© Salzburger Festspiele / Marco Borrelli
Solistenkonzert Mutter · Orkis, Salzburger Festspiele
Großes Festspielhaus, 26. August 2017
Anne-Sophie Mutter: Violine
Lambert Orkis: Klavier
Sebastian Currier: Clockwork für Violine und Klavier
Wolfgang Amadeus Mozart: Sonate für Klavier und Violine A-Dur KV 526
Maurice Ravel: Sonate für Violine und Klavier G-Dur
Francis Poulenc: Sonate für Violine und Klavier FP 119
Camille Saens-Saëns: Introduction et Rondo capriccioso op. 28
(Fassung für Violine und Klavier von Georges Bizet)
von Raphael Eckardt
Die Geigenvirtuosin Anne-Sophie Mutter und der Pianist Lambert Orkis treten seit über 25 Jahren gemeinsam auf den großen Bühnen dieser Welt auf. Mit einer Recital-Tournee durch die USA gab das Duo 1988 die umjubelte Premiere einer Partnerschaft, die mittlerweile seit über einem Vierteljahrhundert Jahr für Jahr kreative Früchte hervorbringt und für Emotionen sorgt, wo sie manch einer schon totgeschrieben hat.
Da gibt es oft eine einfache Violinsonate von Brahms zu bestaunen, die mancher Konzertbesucher wohl am liebsten als die „Totgehörte“ bezeichnen würde, weil sie mit so unglaublicher Häufigkeit in so vielen Konzertsälen dieser Welt zu hören ist, dass man sie kaum noch wahrnehmen möchte oder gar kann. Mutter und Orkis sind für solche Momente wie geschaffen. Ihnen gelingt genau an dieser Stelle oft ein interpretatorischer Coup, der so manchen Gewohnheitshörer verwundert aufhorchen lässt: diese Dynamik, diese Präzision. Wenn Mutter und Orkis gemeinsam auftreten, wird höchstens eine Sache zur immerwährenden Gewohnheit: musikalische Weltklasse.
In Salzburg ist zur Zeit der Festspiele generell alles ein wenig anders: Da gibt man sich bei sommerlichen Temperaturen in der Innenstadt im Smoking die Hand und reicht sich hier und da einen Aperitif im Sektglas mit Mozartdesign. Alles ein wenig verschroben, alles ein wenig außergewöhnlich. Und genau deshalb passt es an diesem Abend sensationell, dass Mutter und Orkis ihren Konzertabend eben nicht mit einem „musikalischen Gassenhauer der Klassik“ eröffnen, sondern mit einem recht unbekannten amerikanischen Komponisten der Neuzeit: Sebastian Currier.
„Clockwork“ heißt dessen 1989 komponiertes Werk. Bizarres Geigenflirren in hohen Daumenlagen fügt sich wie ein kleines Zahnradgewinde in große Klavierpassagen, die Orkis mit einer funkelnden Leichtigkeit darbietet. Hier und da schluckt der Festsaal extrem dosierte Pianissimopassagen beinahe vollkommen. Nur Mutters Geigensurren ist dann zu hören – ganz leise, ganz dezent, aber durchdringend wie ein altes, tickendes Uhrwerk. Alles wirkt ein wenig realitätsfremd, ein wenig verzerrt und ein wenig zauberhaft: Spontan keimen Gefühle auf, die an Stanley Kubricks „A Clockwork Orange“ erinnern: Alex, der rebellische Teenager, der durch die beinahe psychedelische Kraft von Beethovens 9. Sinfonie zum lammfrommen Erwachsenen wird. Freilich, motivisch verzichtet Currier auf beethoven‘sche Effekte, emotional wirkt seine Musik aber in unglaublicher Tiefe.
Lediglich die älteren Herrschaften im Konzertsaal scheinen hier und da ihre Probleme mit dieser ganz besonderen Art von Musik zu haben. Doch die sollten anschließend auf ihre Kosten kommen.
Denn ausruhen von Curriers bizarrem Uhrwerk konnte man sich dann bei Mozarts Violinsonate in A-Dur, KV 526. Mutter bewältigt das kompositorische Heimspiel an diesem Abend mit gewohnter Bravour. Rauschende Sommerstürme in aufgebrachtem Allegro wechseln sich mit lieblich, schwelgerischen Episoden ab. Hier und da scheint Mutter mit ihrer Violine auf einer Wolke zu schweben. Im melancholischen Andante zeigt sich ihre innige Beziehung zum Instrument besonders stark: Mutter scheint das Publikum vergessen zu haben. Nur sie und ihre Geige füllen einen gewaltigen Klangraum. Orkis malt ein impressionistisches Landschaftsgemälde, Mutter haucht dem Bild Leben ein. Das ist nicht nur musikalisch ein absoluter Genuss, sondern auch optisch ein Bild, das Innigkeit in ihrer Reinform ausdrückt: Die funkelnde Violine von Antonio Stradivari verschmilzt zur Einheit mit ihrer Diva im strahlend gelben Kleid.
Emotion und Leidenschaft: Es sind nicht nur die feindefinierten Charakterzüge, die Mutters Mozartinterpretation an diesem Abend auszeichnen. Es ist ein unwahrscheinlich lebendiges, impulsives Gesamtbild, das diese eigentlich recht leicht verdauliche Musik in nie dagewesenem Licht erstrahlen lässt.
Bei Ravels G-Dur Sonate lässt sich dann vielleicht das einzige kleine Manko finden. Technisch bewältigen sowohl Mutter als auch Orkis das anspruchsvolle Werk freilich mehr als perfekt. Der letzte Funke Emotion will hier allerdings nicht so recht überspringen. Dies mag durchaus auch am Konzertsaal liegen, der eigentlich präzise artikulierte Passagen ungünstig verwaschen wirken lässt. Hier und da interpretiert Mutter Ravel aber auch ein bisschen zu undurchsichtig. Klangliche Verschleierung schadet bei einem impressionistischen Komponisten eigentlich nie. Wenn Motivik und Thematik darunter aber zu stark leiden, geht ein wertvoller Gehalt dieser wunderbaren Musik schnell einmal verloren. Das ist zwar schade, tut der fantastischen musikalischen Klasse dieses Abends aber kaum einen Abbruch – zumal das sich teilweise bizarr verhaltende Publikum Mutters technische Brillanz mit tosendem Applaus feiert.
Das musikalische Highlight des Programms ist zweifelsohne die vierte Violinsonate von Francis Poulenc. Lambert Orkis bietet am Flügel eine musikalische Weltklasseleistung: Er wandelt auf einem schmalen Grat zwischen verschiedenen Stilen und verschafft Mutter eine einzigartige Basis, die sie eindrucksvoll zu nutzen weiß: Anfangs klangsinnlich, beinahe in impressionistischem Flair, schwingt sie sich im Kreise tänzelnd zu wiegender Salonmusik auf. Hier und da erklingen Fragmente des „Tea for Two“-Ohrwurms, Mutter gelingen eindrucksvolle Differenzen in Dynamik und Agogik. In den Schlusssätzen kreiert sie ein Gemälde von einer musikalischen Mannigfaltigkeit, die man so nur selten zu hören bekommt. Mein lieber Freund, kann diese Frau mit ihrem Instrument umgehen!
Die „Introduction et rondo capriccioso“ von Camille Saint-Saens, eigentlich für Orchester und Violine komponiert, rundet ein gelungenes Konzertprogramm imposant ab. Ähnlich wie bei Mozart überzeugt Mutter auch hier durch einen satten und intensiven Ton. Alles wirkt unglaublich authentisch, alles klingt rein, unverschnörkelt und hoch emotional. Beide Künstler vermitteln ihrem Publikum ein glaubhaftes Abbild ihres tiefsten Inneren. Da sind Farbtöne zu erkennen, die so saftig erstrahlen wie die Trauben eines spanischen Weinbergs. Hier eine blauviolett leuchtende Rebe, an anderer Stelle ein klarer Bach, der sich seinen natürlichen Weg durch die endlose, natürliche Weite bahnt. Mutter und Orkis spielen derartig offen mit ihren Emotionen, dass es sich als schier unmöglich für sie erweist, die Musik eines französischen Romantikers wie Camille Saint-Saens fehlzuinterpretieren. Dies gilt ebenso für die kurzen Zugaben, (unter anderem die Titelmelodie zu Schindlers Liste von John Williams), in denen Mutter einmal mehr ihr musikalisches Fingerspitzengefühl beweisen kann.
Zum Abschluss der Solistenkonzerte bei den diesjährigen Salzburger Festspielen gelingt Anne-Sophie Mutter und Lambert Orkis vor allem ein Höhepunkt in emotionaler Hinsicht. Ein perfekt harmonierendes Duo, das nicht nur musikalisch auf einer Wellenlänge zu schweben scheint, wusste vor allem durch unfassbar feinsinniges musikalisches Gespür und klangliches Facettenreichtum zu überzeugen. Ganz nach dem Motto: Die Pointe kommt zum Schluss. Bravo!