Sommereggers Klassikwelt 191: Der Bariton Alexander Heinemann brachte Deutsches Liedgut in die USA

Sommereggers Klassikwelt 191: Der Bariton Alexander Heinemann brachte Deutsches Liedgut in die USA  28. Juni 2023

Foto: Alexander Heinemann

von Peter Sommeregger

Der am 26. Mai 1873 geborene Alexander Heinemann nutzte seine musikalische Begabung anfangs für das Klavierspiel, die Geige und Posaune, ehe er am renommierten Stern’schen Konservatorium seiner Heimatstadt Berlin eine Gesangsausbildung begann.

Bereits ab 1895 sind Auftritte des Baritons als Konzertsänger in verschiedenen Musikzentren belegt. Der Sänger, der sich teilweise autodidaktisch ausgebildet hatte, spezialisierte sich frühzeitig auf das Deutsche Kunstlied, war aber auch in Oratorien erfolgreich.

Opernauftritte Heinemanns gab es offenbar nicht, das dürfte an der wenig attraktiven Physis des Sängers gelegen haben, vor allem aber an einem früh aufgetretenen rheumatisches Leiden, das Heinemann zeitlebens quälte.

Für das neu erfundene Medium Schallplatte entstanden zwischen 1908 und 1913 eine große Zahl von Aufnahmen, wobei Heinemann für verschiedene Firmen tätig wurde. Außer für das Label G&T, Odeon und HMV wurden auch einzelne Zylinder für Edison-Amberol aufgenommen. Diese Aufnahmen machten den Sänger zusätzlich bekannt, er galt in seiner Zeit als der führende Interpret des Deutschen Kunstliedes.

Zwischen 1910 und 1913 unternahm Alexander Heinemann zusammen mit seinem Klavierbegleiter John Mandelbrod ausgedehnte Tourneen durch die USA. Seine Konzerte fanden speziell bei deutschen Einwanderern begeisterte Aufnahme. Eine besondere Ehre wurde ihm 1910 und 1911 in New York zuteil: im Rahmen der traditionellen Sunday Night Concerts der Metropolitan Opera sang Heinemann Lieder von Schubert, Beethoven, Loewe und Grieg, beim Largo von Händel begleitete Mandelbrod ihn auf der Orgel, für den amerikanischen Markt wurden auch mehrere Schallplatten eingespielt.

Im Rahmen seiner Konzerttätigkeit erhielt Heinemann auch zahlreiche Auszeichnungen und Orden, so wurde er zum Herzoglich-Anhaltischen Kammersänger ernannt. In Berlin leitete er zeitweise eine Gesangsklasse des Stern’schen Konservatoriums, an dem er selbst ausgebildet worden war. Sein prominentester Schüler wurde der Bariton Joseph Schwarz, der später eine glanzvolle Karriere vor allem als Opernsänger hatte.

Geschwächt von seinem rheumatischen Leiden erkrankte Heinemann im Oktober 1918 an der grassierenden Grippe und starb am 16. Oktober, erst 45 Jahre alt, in Berlin. Bestattet wurde er auf dem Jüdischen Friedhof in Berlin Weissensee. Seine Grabstelle ist dort immer noch zu finden, sie trägt auch das korrekte Todesdatum, in fast allen Quellen wird das falsche Jahr, nämlich 1919 angegeben.

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Alexander Heinemanns Aufnahmen waren lange Zeit nur Sammlern von Schellackplatten zugänglich, seit ein paar Jahren ist aber eine CD mit sorgfältigen Überspielungen erhältlich, Bezugsquelle gerne auf Anfrage.

Heinemanns Klavierbegleiter John Mandelbrods Schicksal war ebenfalls tragisch, er wurde ein Opfer des Holocaust. Die Erinnerung an beide Künstler lässt ein Stück der Geschichte des Deutschen Liedgesanges vor den späteren Größen Heinrich Schlusnus und Dietrich Fischer-Dieskau wach werden und zeigt den Beginn einer Traditionskette, die bis heute Bestand hat.

Peter Sommeregger, 28. Juni 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Sommereggers Klassikwelt (c) erscheint jeden Mittwoch.

Der gebürtige Wiener Peter Sommeregger (Jahrgang 1946) besuchte das Humanistische Gymnasium. Er wuchs im 9. Gemeindebezirk auf, ganz in der Nähe von Franz Schuberts Geburtshaus. Schon vor der Einschulung verzauberte ihn an der Wiener Staatsoper Mozarts „Zauberflöte“ und Webers „Freischütz“ – die Oper wurde die Liebe seines Lebens. Mit 19 Jahren zog der gelernte Buchhändler nach München, auch dort wieder Oper, Konzert und wieder Oper. Peter kennt alle wichtigen Spielstätten wie die in Paris, Barcelona, Madrid, Verona, Wien und die New Yorker Met. Er hat alles singen und dirigieren gehört, was Rang und Namen hatte und hat – von Maria Callas und Herbert von Karajan bis zu Riccardo Muti und Anna Netrebko. Seit 26 Jahren lebt Peter in Berlin-Weißensee – in der deutschen Hauptstadt gibt es ja gleich drei Opernhäuser, die er auch kritisch rezensiert: u.a. für das Magazin ORPHEUS – Oper und mehr. Buchveröffentlichungen: „‘Wir Künstler sind andere Naturen’. Das Leben der Sächsischen Hofopernsängerin Margarethe Siems“ und „Die drei Leben der Jetty Treffz – der ersten Frau des Walzerkönigs“. Peter ist seit 2018 Autor bei klassik-begeistert.de.

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