Elbphilharmonie Hamburg, Großer Saal, 08. August 2022
Foto: Sol Gabetta und Bertrand Chamayou in der Elbphilharmonie © Pressestelle Schleswig-Holstein Musik Festival
Felix Mendelssohn: Sonate für Violoncello und Klavier B-Dur op. 45
Johannes Brahms: Sonate für Violoncello und Klavier e-Moll op. 38
Felix Mendelssohn: „Variationes concertantes“ für Violoncello und Klavier D-Dur op. 17
Frederic Chopin: Sonate für Violoncello und Klavier g-Moll op. 65
Sol Gabetta Violoncello
Bertrand Chamayou Klavier
von Elżbieta Rydz
Das erste Konzert in der Elphi nach der Sommerpause. Nach zwei Jahren Einschränkungen, leeren Plätzen und Masken fühlt es sich befremdlich an, eng an eng, ohne Maske in dem ausverkauften Saal zu sitzen. Herr Kuhnt begrüßt herzerwärmend die Hörer und führt in seiner pädagogisch leicht verständlichen Art durch die Umstellungen im Programm, gibt Hinweise auf die mathematisch zu errechnende Zusammensetzung der Stücke und die Gepflogenheiten bezüglich Klatschen, Husten, Handy abstellen.
Mit dem Allegro vivace der Sonate B-Dur von Mendelssohn wird das Konzert eröffnet: sanft aufsteigend schwingen die Instrumente zu ungeahnten Höhen heroischer Kraft. Das Hauptthema spaltet sich dialogisch zwischen der rechten Hand im Klavier und dem Streichinstrument, düster-heroisch herausgelockt, wehmütig drängend im weiteren Verlauf. Aus den beeindruckenden Triolen im Cello entwickelt sich ein Seitenthema: der zart pulsierende Dialog zwischen den Instrumenten steigert sich allmählich und führt zum strahlenden zweiten Thema. Das helle Leuchten ist kurz, fast ungreifbar, flüchtig. Nach der krönenden, brillant gespielten Coda legt schon mancher Hörer die Hände zum Klatschen zusammen…
Im zweiten Satz Andante legt ein wehmütiges Impromptu in g-Moll sanft wiegend, klanglich bezaubernd, geprägt von zartestem Klavieranschlag Bernand Chamayous und gezupften Cellosaiten Sol Gabettas den Grundstock. Lieblich melancholisch singende Ländlerweise, Pizzicato-Akkorde werden kurz von einem lichten Dur-Moment im Cello durchbrochen.
Das Finale im Allegro assai ist unendlich lyrisch, am Klavier auftrumpfend und schon fast überraschend sanft in dem zurückgenommenen Schluss. Sol Gabetta zieht aus dem 3. Satz die zarteste Konsequenz durch die scheinbar unendliche, konstant warme Bogenführung auf dem letzten Ton.
Das im Programm folgende Stück, die Sonate für Violoncello und Klavier
e-moll op. 38 von Johannes Brahms hat mit dem Vorgängerstück eines gemeinsam: entgegen der klassischen 4-teiligen Sonatenform besteht es ebenfalls aus drei Teilen. Johannes Brahms hat die ersten drei Teile 1862 bei Bad Münster am Stein komponiert, vollendet 1865 und einem begeisterten Cellisten und Brahms’ Juristenfreund Dr. Josef Gänsbacher gewidmet. Brahms selbst erhielt in seinen Hamburger Jugendtagen Cellounterricht und war hingerissen von dem „männlich ernsten Charakter des Instruments“. Erst 21 Jahre später sollte die zweite Sonate folgen.
Werke in e-Moll sind äußerst selten in der Literatur zu finden, Brahms hat nur noch einmal auf die klagend-traurige, mystische Tonart in seiner
4. Sinfonie zurückgegriffen.
Der wundervoll warme Violoncelloklang eröffnet impressionistisch-zart den Kopfsatz, eine geheimnisvolle Atmosphäre, Eintauchen in versunkene Werke erfüllt die Elphi. Sol Gabetta führt das weit ausgesponnene Hauptthema aus der tiefen Lage in lichtere Höhen. Bernand Chamayou hüllt die Töne durch zarte Vorhalte bis er selbst das Hauptthema übernimmt und das Violoncello in satten kommentiert. Die Perlenden Tropfen des Klaviers hüllen die Hörer in einen Zauber. Durch den plötzlichen Moll-Dur-Wechsel eröffnen sich leuchtenden Klangschaften, leidenschaftlich durchsingend schlagen die klassischen und barocken Vorbilder durch die Oberfläche einer romantisch strömenden, sehnsüchtigen und gefühlssatten Interpretation. Sol Gabetta und Bernand Chamayou ergänzen sich, führen weiter, tragen einander in den Sehnsuchtsort des 2. Satzes, der an die Welt der Klaviertänze von Franz Schubert und an die Walzer von Frédéric Chopin erinnert.
Brahms war sehr selbstkritisch, hat seine Kompositionen immer wieder einer Prüfung unterzogen. Sicherlich hat das 19. Jahrhundert und die Zeit des bürgerlichen Individualismus, die in der Gründerzeit ihren Höhepunkt anstrebte, seine Spuren hinterlassen. Unerhörter Leistungswille dem künstlerischen Anspruch zu genügen und dem Bildungsbürgertum entgegen dem schonungslos blanken Profitstreben brachten für Brahms persönlich den Zustand der permanenten Auseinandersetzung mit seinem Werk. Einerseits die zeittypische Neigung zu bürgerlicher Geborgenheit und die instinktive Flucht in die unbehauste Freiheit der Kunst hatten zur Konsequenz, dass das ursprünglich als 3. Satz komponierte Adagio von Brahms vernichtet wurde. Die Sonate endet mit einem durch Bach inspirierten Fugenfinale. Kraftvolle Triolenrythmen und ein monumental klingender Schluß beenden den 1. Teil des Abends. Beeindruckend für mich, wieviel Leidenschaft, Romantik, Sehnsucht, Wehmut aber auch Rastlosigkeit heute Abend in dem Dialog der Künstler pulsieren.
Die Freiheit beim Komponieren hat auch dem bereits schwer kranken Frédéric Chopin bei der Entstehung seiner Sonate op. 65 Qualen bereitet: was bereits auf dem Papier stand wurde verworfen, immer wieder unternahm Chopin einen neuen Versuch aus einer anderen Perspektive. Chopin komponierte seine einzige Sonate für Violoncello und Klavier 1,5 Jahre vor seinem Tod, es ist das letzte Werk welches mit einer Opuszahl versehen und zu Chopins Lebzeit erschienen ist. Im ersten Satz hat es den Anschein, als ob Chopin sich in den Themen, Formen klanglichem Gleichgewichts verrennt. Hier bringt Chamayou das Klavier als Melodieinstrument zum Singen. Das Kernstück der Sonate ist das Finale Allegro mit seiner besonders glücklichen Klangbalance zwischen den beiden Instrumenten. Zauberhaft wie die Künstler die Chopinsche Notenflut scheinbar mühelos meistern.
Der laue Sommerabend endet mit zwei herrlichen Zugaben und Standing Ovations – was für ein Auftakt in die neue Konzertsaison!
Mit höchstem Respekt, Wertschätzung und Dankbarkeit!
Elżbieta Rydz, 10. August 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Gropius Quartett, Camille Thomas, Violoncello Lily Maisky, Klavier Elbphilharmonie, 3. Juli 2022
Dresdner Musikfestspiele, Lange Nacht des Cellos Kulturpalast Dresden, 26. Mai 2022
Rising Stars 4: Raphaela Gromes – mit dem Cello auf Entdeckungsreise