Es verwundert nicht, dass der engagierte Berliner Querverlag nun einen explizit schwulen Opernführer herausbringt. Die äußere Aufmachung im magentafarbenem Samt und dem Titel Casta Diva scheinen auf den ersten Blick sämtliche schwule Klischees zu bedienen. Aber schon die Namen der beiden Herausgeber, Rainer Falk und Sven Limbeck, beides anerkannte Wissenschaftler, rücken dieses Bild sofort gerade. Die große Affinität innerhalb der LGBT zur Oper ist allgemein bekannt, ihr Anteil an den Zuschauern jeder Aufführung unübersehbar groß. Aber braucht man wirklich einen schwulen Opernführer?
von Peter Sommeregger
Wir leben in einer Zeit, in der sich unsere Gesellschaft immer stärker individualisiert, auch Randgruppen der Gesellschaft vehement ihre Anerkennung einfordern und mit einem neuen Selbstbewusstsein ihre Besonderheit leben. Diese Entwicklung, die grundsätzlich zu begrüßen ist, hat natürlich längst auch kommerzielle Begehrlichkeiten geweckt. Kaum ist die Bedeutung des Wortes „vegan“ im allgemeinen Bewusstsein angekommen, gibt es bereits entsprechende Supermärkte, Kochbücher und Restaurants.
Die teilweise noch bis in das 21. Jahrhundert diskriminierte LGBT – das ist eine aus dem englischen Sprachraum kommende Abkürzung für Lesbian, Gay, Bisexual and Transgender, also Lesbisch, Schwul, Bisexuell und Transgender – ist heute eine auch politisch nicht mehr zu unterschätzende Kraft geworden. Als selbst Betroffener kann man teilweise amüsiert beobachten, wie selbst in der seichtesten Telenovela schwule und lesbische Beziehungsgeflechte ihren Eingang gefunden haben, wie Homosexualität selbst in Werbespots kein Tabu mehr ist. Selbst die Regenbogen-und Klatschpresse erweckt heute schon den Eindruck, als wäre die neu erkämpfte Normalität und Toleranz immer schon vorhanden gewesen.
Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass der engagierte Berliner Querverlag nun einen explizit schwulen Opernführer herausbringt. Die äußere Aufmachung im magentafarbenem Samt und dem Titel Casta Diva scheinen auf den ersten Blick sämtliche schwule Klischees zu bedienen. Aber schon die Namen der beiden Herausgeber, Rainer Falk und Sven Limbeck, beides anerkannte Wissenschaftler, rücken dieses Bild sofort gerade. Die große Affinität innerhalb der LGBT zur Oper ist allgemein bekannt, ihr Anteil an den Zuschauern jeder Aufführung unübersehbar groß. Aber braucht man wirklich einen schwulen Opernführer?
Je länger man sich mit dem gewichtigen Band von 700 Seiten beschäftigt, ist man geneigt, diese Frage zu bejahen. Das editorische Prinzip des Buches ist klug erdacht, in einer umfangreichen Einführung legen es die Autoren dar. Naturgemäß wird auf die Subtexte der behandelten Werke größter Wert gelegt, aber die Autoren der einzelnen Beiträge vermeiden tunlichst eine krampfhafte Zuordnung zur schwulen Thematik.
In Form und Anspruch entspricht Casta Diva durchaus einem konventionellen Opernführer. 157 Werke von 92 Komponisten werden in fundierten Artikeln vorgestellt, sie decken einen Zeitraum von 400 Jahren Musiktheatergeschichte ab. Jede behandelte Oper wird mit Angaben über den Komponisten, die Entstehung und die Handlung versehen. Zusätzlich finden sich auch noch Hinweise auf weiterführende Literatur und empfehlenswerte Einspielungen. Das Auswahlprinzip ist durch die Präsenz des jeweiligen Werkes im aktuell gespielten Repertoirebetrieb begründet.
Dass wahrscheinlich jeder Leser das eine oder andere ihm am Herzen liegende Werk vermisst, liegt in der Natur einer notwendigen Eingrenzung eines solchen Projektes. Das Fehlen von Artikeln über Alban Bergs Wozzeck, Janaceks Jenufa und B.A. Zimmermanns Soldaten, immerhin dreier Schlüsselwerke des modernen Musiktheaters, befremdet allerdings schon.
Die 31 Autorinnen und Autoren werden im Anhang des Buches kurz vorgestellt, ihnen allen ist ein Ansatz eigen, der eine teilweise neue und ungewohnte Sicht auf die behandelten Werke ermöglicht. Um das Werk in der nun vorliegenden Form, auf hochwertigem Papier, zahlreichen mehrfarbigen Abbildungen und der bereits erwähnten Samtbeschichtung des Einbandes zu ermöglichen, griff der Verlag zu einer Crowdfunding-Kampagne, die auch das gewünschte Ziel nicht verfehlte. Sofern nicht anders gewünscht, wurden die Namen der Spender im Anhang des Buches erwähnt.
Anders als auf den ersten Blick vermutet, bietet dieser Opernführer aber abseits aller Klischees einen fundierten, gleichzeitig auch originellen und unorthodoxen Zugang zur Kunstform Oper!
Peter Sommeregger, 8. Januar 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.de
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Der gebürtige Wiener Peter Sommeregger (Jahrgang 1946) besuchte das Humanistische Gymnasium. Er wuchs im 9. Gemeindebezirk auf, ganz in der Nähe von Franz Schuberts Geburtshaus. Schon vor der Einschulung verzauberte ihn an der Wiener Staatsoper Mozarts „Zauberflöte“ und Webers „Freischütz“ – die Oper wurde die Liebe seines Lebens. Mit 19 Jahren zog der gelernte Buchhändler nach München, auch dort wieder Oper, Konzert und wieder Oper. Peter kennt alle wichtigen Spielstätten wie die in Paris, Barcelona, Madrid, Verona, Wien und die New Yorker Met. Er hat alles singen und dirigieren gehört, was Rang und Namen hatte und hat – von Maria Callas und Herbert von Karajan bis zu Ricardo Muti und Anna Netrebko. Seit 25 Jahren lebt Peter in Berlin-Weißensee – in der Hauptstadt gibt es ja gleich drei Opernhäuser, die er auch kritisch rezensiert: u.a. für das Magazin ORPHEUS – Oper und mehr. Buchveröffentlichungen: „‘Wir Künstler sind andere Naturen.‘ Das Leben der Sächsischen Hofopernsängerin Margarethe Siems“ und „Die drei Leben der Jetty Treffz – der ersten Frau des Walzerkönigs“. Peter ist seit 2018 Autor bei klassik-begeistert.de .