Foto © Johannes Ifkovits
Krassimira Stoyanova und Jendrik Springer entführen das begeisterte Publikum auf eine musikalische Reise
Solistenkonzert, Wiener Staatsoper, 13. November 2017
Krassimira Stoyanova Solistin
Jendrik Springer Pianist
Lieder von Franz Schubert, Richard Strauss, Erich Wolfgang Korngold, Pjotr Iljitsch Tschaikowsky, Georgi Wassiljewitsch Swiridow, Georgi Slatew-Tscherkin
von Jürgen Pathy
Ein Konzertflügel, ein international gefragter Liedbegleiter und eine gefeierte Operndiva. Keine theatralische Inszenierung, kein Orchester und kein Dirigent – stattdessen feinfühlige Interpretationen teilweise bekannter, teilweise weniger bekannter Kunstlieder. Dies waren die Zutaten für einen außergewöhnlichen und unvergesslichen, intimen Liederabend in der Wiener Staatsoper.
Die weltweit bekannte Sängerin Krassimira Stoyanova und der in Göttingen geborene Liedbegleiter Jendrik Springer entführten das begeisterte Publikum auf eine musikalische Reise vom früh-romantischen Wien, über Bayern bis ins melancholische Russland und in die bulgarische Heimat der Sopranistin.
Das Künstler-Duo eröffnet das Solistenkonzert mit vier Liedern des Wieners Franz Schubert (1797 – 1828): darunter die erste Schubert‘ sche Goethe-Vertonung „Gretchen am Spinnrad“ und „Ellens Gesang: Hymne an die Jungfrau“, besser bekannt als „Ave Maria“. Nach etwas zu dominantem Gesang beginnen die beiden Musiker auf höchster Klasse zu harmonieren; rührt die gebürtige Bulgarin mit ihrem feinen Timbre und ihrem zartem, agilen Vibrato zum ersten Mal zu Tränen! Schuberts himmlische Musik und die hoch-sensible Rezitation gehen tief unter die Haut.
Vor der Pause folgen bekannte Lieder Richard Strauss‘ (1864 – 1949) und des in Brünn (Brno ist nach Prag die zweitgrößte Stadt Tschechiens) geborenen Wieners Erich Wolfgang Korngold (1897 – 1957), der nach dem „Anschluss“ Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland im Jahre 1938 aufgrund seiner jüdischen Wurzeln endgültig in die USA emigrierte.
Richard Strauss widmete das vierte und bekannteste seiner „Vier Lieder“ op. 27: „Meiner geliebten Pauline (de Ahna) zum 10. September 1894 als Morgengabe“. Mit der herzbewegenden Darbietung dieses Liedes „Morgen / Und morgen wird die Sonne wieder scheinen“ (Richard Strauss), einer Vertonung des gleichnamigen Liebesgedichts des deutschen Schriftstellers John Henry Mackay (1864 – 1933), sorgt das Bühnen-Paar für weitere rührende Momente im zauberhaften Ambiente des bedeutendsten Opernhauses der Welt. Trotz eines Fassungsvermögens von 1709 Sitz- und 569 Stehplätzen ist das Haus am Ring ein traumhafter Ort für einen intimen Liederabend.
War die erste Hälfte des Abends schon ein Erlebnis erster Klasse – zu erwähnen seien ein, zwei kleine Unsauberkeiten im hohen Register der bulgarischen Kammersängerin –, so ist die zweite Hälfte nur schwer in Worte zu fassen!
Krassimira Stoyanova, 55, die mit den größten Stars der Opernwelt gemeinsam auf der Bühne stand, verwandelt den Saal in eine elektrisch-geladene Zauberwelt: waren zuvor noch Zwischengeräusche vereinzelt aus dem Zuschauerraum zu vernehmen, inklusive obligatorischem Handy-Läuten, so konnte man jetzt eine Stecknadel fallen hören: Die beiden Musiker zogen die Zuhörer in ihren magischen Bann.
Da stört es auch niemanden, dass er der russischen und bulgarischen Sprache nicht mächtig ist: zu betörend ist der Zauber, der eine magnetische Anziehungskraft entfacht – mythischen Sirenen gleich. Mit Liedern der russischen Komponisten Pjotr Iljitsch Tschaikowsky (1840 – 1893) und Georgi Wassiljewitsch Swiridow (1915 – 1998) als auch dem Bulgaren Georgi Slatew-Tscherkin (1905 – 1977) bewegt sich die bulgarische Sopranistin entlang den Pforten ihrer Heimat; hier erblüht die Kammersängerin vollends, strahlt über das ganze Gesicht und wird eins mit der Musik.
„Vielleicht gibt es etwas, das uns verbindet… vielleicht diese Melancholie oder diese Emotionen, die immer so tief sind – es ist immer eine Fast-Tragödie“, antwortete Krassimira Stoyanova in einem Interview auf eine Frage über das slawische Musikrepertoire. „Ich spüre das durch mein Blut; zum Beispiel die russische Musik: Ich kann nicht darüber sprechen, ich singe einfach.“
Die Ausnahme-Sängerin beweist an diesem traumhaften Abend, dass das keine leeren Worte waren! Jeder im Saal spürt die Ehrlichkeit in den Worten der Diva und möchte das gut eingespielte Künstlerpaar nicht ziehen lassen: drei Zugaben – die letzte bereits bei geöffneten Saal-Türen und heller Saal-Beleuchtung –, jede Menge Bravi und ein prächtiger, auf die Bühne geworfener Blumenstrauß (aus der Proszeniums-Loge, rechts, 1. Rang) zeugen von einem begeisterten Publikum, wie es selbst die große Wiener Staatsoper nicht täglich erleben darf.
Hier hat Krassimira Stoyanova 1998 ihr Haus-Debüt gefeiert, als Micaëla in George Bizets „Carmen“; hier stand sie 2016 als Amelia in Giuseppe Verdis „Un ballo in maschera“ auf der Bühne, mit Piotr Beczala und Dmitri Hvorostovsky an ihrer Seite.
Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 14. November 2017,
für klassik-begeistert.at