Sommereggers Klassikwelt 140: Sigrid Onégin – Die große Altistin und ihr dunkles Geheimnis

Sommereggers Klassikwelt 140: Sigrid Onégin  klassik-begeistert.de

von Peter Sommeregger

Der 16. Juni ist der Todestag der bis heute durch ihre Schallplatten populären Altistin Sigrid Onégin. Sie starb im Jahr 1943 im Schweizer Tessin, wo sie mit ihrem zweiten Ehemann, dem Arzt Fritz Penzoldt, zuletzt gelebt hatte. Im Alter von nur 54 Jahren erlag die als Elisabeth Hoffmann 1889 in Stockholm geborene Sängerin einem Krebsleiden.

Die Tochter eines französischen Vaters und einer deutschen Mutter studierte in Frankfurt, München und Mailand Gesang, ihr Bühnendebüt hatte sie 1912 als Carmen an der Stuttgarter Hofoper, nachdem sie schon ein Jahr zuvor ihr Konzertdebüt unter dem Namen Lilly Hoffmann absolviert hatte. Bis 1919 blieb sie am Stuttgarter Opernhaus im Engagement.

Sie heiratete am 25. Mai 1913 in London die unter dem Pseudonym „Baron Eugen Borisowitsch Lhwoff-Onégin“ auftretende Komponistin und Pianistin Agnes Elisabeth Overbeck. Lange Zeit war die wahre Identität dieses „Ehemannes“ unbekannt, dessen Pseudonym die Sängerin ebenfalls als ihren Künstlernamen benutzte. Nachdem sich die Künstlerin Onégin während des ersten Weltkriegs aus politischen Gründen in ihrer Stuttgarter Wohnung verstecken musste, wurde er aber 1916 doch verhaftet. Hoffmann-Onégin erkämpfte zwar seine Freilassung, aber bereits 1919 starb Onegin nach längerer Krankheit an Tuberkulose.

Von ihrem Stuttgarter Engagement wechselte die Sängerin von 1919 bis 1922 an die Münchner Oper, ab 1922 trat sie bereits erfolgreich an der Metropolitan Opera in New York auf. Die Vereinigten Staaten von Amerika bereiste die Künstlerin mehrfach im Rahmen von ausgedehnten „Coast to Coast“-Tourneen. In den Staaten entstand ein nicht unwesentlicher Teil der Schallplatten-Aufnahmen Onégins, die uns einen Eindruck ihrer ausladenden vollen Altstimme geben, die auch in den höheren Registern große Strahlkraft besaß. Ein wenig störend an den amerikanischen Aufnahmen sind stilistische Zugeständnisse an den Markt der USA. Manche etwas kitschigen Orchesterarrangements wären vom europäischen Publikum so nicht goutiert worden.

Gleichermaßen auf der Opernbühne wie dem Konzertpodium zu Hause, eilte Sigrid Onégin von Erfolg zu Erfolg. Umjubelte Konzerte in der New Yorker Carnegie Hall wechselten mit Auftritten an der Pariser, der Berliner und der Wiener Oper. Von 1926 bis 1935 gehörte sie dem Ensemble der Städtischen, heute Deutschen Oper Berlin an, von 1931 bis 1935 hatte sie auch einen Gastvertrag mit dem Stadttheater (Opernhaus) in Zürich. 1931 und 1932 trat sie bei den Salzburger Festspielen in einer ihrer Glanzrollen, dem Orpheus von Gluck auf. Die Bayreuther Festspiele sahen sie 1933 und 1934 als Fricka, Waltraute und 1. Norn. Seit Beginn der 1930er Jahre hatte die Künstlerin ihren Lebensmittelpunkt in die Schweiz verlegt.

Aus ihrer zweiten Ehe stammt der 1925 geborene Sohn Peter. Nach ihrem frühen Tod betrieb ihr Witwer, der Arzt Fritz Penzoldt, einen wahren Kult mit dem Andenken an die Sängerin. Er richtete eine „Weihestätte“ in ihrer letzten Wohnung ein, in der Erinnerungsstücke an die Künstlerin aufbewahrt wurden. Autobiographische Skizzen Onégins ergänzte er in schwer verdaulichem Stil zu dem Buch „Alt-Rhapsodie“, das bis heute die einzige Quelle für die Biographie der Sängerin ist. Begraben wurde die Künstlerin auf dem Waldfriedhof Stuttgart neben ihrem ersten Ehemann, der nach neueren Erkenntnissen gar kein Mann war. Zeit ihres Lebens haben beide dieses Geheimnis bewahrt, das sie in der heutigen Zeit problemlos offen leben könnten. Zeitlos ist aber die Schönheit der Gesangsstimme Sigrid Onégins, der warme, unverwechselbare Klang ihres kostbaren Timbres.

Peter Sommeregger, 14. Juni 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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Ein Gedanke zu „Sommereggers Klassikwelt 140: Sigrid Onégin
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  1. Herzlichen Dank für den schönen Artikel und den Hinweis auf den „Baron“, der wie ich in Düsseldorf geboren wurde. Über den (bzw. die) werde ich gerne mal recherchieren.

    Jürgen Gauert

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