Kein Operndirektor hat bis heute gewagt, diese Inszenierung zu ersetzen und das ist auch gut so. Man sagt, es gäbe keine Gewissheiten im Leben. Nun, die Wiener Tosca zumindest scheint eine zu sein.
von Peter Sommeregger
Die bis heute an der Wiener Staatsoper gezeigte Tosca-Inszenierung stammt noch aus dem tiefsten 20. Jahrhundert. Exakt am 3. April 1958 hatte die Neuinszenierung, die von der deutsch- Iitalienischen Regisseurin Margaritha Wallmann besorgt wurde, Premiere im erst drei Jahre zuvor wieder eröffneten Opernhaus. Am Pult stand niemand Geringerer als Herbert von Karajan, er war es auch, der Frau Wallmann nach Wien geholt hatte, wo sie 1961 auch noch Puccinis Turandot inszenierte.
Die Premierenbesetzung liest sich heute wie eine Fabel längst vergangener Zeiten: Renata Tebaldi verkörperte die Titelrolle, Giuseppe Zampieri, ein besonderer Liebling des Wiener Publikums den Cavaradossi, und Tito Gobbi den Scarpia. Als damals Zwölfjährigen, obwohl bereits mit ersten Opernerfahrungen, erreichten mich die hymnischen Kritiken nur indirekt.
Die äußerst konventionelle, aber dafür stimmige Inszenierung erwies sich über die Jahre als perfektes Vehikel für gastierende Stars. Die Bühnenbilder Nicola Benois’ waren historisierend und bildeten die Schauplätze der Handlung exakt ab. Das war Rom, wie man es von Postkarten kannte und sich vorstellte. Sich darin zurecht zu finden, war auch für kurzfristig eingesprungene SängerInnen eine leichte Aufgabe, Dutzende Toscas, Cavaradossis und Scarpias aller Nationalitäten und Berühmtheitsgrade sind darin aufgetreten.
Meine erste Wiener Tosca verlief für mich recht abenteuerlich. Für den 20. September 1962 war eine Aufführung mit den Stars Franco Corelli, Ettore Bastianini und Antonietta Stella angesetzt. Damals noch Schüler, wollte ich die Aufführung auf einem der billigen Galeriestehplätze hören. Das erforderte allerdings langes Anstellen vor der Aufführung, der Andrang zu dieser Starbesetzung war groß. Am Ende des ersten Aktes, der Kirchenszene, wurde ganz realistisch reichlich Weihrauch eingesetzt, dessen Geruch bis auf die Galerie drang. Das war zuviel für den übermüdeten Sechzehnjährigen mit leerem Magen. Mir wurde schwarz vor den Augen, und nur ein freundlicher älterer Billetteur verhinderte einen Sturz. Er führte mich hinaus auf den grandiosen Balkon des Opernhauses und meinte: „Jetzt gehst aber nach Haus“. Unnötig zu sagen, dass ich tapfer auch den Rest der Vorstellung stehend absolvierte, wie danach noch Hunderte in Wien und anderswo.
Bis heute aber taucht die Erinnerung an diesen Vorfall spätestens bei jeder Tosca-Aufführung wieder auf. Echten Weihrauch bekommt man aber heutzutage nicht mehr geboten und es ist erstaunlich, was sich Regisseure für dieses von Sardou so perfekt konstruierte Stück ausdenken.
Natürlich habe ich die Tosca in Wien noch häufig gesehen. Ebenfalls unvergesslich ist mir eine Aufführung in den 80er-Jahren, in der Gwyneth Jones eine ausgezeichnete Tosca sang. Die Aufführung lief wie am Schnürchen, bis – ja bis der Häscher Spoleta nach der Erschießung Cavaradossis nicht auf der Engelsburg erschien, um Tosca zu stellen, die geistesgegenwärtige Gwyneth Jones aber nach einer Schrecksekunde so tat, als wäre er sehr wohl anwesend und sich verzweifelt gegen ein Phantom wehrte. Kurz vor ihrem Absprung von der Engelsburg erschien der säumige Spoleta doch noch, für sein markantes „Ha, Tosca!“ war es allerdings zu spät.
Es hat sicherlich noch mehrere interessante Vorfälle während der mittlerweile über 500 Aufführungen dieser Produktion gegeben. Placido Domingo berichtet von einer Aufführung, bei der die Perücke Galina Wishnewskajas an den echten Kerzen im zweiten Akt Feuer fing und er, nebst dem wieder von den Toten auferstehenden Scarpia die Kollegin und die Aufführung retteten.
Kein Operndirektor hat bis heute gewagt, diese Inszenierung zu ersetzen, und das ist auch gut so. Man sagt, es gäbe keine Gewissheiten im Leben. Nun, die Wiener Tosca zumindest scheint eine zu sein.
Peter Sommeregger, Berlin, 01. Oktober 2019
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Der gebürtige Wiener Peter Sommeregger (Jahrgang 1946) besuchte das Humanistische Gymnasium. Er wuchs im 9. Gemeindebezirk auf, ganz in der Nähe von Franz Schuberts Geburtshaus. Schon vor der Einschulung verzauberte ihn an der Wiener Staatsoper Mozarts „Zauberflöte“ und Webers „Freischütz“ – die Oper wurde die Liebe seines Lebens. Mit 19 Jahren zog der gelernte Buchhändler nach München, auch dort wieder Oper, Konzert und wieder Oper. Peter kennt alle wichtigen Spielstätten wie die in Paris, Barcelona, Madrid, Verona, Wien und die New Yorker Met. Er hat alles singen und dirigieren gehört, was Rang und Namen hatte und hat – von Maria Callas und Herbert von Karajan bis zu Ricardo Muti und Anna Netrebko. Seit 25 Jahren lebt Peter in Berlin-Weißensee – in der Hauptstadt gibt es ja gleich drei Opernhäuser, die er auch kritisch rezensiert: u.a. für das Magazin ORPHEUS – Oper und mehr. Buchveröffentlichungen: „‘Wir Künstler sind andere Naturen.‘ Das Leben der Sächsischen Hofopernsängerin Margarethe Siems“ und „Die drei Leben der Jetty Treffz – der ersten Frau des Walzerkönigs“. Peter ist seit 2018 Autor bei klassik-begeistert.de .