Foto: Copyright Vicki Kondelik
von Peter Sommeregger
Die am 5. September 1895 in Berlin als Tochter eines Polizeikommissars geborene Meta Seinemeyer ist trotz ihres tragisch kurzen Lebens zu einer Ikone der Gesangskunst geworden, die der Stimmen-Experte Jürgen Kesting von ihrer Bedeutung her auf eine Stufe mit Maria Callas stellte.
Möglich ist dies nur durch den Glücksfall, dass die Sopranistin zwischen 1924 und ihrem Todesjahr 1929 über 60 Arien und Duette für die Schallplatte aufnahm. Sie haben uns in erfreulich guter Qualität die unverwechselbare Stimme und Phrasierungskunst Seinemeyers erhalten.
Ausgebildet wurde sie am renommierten Stern’schen Konservatorium ihrer Heimatstadt Berlin. Dieses Institut brachte in Konkurrenz zu der damaligen Königlichen Musikhochschule eine Vielzahl von sehr erfolgreichen Sängern hervor. Bereits 1918 trat Seinemeyer ihr erstes Engagement am Charlottenburger Opernhaus an, dem Vorgängerinstitut der Deutschen Oper Berlin. Dort erarbeitete sie sich schnell ein umfangreiches Repertoire des jugendlich-dramatischen Stimmfaches, das auch einzelne Operettenrollen beinhaltete.
Im Herbst 1923 war Seinemeyer Teil einer Gastspielreise der so genannten Germany Great Opera Company, die in verschiedenen Städten der USA mit namhaften Sängern und Dirigenten auftrat.
Entscheidend für ihre weitere Karriere war ein Gastspiel an der Dresdener Oper als Marguerite in Gounods „Faust“ am 29. November 1924, das zum sofortigen Engagement Seinemeyers an dieses Haus führte. Hier wurde sie zur Protagonistin der von Dresden ausgehenden Verdi-Renaissance. Speziell ihre Interpretation der Leonora in der „Macht des Schicksals“ wurde gefeiert. Das noch junge Medium Schallplatte zeichnete so gut wie sämtliche Rollen Seinemeyers für die Schallplatte auf. Ihr dunkel timbrierter Sopran, dessen höhere Register von unbeschreiblicher Leuchtkraft sind, eignete sich vorzüglich für Tonaufnahmen. Diese wurden der Sängerin auch privat zum Schicksal: Dirigent aller Aufnahmen war der Dirigent Frieder Weissmann, der Seinemeyers Lebensgefährte wurde.
Einzelne Gastspiele führten Seinemeyer nach London und Wien, auch in Buenos Aires trat sie auf, eine bedeutende internationale Karriere bahnte sich an. Ein Engagement als Eva bei den Bayreuther Festspielen 1925 sagte sie aus unbekannten Gründen ab. Spätestens ab 1926 traten bei der Sängerin Anzeichen einer schweren Erkrankung auf. Immer häufiger musste sie Auftritte und Gastspielreisen absagen. Noch im Mai 1929 sang sie mehrere Vorstellungen an Londons Covent Garden Opera.
Ein Foto, das sie mit Weissmann im Juni 1929 bei einer Kur in Bad Kissingen zeigt, dokumentiert bereits ihre physische Schwäche. Danach sang sie in Dresden noch einmal die Marschallin im „Rosenkavalier“. Es sollte ihr letzter Bühnenauftritt sein. Anfang August wurde Seinemeyer in das Krankenhaus in der Dresdner Johannstadt eingeliefert. Offiziell wurde ihre Krankheit nie benannt, es dürfte sich aber um Leukämie gehandelt haben.
Am 19. August 1929 wurde die Sängerin auf dem Totenbett mit Frieder Weissmann getraut. Ihr Jawort konnte sie der Überlieferung nach nur durch Kopfnicken geben.
Ihr Tod löste auch in Berlin große Bestürzung aus. Ihr Begräbnis auf dem Südwest-Kirchhof in Stahnsdorf bei Berlin besuchten angeblich weit mehr als tausend Menschen. Die Grabinschrift nimmt Bezug auf eine ihrer bedeutendsten Rollen: „Die Macht des Schicksals hat es gewollt. Die Seele lebt“.
Seinemeyers Vater konnte den Tod der Tochter nicht verwinden, und starb bald nach ihr. Als die Nutzung für die Grabanlage auslief, übernahm der berühmte Countertenor Jochen Kowalski die Kosten, um das Andenken an die große Sängerin lebendig zu erhalten. Dank ihrer Plattenaufnahmen ist Meta Seinemeyer auch Jahrzehnte nach ihrem Tod unvergessen. Sie zu hören, kann man jedem Liebhaber schöner Stimmen nur empfehlen!
Peter Sommeregger, 14. Dezember 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Sommereggers Klassikwelt (c) erscheint jeden Mittwoch.
Der gebürtige Wiener Peter Sommeregger (Jahrgang 1946) besuchte das Humanistische Gymnasium. Er wuchs im 9. Gemeindebezirk auf, ganz in der Nähe von Franz Schuberts Geburtshaus. Schon vor der Einschulung verzauberte ihn an der Wiener Staatsoper Mozarts „Zauberflöte“ und Webers „Freischütz“ – die Oper wurde die Liebe seines Lebens. Mit 19 Jahren zog der gelernte Buchhändler nach München, auch dort wieder Oper, Konzert und wieder Oper. Peter kennt alle wichtigen Spielstätten wie die in Paris, Barcelona, Madrid, Verona, Wien und die New Yorker Met. Er hat alles singen und dirigieren gehört, was Rang und Namen hatte und hat – von Maria Callas und Herbert von Karajan bis zu Riccardo Muti und Anna Netrebko. Seit 26 Jahren lebt Peter in Berlin-Weißensee – in der deutschen Hauptstadt gibt es ja gleich drei Opernhäuser, die er auch kritisch rezensiert: u.a. für das Magazin ORPHEUS – Oper und mehr. Buchveröffentlichungen: „‘Wir Künstler sind andere Naturen’. Das Leben der Sächsischen Hofopernsängerin Margarethe Siems“ und „Die drei Leben der Jetty Treffz – der ersten Frau des Walzerkönigs“. Peter ist seit 2018 Autor bei klassik-begeistert.de.
Kesting über Seinemeyer: Sie ist mit Callas zu vergleichen.
Kesting irrt nicht zum ersten Mal, oft hat er auch Recht. Gute Aufnahmen der Seinemeyer offenbaren eine ausgezeichnete Sängerin mit schönem Timbre und Farbe und Volumen.
Aber…
Ich werde 84 und habe Maria Callas in vier Partien insgesamt sechs mal live gehört.
Frau Seinemeyer in Ehren und auch Herr Kesting: Maria Callas bleibt wo sie ist, in einem einsam hohen Penthouse, wo niemand sie erreichen kann.
Wer sie erlebt hat, wird viele Stockwerke unter ihr gute bis sehr gute Sängerinnen
finden.
Robert Forst
Danke, dass hier an Meta Seinemeyer erinnert wurde.
Jürgen Gauert