor und Orchester op. 53
Pēteris Vasks:
Pater Noster für Chor und Streichorchester
Johannes Brahms:
„Nänie“ für Chor und Orchester op. 82
Gabriel Fauré:
Requiem op. 48
von Harald Nicolas Stazol
Dass einem die Worte fehlen, ist für einen Kritiker eine schlechte Voraussetzung. Wenn einem vor schierer Schönheit der Atem stockt, ist es etwas Wunderbares, Seltenes, Kostbares. Dass einem aber die Spucke wegbleibt bei Brahms, Fauré und Pēteris Vasks, bei einem Zusammenspiel von einem überragenden Zweifach-Chor, einem überragenden Orchester, überragenden Solisten, sorglich-zärtlich-virtuos geführt von einem ALLES überragenden Dirigenten.
Dieser Abend in St. Michaelis lässt einen – endlich, endlich wieder – an Wunder glauben!
Da ist die „Retterin“, Gerhild Romberger, sie springt ein (was für eine Leistung!), „die Konzerte“ rettend, auch das in Lübeck des Schleswig-Holstein Musik Festivals… die vorgesehene Altistin Sophie Harmsen ist erkrankt, und die Romberger überstrahlt alles, wenn man den Symphonischen Chor Hamburg und den Flensburger Bach-Chor hört, selber leuchtend, und die Pianissimi des geradezu glänzenden Elbipolis Barockorchesters – …aber da ist auch ein Erleuchteter:
Matthias Janz.
Hielt ich bislang das Requiem von Gabriel Fauré unter John Eliot Gardiner und der Academy of St. Martin-in-the-Fields für unübertroffen (die historische Aufnahme von 1938 unter Ernest Bournauck, sei ob reiner Liebhaberei aufs Innigste empfohlen: https://www.youtube.com/watch?v=wV_-Xvt2bBg&t=35s ) –
Nun bin ich glänzend widerlegt.
Was dieser Mann an schöner Musik geradezu ausstrahlt, ist wahrlich wundersam.
Gerade erwische ich mich dabei, „Hosanna in Excelsis“ zu singen, samt dieses majestätischen Tuttis des Orchesters dort – naja, ich markiere eher – wer solches bewirkt, hat meinen immerwährenden, außerordentlichen Respekt verdient.
Mir ist das Requiem bekannt und geliebt von Kindesbeinen an, gab es doch der Bachchor von St. Matthäus zu Ingolstadt, da war ich 14, und meines Vaters Tenor war wieder deutlich zu hören – gilt er doch noch immer als der beste Tenor dreier Kirchsprengel und des Bischofstums Eichstätt.
Es hat etwas fast Phantastisches, dieses Tonwerk, das so still-stille sein kann und dann gottbefohlen und sphärisch, ein Wohltönen des Erdkreises, an das die alten Griechen glaubten.
Foto: Antje Danker
Es gab aber auch andere Ansichten: Nach der Uraufführung in der Kirche La Madeleine fragte Fauré den dort ansässigen Vikar, von wem das Werk gewesen sei. Fauré fasste sich Mut und bekannte, dass es von ihm sei. Daraufhin erwiderte der Vikar, er solle das lassen, es gebe genügend Literatur, sodass man sein Werk nicht brauche.
Sie wissen nicht, was eine „Nänie“ ist? Keine Sorge, ich wusste es auch nicht! Es sind die Trauergesänge, die die Grablegungen des Alten Roms begleiteten, man nimmt an, tradiert, obwohl bis in die Neuzeit bedauernswerterweise nicht, da die Römer keine Notensysteme hatten. Und Brahms vertont wie immer höchste Literatur wie in den lehrreichen Ausführungen in dem wirklich sehr schön gestalteten Programmheft steht, das allerdings stolze 3 Euro kostet, und deswegen wohl dem Verfasser dieser Zeilen sein Exemplar mit allen Aufzeichnungen nach der Pause verschwunden, perdu dans l’air, gemopst, geklaut, gestohlen wurde. Möge der heilige Michael den Dieb strafen bis ins siebte Glied.
Eines meines Erachtens schönstes Gedicht der deutschen Literatur ist die „Nänie“ Friedrich Schillers, das ich in Gänze zitieren möchte:
„Auch das Schöne muß sterben! Das Menschen und Götter bezwinget,
Nicht die eherne Brust rührt es des stygischen Zeus.
Einmal nur erweichte die Liebe den Schattenbeherrscher,
Und an der Schwelle noch, streng, rief er zurück sein Geschenk.
Nicht stillt Aphrodite dem schönen Knaben die Wunde,
Die in den zierlichen Leib grausam der Eber geritzt.
Nicht errettet den göttlichen Held die unsterbliche Mutter,
Wann er, am skäischen Tor fallend, sein Schicksal erfüllt.
Aber sie steigt aus dem Meer mit allen Töchtern des Nereus,
Und die Klage hebt an um den verherrlichten Sohn.
Siehe! Da weinen die Götter, es weinen die Göttinnen alle,
Daß das Schöne vergeht, daß das Vollkommene stirbt.
Auch ein Klaglied zu sein im Mund der Geliebten, ist herrlich,
Denn das Gemeine geht klanglos zum Orkus hinab.“
Ich entdecke also gerade das mir wenig bekannte Brahmssche Chorwerk, mit dessen „Schicksalslied“ der Abend ja beginnt. Ich schreibe nieder im kleinen blauen Büchlein: „Soli! Deo Gloriam! Beglückend! Höre mein eigenes Leid…Herzschlag der Pauke, ganz sanft vorantreibend…“
Interessant auch der Vasks, ein Zeitgenosse moderner Musik, sein „Pater Noster“ (Vater unser) ein angenehm gefälliges Stück, dennoch mit einiger Fallhöhe.
Der Applaus kennt zu Recht kein Ende, der Dirigent verbeugt sich immer wieder, und bei Gerhild Romberger lässt das entzückt-beeindruckte Publikum die Kuppel des Michel erzittern.
Foto: Antje Danker
Und die ganze Zeit über flackert die güldene Statue des Michael in den letzten Sonnenstrahlen, und man geht die weiten Treppen hinunter zum Baumwall durch die laue Nacht, mit Brahms und Fauré im Herzen.
Harald Nicolas Stazol, 13. August 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at