Daniil Trifonov Piano SF © Marco Borrelli
Daniil Trifonov gibt einen großen Solo-Abend bei den Salzburger Festspielen
Jean-Philippe Rameau (1683-1764) – Suite a-Moll aus Nouvelles Suites de pieces de clavecin
Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) – Sonate für Klavier F-Dur KV 332
Felix Mendelssohn (1809-1847) – Variations sérieuses d-Moll op. 54
Ludwig van Beethoven (1770-1827) – Sonate für Klavier Nr. 29 op. 106, „Hammerklavier-Sonate“
Daniil Trifonov, Klavier
Salzburg, Großes Festspielhaus, 28. August 2024
von Brian Cooper, Bonn
„Das ist einer, dem man noch oft nachreisen wird“, prophezeite mein verstorbener Konzertfreund Uli zu Beginn der Karriere des Daniil Trifonov, von dem man schon früh ahnte, dass es sich unter den vielen Ausnahmetalenten unserer Tage um eines der ganz großen handelt.
Damals schon, mit etwa 20, war alles da. Nur brauchten manche Menschen etwas länger, um zu lernen, dass der Mann nicht „Daniel“ heißt. Ein reiner Liszt-Abend in Mülheim an der Ruhr bleibt ob der stupenden Technik als faszinierend in besonderer Erinnerung, wenngleich es ob des Programms herausfordernd war.
Und so vergehen die Jahre, und man stellt fest: Trifonov ist gereift. Und zwar aufs Beste. In einem klug und abwechslungsreich zusammengestellten Programm schlägt er das Salzburger Publikum in seinen Bann.
Bevor es losgeht, ein kurzer Drohnenblick über das einzigartige Gelände. Ja, es ist ein Festivalgelände, nur anderen Genres: hier die eine Spielstätte, daneben eine andere Bühne… Es ist wie Glastonbury, nur in elegant und ohne Schlamm. Es ist nicht mein erster Besuch in Salzburg, doch der erste bei den Festspielen, und die sind a world unto itself. Wo sonst werden Presseleute auf einer Terrasse bewirtet, die sicher eine der schönsten Aussichten auf die Stadt bietet?
In puncto Eleganz kann allenfalls Baden-Baden mithalten. Erfreulich viele junge Menschen sind zu sehen, einige davon, quer durch die Altersschichten, in Tracht, wobei die dann doch eher nach nebenan gehen, in die Felsenreitschule, denn dort ist große Oper (Der Spieler). Auch im Großen Festspielhaus ist die Erwartung hoch, nicht nur des Künstlers wegen: Franz muss noch parken, kommt auf den letzten Drücker, wie immer, seine Maria ist optimistisch-erwartungsvoll gestimmt, er schafft das schon, ihr Franz, und wo ist jetzt die Inge?
Der Klingelton, herrisch wie eine Schulglocke, jagt uns vollzählig in den Saal. Schon zu Beginn stellt sich heraus, dass das Publikum, obgleich zumeist diszipliniert, bezüglich Geräuschabsonderung nicht anders ist als anderswo: dreifaches Handyklingeln (trotz klarer und verständlicher Ansage vorweg), Geklapper, Tuscheln, und dann dieser elende Klettverschluss (Regel 13 für den Konzertsaal)…
Trifonov beginnt mit Rameau, dessen Musik endlich häufiger zu hören ist. Sein Rameau ist völlig anders als jener von Tharaud, Barto, Sokolov: unendlich langsam. Die Noten kleben aneinander, doch stets mit klarem Ziel, es klingt dicht, meditativ, die Verzierungen variiert der Pianist sehr abwechslungsreich, sie gleichen einer Wiese, auf der jede Blume anders aussieht. Die finale Gavotte et six doubles ist geradezu todesnah ermattet, und wo Tharaud durch Heraushämmern der Basslinie Swing erzeugt, klingt es bei Trifonov choralartig.
Mozart in Salzburg zu hören oder gar zu spielen gehört wohl zu einer Erfahrung, die man durchaus nicht vergisst. Vor allem nicht, wenn er so klingt wie bei diesem Geniestreich von einer Sonate, KV 332, unter Trifonovs Fingern. Der lässt die schlichte Melodie des ersten Satzes sanglich erklingen; das Adagio ist ergreifend; und im Finale brennt er das erste virtuose Feuerwerk ab. Allerdings eines, das leise verklingt – so, als sei nichts gewesen.
Mendelssohns Variations sérieuses in d-Moll hört man gar zu selten im Konzertsaal, und es ist Trifonov zu danken, dass er sich für dieses Meisterwerk einsetzt. Man ist fast traurig, dass es nur 17 Variationen wurden, statt etwa 32, es ist ein zutiefst romantisches Werk, und doch schimmert immer wieder Bach durch, dessen Matthäus-Passion Mendelssohn wieder Leben einhauchte, nachdem sie unbegreiflicherweise fast 200 Jahre vergessen worden war. Überragend klingt die langsame Dur-Variation: Trifonov ist völlig versunken, wir sind ergriffen, die Zeit scheint stillzustehen, und es ist fast, als spiele er die letzte der Schumann’schen Kinderszenen mit dem Titel „Der Dichter spricht“.
Erst dann ist Pause, es folgt Beethovens Hammerklaviersonate. Ich hörte das Werk erst zweimal live, einmal 2012 mit Perahia, einmal mit dem späten Pollini, der nicht mehr auf der Höhe war. Es ist sperrig und voller Fallstricke, die Partitur des in München lebenden australischen Pianisten Michael Leslie ist gespickt mit Totenköpfen, die ihn auf sämtliche Fährnisse hinweisen. Bei Trifonov krachen die ersten Akkorde gewittergleich in den Applaus, passend zu den Blitzen, die man draußen in der Pause gesehen hat. Es wird eine mustergültige Darbietung. Im kurzen, koboldhaften Scherzo hören wir Donnergrollen in der linken Hand. Und dann der langsame Satz, für den ein Leben nicht ausreicht, um ihn zu verstehen: Wieder hält Trifonov die Zeit an. Wir versinken in den mäandernden Linien, der Pianist selbst scheint völlig versunken, das Beethoven’sche Motto über der Missa solemnis kommt uns in den Sinn: „Von Herzen – Möge es wieder zu Herzen gehen!“ Und dann die Überleitung zum vierten Satz, das Largo von fünffachem iPhone-Pling begleitet: Trifonov bringt das nicht aus der Ruhe. Er schüttelt den folgenden Everest, diesen fugierten Gipfel an technisch Anspruchsvollstem, förmlich aus dem Ärmel.
Ganz nach russischer Tradition beschenkt er uns noch mit vier herrlich jazzigen Zugaben (zweimal Bullumba Landestoy, je einmal Bill Evans und Art Tatum). Uli mochte keine Zugaben nach Mammutwerken: „Nun ist aber gut!“ hätte er mir während des Applauses zugerufen. Und wäre dann doch beseelt und beglückt in die laue Salzburger Gewitternacht entschwunden.
Dr. Brian Cooper, 29. August 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Wolfgang Amadeus Mozart: „Don Giovanni“ Salzburger Festspiele, Großes Festspielhaus, 11. August 2024