Foto: Nicolai Gedda (c) wikipedia
von Peter Sommeregger
Als der weltberühmte Tenor Nicolai Gedda vor fünf Jahren, am 8. Januar 2017 im hohen Alter von 91 Jahren in seinem Haus bei Lausanne starb, erfuhr die Musikwelt erst etwa einen Monat später davon. So hatte der notorisch scheue Sänger es noch zu seinen Lebzeiten verfügt.
Der 1925 in Stockholm als Harry Gustaf Nikolai Lindberg geborene , später von seiner Tante und deren russischen Ehemann adoptierte Gedda verbrachte einen Teil seiner Kindheit in Leipzig, wo er auch seine musikalische Ausbildung begann, die er nach der Rückkehr der Familie nach Stockholm am dortigen Konservatorium fortsetzte und abschloss. Bereits 1951 debütierte er an der Stockholmer Oper in der Titelrolle des „Postillon von Lonjumeau“ von Adolphe Adam mit großem Erfolg.Schon in den 1950er Jahren entwickelte sich rasch seine internationale Karriere, die ihn an praktisch sämtliche europäische Opernhäuser führte. Schon frühzeitig zeigte sich seine stilistische Vielseitigkeit. Deutsches, französisches und italienisches Repertoire schienen ihm gleichermaßen zu liegen, was ihm ein breites Spektrum an Partien ermöglichte. Seine ersten Mozart-Partien sang er bei den Festspielen von Aix en Provence, der Mozartgesang sollte zu einer seiner größten Stärken werden. Bereits 1957 erhielt er einen Ruf an die Metropolitan Opera in New York, deren Mitglied er über 20 Jahre blieb. Im Januar 1958 sang er dort in der Uraufführung von Samuel Barbers „Vanessa“, und trat in dieser Oper im gleichen Jahr auch bei den Salzburger Festspielen auf.
Durch seine Zuverlässigkeit und Stilsicherheit erfreute er sich bei Dirigenten größter Beliebtheit, die ihn bevorzugt auch für Schallplattenaufnahmen einsetzten. Der Großteil seiner Einspielungen erschien beim EMI-Konzern, in Ausnahmefällen wurde er aber an andere Firmen „ausgeliehen“, wie auch für die erste Gesamtaufnahme von Pfitzners „Palestrina“ unter Rafael Kubelik für die Deutsche Grammophon.
Unter Otto Klemperer spielte er so unterschiedliche Werke wie die „Matthäus-Passion“ von Bach und den „Don Giovanni“ von Mozart ein. Für drei Gesamtaufnahmen stand er mit Maria Callas im Studio, nämlich Rossinis „Turco in Italia“, Puccinis „Madama Butterfly“ unter Karajan und Bizets „Carmen“. Die Liste der Dirigenten, mit denen er arbeitete liest sich wie das who is who der Elite des 20. Jahrhunderts. Ob Herbert von Karajan, Otto Klemperer, Josef Krips, Sir Colin Davis, Wolfgang Sawallisch, Andre Cluytens, für alle war er jeweils die Wunschbesetzung. Kaum ein anderer Sänger kann eine ebenso umfangreiche Diskographie vorweisen, wie Gedda. Auch als Lieder- und Oratoriensänger war er gefragt, auch davon zeugen zahlreiche Einspielungen.
Eine weitere Facette seines Könnens spielte er in späteren Jahren als Operettensänger aus. Zusammen mit Anneliese Rothenberger produzierte er eine große Zahl von Gesamtaufnahmen von Operetten von Kalman, Johann Strauss und vielen anderen Komponisten. Die dadurch entstehende Omnipräsenz in den Katalogen rief auch kritische Stimmen auf den Plan, aber an der Qualität seines Gesanges fand sich nie ein Grund zur Beschwerde. In der Wahrnehmung seines Künstlertums haben diese Aufnahmen vielleicht ein zu großes Gewicht. Seine bevorzugte Partnerin Rothenberger wurde am Ende auch fast nur noch als Operettensängerin wahrgenommen, obwohl sie eine respektable Karriere auch im „seriösen“ Fach hatte.
Nicolai Gedda sang noch mit 76 Jahren den Kaiser in „Turandot“ in einer Aufführung des Dänischen Rundfunks unter Giuseppe Sinopoli. Um Partien des Spinto-Faches machte er aus Sorge um seine Stimme meist einen Bogen. Für den Schwedischen Rundfunk sang er 1966 seinen einzigen „Lohengrin“, als den man ihn auch nach Bayreuth verpflichten wollte, aber davor schreckte Gedda dann doch zurück. Sein balsamisch weiches Timbre, seine mühelose Höhe waren sein Markenzeichen, und die wollte er sich erhalten.
Durch seine Zurückhaltung in privaten Dingen wissen wir wenig über den Menschen Nicolai Gedda. Er veröffentlichte zwar eine Autobiographie, die aber über die Auflistung seiner Auftritte nicht weit hinausgeht. Seine unzähligen Tonaufnahmen erlauben aber eine umfassende Beschäftigung mit seiner Ausnahme-Stimme. Und das ist wohl auch das Wesentliche!
Peter Sommeregger, 5. Januar 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Ladas Klassikwelt (c) erscheint jeden Montag.
Frau Lange hört zu (c) erscheint unregelmäßig.
Schweitzers Klassikwelt (c) erscheint jeden zweiten Dienstag.
Sommereggers Klassikwelt (c) erscheint jeden Mittwoch.
Pathys Stehplatz (c) erscheint jeden zweiten Donnerstag
Hauters Hauspost (c) erscheint unregelmäßig.
Daniels Antiklassiker (c) erscheint jeden Freitag.
Dr. Spelzhaus Spezial (c) erscheint unregelmäßig.
Ritterbands Klassikwelt (c) erscheint unregelmäßig.
Der Schlauberger (c) erscheint jeden Sonntag.
Der gebürtige Wiener Peter Sommeregger (Jahrgang 1946) besuchte das Humanistische Gymnasium. Er wuchs ganz in der Nähe von Franz Schuberts Geburtshaus auf. Schon vor der Einschulung verzauberten ihn an der Wiener Staatsoper Mozarts „Zauberflöte“ und Webers „Freischütz“ – die Oper wurde die Liebe seines Lebens. Mit 19 Jahren zog der gelernte Buchhändler nach München. Peter kennt alle wichtigen Spielstätten wie die in Paris, Barcelona, Madrid, Verona, Wien und die New Yorker Met. Er hat alles singen und dirigieren gehört, was Rang und Namen hatte und hat – von Maria Callas und Herbert von Karajan bis zu Riccardo Muti und Anna Netrebko. Seit 1994 lebt Peter in Berlin-Weißensee – in der deutschen Hauptstadt gibt es ja gleich drei Opernhäuser. Buchveröffentlichungen: „‘Wir Künstler sind andere Naturen‘. Das Leben der Sächsischen Hofopernsängerin Margarethe Siems“ und „Die drei Leben der Jetty Treffz – der ersten Frau des Walzerkönigs“. Peter ist seit 2018 Autor bei klassik-begeistert.de. Jeden Mittwoch: „Sommereggers Klassikwelt“.
Sommereggers Klassikwelt 113: Die wunderbare, unvergessliche Lucia Popp, klassik-begeistert.de
Einer der besten aller Zeiten. Wenige konnten mit so viel Leichtigkeit, Schönheit und Strahlkraft singen wie Gedda. Sprachlich war Gedda vielleicht der begabteste Sänger der Geschichte – unfassbar, wie gut seine Aussprache war auf Schwedisch, Deutsch, Italienisch, Französisch und Russisch.
Vor allem besaß er auch eine Eigenschaft die keiner heute besitzt: Selbstbewusstsein – er wusste genau wo seine Grenze lag.
Ach, Herr Alazem, keiner besitzt Selbstbewusstsein … Sie haben ja oft Recht, hier jedoch muss ich an Ihnen sehr zweifeln.
Flórez, Beczala, Fabiano, Alagna, Bernheim etc. nur um ein paar Tenöre zu nennen, habe ein starkes Selbstbewusstsein. Ausgerechnet Gedda aber hatte oft Probleme mit der Wahl seiner Rollen. Hatte er dann gewählt – und das konnte dauern –, tat er alles um Erfolg zu haben. Er hatte ihn reichlich. Privat fehlte ihm immer wieder ein brauchbares Selbstbewusstsein, weshalb er oft empfindlich scheiterte.
Ihre Begeisterung für Gedda in Ehren, aber genauer recherchieren hilft gelegentlich.
Dass er den Spinto mied, war klug. Aber das entschied er auch keineswegs aus der la main.
Robert Forst
Herr Forst,
Vielleicht haben Sie mich missverstanden – oder verzeihen Sie meine mangelnden deutschen Sprachkentnisse, da das Wort „Selbstbewusstsein“ scheinbar eine andere Bedeutung hat als in der schwedischen Sprache. Sein „schlechtes“ Selbstvertrauen und seine „Unsicherheit“ sind mir bekannt, hier in Schweden kenne ich mehrere Menschen die mit ihm befreundet waren, und einige haben sogar mit ihm gesungen.
Meinen Kommentar habe ich ja darauf bezogen, dass er seine stimmliche Grenzen auf ganz andere Art kannte und respektierte, als viele Sänger der heutigen Zeit. Gedda hat „unpassende“ Rollen ausprobiert, aber sah meistens ein, dass es einfach nicht passt. Heutzutage probieren die Tenöre „was neues/anders“ und dann machen sie weiter in der selben Richtung, obwohl das gar nicht passt.
Kaufmann sollte den Otello nach dem ersten Versuch in London einfach lassen. Flórez sollte beim Rossini/Belcanto-Repertoire bleiben, Beczała – der vor 10 Jahren tatsächlich an Gedda erinnerte, auch wenn er nicht denselben Glanz in der Stimme besaß – sollte beim lyrischen Repertoire bleiben usw. Als ich vor ein paar Monaten Beczała als Manrico in Zürich hörte, war ich über diese schlechte Repertoirewahl total erstaunt, aber noch erstaunter war ich, als ich vor kurzem erfuhr, dass er im Sommer Radamès singt.
Yehya Alazem
Ich habe Gedda berufsbedingt gekannt. Er litt lebenslang darunter, dass seine leiblichen Eltern ihn ins Waisenhaus geben wollten. Im letzten Moment griff eine Tante ein, die ihn mit ihrem Mann großzog. Ihnen verdankte Gedda fast alles. Jedoch die extreme Strenge seines Ziehvaters machte Gedda enorm unsicher und scheu. Erst nach ein paar Jahren der Erfolge legte sich das. Seinen leiblichen Vater hat Gedda nie treffen wollen. Gedda hatte zwei unglückliche Ehen hinter sich. Seine erste Frau zog ihn in einen zehnjährigen Scheidungskrieg. Nur die Musik hielt ihn oben. Später traf er seine Jugendliebe wieder, mit der er glücklich in Tolochenaz/Schweiz lebte.
Soviel zum Selbstbewusstsein, das arg gestört war.
Franco Bastiano, Paris V-ième