Sommereggers Klassikwelt 194: Der Dirigent Hans Rosbaud ist heute zu Unrecht fast vergessen

Sommereggers Klassikwelt 194: Der Dirigent Hans Rosbaud ist heute zu Unrecht fast vergessen

Hans Rosbaud © wikipedia.org

 von Peter Sommeregger

Der am 22. Juli 1895 in Graz geborene Hans Rosbaud erhielt den ersten Klavierunterricht von seiner Mutter, die eine ausgebildete Konzertpianistin war. Die Mutter, die den Namen des Vaters ihren insgesamt vier Kindern lebenslang verschwieg, musste allein für sie sorgen.

Hans zeigte großes musikalisches Talent und studierte am Hoch’schen Konservatorium in Frankfurt/Main, wo er u.a. den Komponisten Paul Hindemith kennenlernte, mit dem ihn eine lebenslange Freundschaft verbinden sollte.

Bereits 1920 wurde er Direktor der Städtischen Musikschule in Main, im Herbst 1929 berief man ihn zum Chefdirigenten des neu gegründeten Hessischen Rundfunk-Symphonie-Orchesters, ab 1937 war er für vier Jahre Generalmusikdirektor in Münster, 1941 wechselte er in gleicher Position in das besetzte Strasbourg. Seine ausgeprägte Neigung für zeitgenössische Komponisten konnte er während der Herrschaft der Nationalsozialisten nur sehr begrenzt pflegen. Von den Machthabern hielt sich Rosbaud bewusst fern, sein Bruder Paul spionierte unter Lebensgefahr für die Briten, unter dem Decknamen „Greif“ hielt er die Engländer über Deutsche Waffensysteme auf dem Laufenden.

Die amerikanischen Besatzer setzten Rosbaud 1945 als Leiter der Münchner Philharmoniker ein. Er verließ das Orchester 1948, nachdem die Stadt München, der Betreiber des Orchesters, eine konservativere Programmgestaltung angemahnt hatte. Noch im selben Jahr wurde Rosbaud Leiter des Südwestfunk-Orchesters Baden-Baden, eine Stellung, die er bis an sein Lebensende behielt.

Nicht nur in dieser Position setzte sich der Dirigent für zeitgenössisches Repertoire ein, so trat er mit seinem Orchester regelmäßig bei den Donaueschinger Musiktagen auf- 1954 war er der Uraufführungsdirigent von Arnold Schönbergs unvollendet gebliebener Oper „Moses und Aaron“, 1955 von Pierre Boulez’ Komposition Le marteau sans maître.

Fast vergessen ist heute auch, dass Rosbaud zusammen mit Ernest Bour 1948 das Festival in Aix-en-Provence mit einer Aufführung von Mozarts „Così fan utte“ begründete. Bis zu seinem Tod 1962 leitete er dort jeden Sommer Aufführungen von Mozart-Opern. Auf dem CD-Graumarkt sind einige Mitschnitte davon erhalten.

Hans Rosbaud war in erster Linie ein „Radio-Dirigent“, aber seine Aufnahmen von Symphonien Bruckners, Mahlers, Werke von Strawinsky und Boulez wurden archiviert. In den letzten Jahren erleben diese, sorgfältig restaurierten Aufnahmen ihre Premiere auf modernen Tonträgern und verblüffen durch ihre hohe künstlerische und technische Qualität.

Ende 1962 gab Rosbaud Konzerte in Chicago mit dem dortigen Symphony Orchestra, nur drei Wochen später starb er in seinem Haus im Schweizerischen Lugano am 29. Dezember 1962.

Hans Rosbaud, der neben Latein und Altgriechisch weitere fünf Sprachen beherrschte, galt als „strenger“ Dirigent, aber menschlich integer. Die Beschäftigung mit seinen Tondokumenten weisen ihn als einen der bedeutendsten Dirigenten seiner Generation aus.

Peter Sommeregger, 19. Juli 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Sommereggers Klassikwelt (c) erscheint jeden Mittwoch.

Der gebürtige Wiener Peter Sommeregger (Jahrgang 1946) besuchte das Humanistische Gymnasium. Er wuchs im 9. Gemeindebezirk auf, ganz in der Nähe von Franz Schuberts Geburtshaus. Schon vor der Einschulung verzauberte ihn an der Wiener Staatsoper Mozarts „Zauberflöte“ und Webers „Freischütz“ – die Oper wurde die Liebe seines Lebens. Mit 19 Jahren zog der gelernte Buchhändler nach München, auch dort wieder Oper, Konzert und wieder Oper. Peter kennt alle wichtigen Spielstätten wie die in Paris, Barcelona, Madrid, Verona, Wien und die New Yorker Met. Er hat alles singen und dirigieren gehört, was Rang und Namen hatte und hat – von Maria Callas und Herbert von Karajan bis zu Riccardo Muti und Anna Netrebko. Seit 26 Jahren lebt Peter in Berlin-Weißensee – in der deutschen Hauptstadt gibt es ja gleich drei Opernhäuser, die er auch kritisch rezensiert: u.a. für das Magazin ORPHEUS – Oper und mehr. Buchveröffentlichungen: „‘Wir Künstler sind andere Naturen.‘ Das Leben der Sächsischen Hofopernsängerin Margarethe Siems“ und „Die drei Leben der Jetty Treffz – der ersten Frau des Walzerkönigs“. Peter ist seit 2018 Autor bei klassik-begeistert.de.

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