Singularity: Yajie Zhang, Andres Agudelo, Daria Proszek, George Vîrban. Foto: © Wilfried Hösl
Cuvilliés-Theater, München, 7. Juni 2021
Singularity, A Space Opera for Young Voices – 2021
Komponist Miroslav Srnka · Libretto von Tom Holloway (Auftragswerk für das Opernstudio der Bayerischen Staatsoper)
von Frank Heublein
Vom zweiten Rang des Cuvilliés-Theaters in München aus habe ich einen sehr guten Blick in den Orchestergraben. Ein erstes Auftragswerk für das Opernstudio der Bayerischen Staatsoper. Begleitet werden die jungen Sänger, die schon im Titel „Singularity, A Space Opera for Young Voices“ eingefordert werden, vom Orchester Klangforum Wien. Dem steht heute Abend der ebenfalls junge Patrick Hahn vor.
Alle Instrumente sind genau einmal vertreten. Der Klang ist zuweilen hauchdünn, selten zart, meist flirrend. Neben „klassisch“ gewohnten Instrumenten, der Streicher und Bläser, ist da ein Piano, eine E-Gitarre, ein Akkordeon, ein Marimba- und ein Vibraphon. Die Instrumente werden auch zur Lauterzeugung gebraucht. Etwa wenn der Flötist tonlos hörbar Luft durch das Instrument bläst. Zudem werden Objekte wie mehrere Millimeter dicke, einen Meter lange und einen halben Meter breite Plastikplatten zur Lauterzeugung eingesetzt. Diese werden mit den Händen in Vibration versetzt und geben fluppende Geräusche von sich. Jenseits dieser im Orchestergraben erzeugten Töne und Laute werden elektronische Klänge eingespielt. All das allerdings spielt aber im ersten Teil kaum eine Rolle. Denn dieser Teil wird fast bis zum Ende a cappella gesungen.
Es gibt vier Handlungsträger. Die werden entsprechend der Stimmen benannt. Sopran, Mezzo, Tenor und Bariton. Jede Stimme hat einen analogen Träger in normaler Kleidung – wenn Sie wie ich Bademäntel dazu zählen – und einen digitalen Träger in schwarzen auch den Kopf umfassenden Ganzkörperanzügen. Eine spannende und kluge Idee für ein Stück, in dem es um die Mensch-Maschinen-Kommunikationsschnittstelle geht. Das Konzept der Trennung zwischen analoger und digitaler Stimme wird für mich im Verlauf des Stücks allerdings immer verwaschener. Eine mögliche inhaltliche Plausibilität der Annäherung der beiden Träger wird mir nur sehr unzureichend vermittelt.
In der ersten Szene wird das Konzept der Onomatopoesie, der Lautmalerei von außersprachlichen Tönen, bei den Stimmen eingeführt. Da fühle ich mich als Comicliebhaber sehr wohl, etwa wenn der digitale Sopran singt „ich liebe Dich für Dein Pfrfr tshll pchoah“ – das sind für mich als Zuschauer leicht erkennbare Lautmalereien für Computerspielgeräusche. Im ersten Teil ist Bariton am Spielen. Sopran muss zur Arbeit, möchte aber vorher gemeinsam mit dem Freund Bariton ein Update der implantierten Kommunikationstechnologie durchführen. Mich begeistert, wie die digitalen Stimmen ein Eigenleben zu den analogen entwickeln. Zwiste entfachen oder Dinge aussprechen, die sich die analogen Stimmen nicht auszusprechen getrauen. Das hat großen komödiantischen Reiz. Ein weiteres aus meiner Sicht komödiantisches Detail: die Untertitel sind durchzogen von Emojis.
Bariton ist so mit dem Spiel beschäftigt, dass Sopran das Update doch alleine durchführt. Dabei geht etwas schief! Dieses Schiefgehen ist die Handlungsgrundlage der nachfolgenden Teile. In Teil zwei finden sich Mezzo, Tenor und Bariton in einer fremden doch abgeschlossenen Umgebung wieder. Warum die drei? Ich erfahre es erst am Ende von Teil vier.
Bis dahin setzen sich die drei miteinander auseinander. Versuchen, der Umgebung zu entkommen. Hacken einen Computer. Bariton entlockt diesem die Stimme Soprans. Er erkennt im Verlauf, dass er Sopran aufrichtig liebt. Tenor und Mezzo merken, dass sie nicht altern. Zwischen den Teilen vergehen, Text und Untertitel verraten es mir, insgesamt fünfzig Jahre. Ich schlussfolgere: auch die analogen Stimmen sind nur noch digitales Abbild der analogen Personen.
Hier zeigt sich für mich, dass das Stück bei der Trennung zwischen analogem und digitalem Persönlichkeitsteil in Schwierigkeiten gerät. Zumal nach dem ersten Teil die digitalen Handlungsträger nur sehr selten getrennt vom analogen Alter Ego individuelle Interaktionsmuster entwickeln dürfen. Der komödiantische Reiz des Auseinanderfallens der Handlungsfiguren in einen analogen und digitalen Part verblasst für mich extrem nach dem ersten Teil. Das empfinde ich als vertane Chance.
Zwei Arien des Mezzos im dritten Teil beeindrucken mich sehr: In der ersten ist sie verzweifelt – was mich erheitert: „Lass mich auf der Stelle altern! Gib mir Falten! Mach mir den Rücken krumm! Ruinier mir die Hüften! Mach mich launisch! Lass meine Brüste hängen! Gib mir einen Damenbart! Ich möchte in die Wechseljahre kommen! Mach mich alt, sofort!“ In der zweiten erzählt sie, warum sie nicht geupdatet hat: Sie wollte die Liebe der Nachbarin mit Hinterlist erzwingen. Als diese Ihr falsches Spiel entdeckt, verschwindet sie mitten in der Nacht aus Mezzos Leben: „Aber dann hat sie alles herausgefunden und ist eines Nachts gegangen. Und hat mich wieder allein gelassen. Mich entfreundet. Daher hab ich nicht das Update gemacht.“
Im vierten Teil dann die Auflösung der Situation: Die drei sind Laborratten ähnlich gehalten worden, denn sie sind die einzigen drei Personen, die nicht geupdatet haben. Durch einen Fehler, einen Bug im Update, wurden alle Gedanken an alle übertragen. Doch anstatt systemisch zusammenzubrechen, bildete sich eine Singularität. Ein einziges „Ich“. Dieses Ich hat die drei Ungeupdateten als Notfallreserve und Beobachtungsfall in ein „getrenntes System“ überführt. Nun hält dieses Ich das „Vorhalten“ für überflüssig: „Waren wir alle … im Grunde unseres Wesens …Versager? Mir wurde langweilig, euch zuzuschauen. Es hat mich deprimiert. Dieser Ort wird explodieren. Folgt mir oder sterbt. Ihr müsst nur [FH: das Update] annehmen, um weiterzuleben.“
Diese Offenbarung der Versuchsanordnung geschieht plötzlich und hektisch. Eine Erregung von Bariton, Tenor und Mezzo, sich als missbrauchte Wesen zu sehen, die fehlt. Die hätte komödiantisches Potenzial ausspielen können. Perdu.
Das mich beeindruckendste des fünften und letzten kurzen Teils ist der Lichteffekt, der mich als Publikum hineinzieht als inklusiven Teil der Singularität, die die letzten individuellen Reste von Bariton, Mezzo und Tenor assimiliert.
Orchestermusikalisch für mich am interessantesten, da am klangflüssigsten, ist das Zwischenspiel zwischen Teil zwei und drei. Hier folge ich dem Klang aufmerksam gespannt. Sonst flirrt, ziseliert es. Fast so, als würden sich auch die Instrumente stark auf Lautmalerei verlegen. Obschon die Ausführenden hochkonzertiert zu Werke gehen, einen musikalischen Flow kann ich dabei nicht entwickeln, zu gebrochen ist die Klanggestaltung für mich. Nur in wenigen Szenen gelange ich zu einer tief gespürten musikalisch forcierten Intensität.
Stimmlich gefallen mir alle Solisten und Solistinnen sehr gut. Die Herausforderungen der Lautmalerei, des stetiges Changierens zwischen Sprechen, Singen, Flüstern meistern alle Stimmen beeindruckend. Auch die nicht seltenen Oktavsprünge im Singen muten locker leicht an. Eine stimmliche Bank ist dieses Opernstudio!
Es ist ein eindrucksvoller unterhaltsamer erster Teil, der meine Erwartung an eine musikalische Komödie wunderbar erfüllt. Danach fehlt es an dramaturgischer Dichte und an komödiantischen Einfällen, um mich emotional dauerhaft ins Stück hineinversenken zu können. Nur einige Momente verbringe ich tief drin in der Singularität des heutigen Abends.
Frank Heublein, 8. Juni 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Programm
Singularity, A Space Opera for Young Voices – 2021
Komponist Miroslav Srnka · Libretto von Tom Holloway (Auftragswerk für das Opernstudio der bayerischen Staatsoper)
Besetzung
Komponist Miroslav Srnka
Musikalische Leitung Patrick Hahn
Inszenierung Nicolas Brieger
Bühne Raimund Bauer
Kostüme Andrea Schmidt-Futterer
Licht Benedikt Zehm
Videodesign Stefano Di Buduo
Elektronische Klänge Matouš Hejl
Dramaturgie Malte Krasting
Sopran Analog Eliza Boom
Sopran Digital Juliana Zara
Mezzo Analog Daria Proszek
Mezzo Digital Yajie Zhang
Tenor Analog George Vîrban
Tenor Digital Andres Agudelo
Bariton Analog Andrew Hamilton
Bariton Digital Theodore Platt
Orchester Klangforum Wien