Durch die Intensität ihrer Rollengestaltungen hat sie naturgemäß auch immer polarisiert, ihr weißes, sehr helles Timbre gefiel nicht allen. Anja Silja musste man immer auch spielen sehen, sonst war der Eindruck nicht komplett.
von Peter Sommeregger
Übermorgen, am 17. April 2020, feiert die weltberühmte Sopranistin Anja Silja ihren 80. Geburtstag. Man will gar nicht glauben, dass diese phänomenale Künstlerin den Jahren nach nun eine alte Frau ist. Wie gesagt, den Jahren nach. Ich hatte das Glück, vor einigen Wochen ein langes Gespräch mit der Sängerin führen zu können, ihre Präsenz, Konzentriertheit und ungebrochene Neugier straft ihr Lebensalter Lügen.
Siljas Karriere, oder besser gesagt: ihre drei Karrieren sind von einer Bandbreite und Vielschichtigkeit, die selbst für Opernsängerinnen ohne Beispiel sein dürften. Die gebürtige Berlinerin, die schon mit zehn Jahren als Kinderstar durch die junge Bundesrepublik tingelte, wurde von ihrem Großvater, einem Autodidakten, stimmlich ausgebildet, dies so solide, dass Siljas Stimme im Lauf ihrer Karrieren von der Königin der Nacht, über die Isolde und schließlich den großen Charakterrollen Janaceks niemals ernsthaft gefährdet war.
Mehrfach in diesem Künstlerleben gelangen ihr Dinge, die so noch nicht dagewesen waren. Die 20-jährige Koloratursopranistin stürzt sich in das Wagnis einer Senta im „Fliegenden Holländer“, und das gleich am Grünen Hügel. Neben dem Publikum erobert sie auch noch den Wagner-Enkel und Festspielleiter Wieland Wagner. Bis zu dessen frühem Tod 1967 agieren Wagner und Silja als Team, in seiner Regie erobert sie sich Rollen bis hin zur Isolde und Elektra.
Eine spätere Ehe mit dem Dirigenten Christoph von Dohnanyi, aus der drei Kinder hervorgehen, erweist sich anfangs als künstlerisch äußerst fruchtbar, es entstehen gemeinsame Schallplatten-Projekte, aber in der Spätphase dieser Ehe zieht sich Silja beinahe ganz von der Bühne zurück, weil der Familien-Mittelpunkt inzwischen in den USA liegt. Nach der Trennung beginnt Anja Silja ihren dritten und vielleicht bedeutendsten Karriere-Abschnitt. Sie wechselt von der Salome zu einer bösartig schillernden Herodias, tauscht Elektra gegen Klytämnestra, die Lulu gegen die Gräfin Geschwitz.
Weltweit gefeiert wird sie in dieser Zeit aber hauptsächlich für ihre Interpretationen der Emilia Marty in Janaceks „Sache Makropulos“ und Küsterin in der „Jenufa“, die sie zuerst bei den Festspielen von Glyndebourne singt. Aber auch die Gräfin in „Pique Dame“, die Old Lady in Bernsteins „Candide“ und weitere Rollen dieses Fachs geraten zu eindringlichen Charakterstudien.
Silja überzeugte stets mit der totalen Aneignung einer Rolle, man hatte immer das Gefühl, sie würde völlig mit der zu interpretierenden Person verschmelzen, wobei sie ihr schauspielerisches Talent und ihre starke Bühnenpräsenz gezielt einsetzen konnte.
Durch die Intensität ihrer Rollengestaltungen hat sie naturgemäß auch immer polarisiert, ihr weißes, sehr helles Timbre gefiel nicht allen. Anja Silja musste man immer auch spielen sehen, sonst war der Eindruck nicht komplett.
Mit einer Dauer von annähernd 70 Karrierejahren hat Anja Silja mit Sicherheit alle Rekorde gebrochen, es gibt kaum ein bedeutendes Opernhaus auf der Welt, in dem sie nicht erfolgreich aufgetreten wäre. Erst eine schwere, inzwischen glücklich überstandene Erkrankung setzte dieser Ausnahme-Karriere ein Ende. Inzwischen genießt die 3-fache Mutter und 7-fache Großmutter reflektierend und nach wie vor vielseitig interessiert ihr Leben auf dem Land, nahe Hamburg. Langweilig wird es einer Persönlichkeit wie ihr auch dort nicht werden.
Handkuss, gnädige Frau!
Peter Sommeregger, 15. April 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Der gebürtige Wiener Peter Sommeregger (Jahrgang 1946) besuchte das Humanistische Gymnasium. Er wuchs im 9. Gemeindebezirk auf, ganz in der Nähe von Franz Schuberts Geburtshaus. Schon vor der Einschulung verzauberte ihn an der Wiener Staatsoper Mozarts „Zauberflöte“ und Webers „Freischütz“ – die Oper wurde die Liebe seines Lebens. Mit 19 Jahren zog der gelernte Buchhändler nach München, auch dort wieder Oper, Konzert und wieder Oper. Peter kennt alle wichtigen Spielstätten wie die in Paris, Barcelona, Madrid, Verona, Wien und die New Yorker Met. Er hat alles singen und dirigieren gehört, was Rang und Namen hatte und hat – von Maria Callas und Herbert von Karajan bis zu Ricardo Muti und Anna Netrebko. Seit 25 Jahren lebt Peter in Berlin-Weißensee – in der Hauptstadt gibt es ja gleich drei Opernhäuser, die er auch kritisch rezensiert: u.a. für das Magazin ORPHEUS – Oper und mehr. Buchveröffentlichungen: „‘Wir Künstler sind andere Naturen.‘ Das Leben der Sächsischen Hofopernsängerin Margarethe Siems“ und „Die drei Leben der Jetty Treffz – der ersten Frau des Walzerkönigs“. Peter ist seit 2018 Autor bei klassik-begeistert.de .
Ladas Klassikwelt (c) erscheint jeden Montag.
Langes Klassikwelt (c) erscheint jeden zweiten Dienstag.
Schweitzers Klassikwelt (c) erscheint jeden zweiten Dienstag.
Sommereggers Klassikwelt (c) erscheint jeden Mittwoch.
Hauters Hauspost (c) erscheint jeden Donnerstag.
Lieses Klassikwelt (c) erscheint jeden Freitag.
Spelzhaus Spezial (c) erscheint jeden zweiten Samstag.
Ritterbands Klassikwelt (c) erscheint jeden zweiten Sonntag.
Posers Klassikwelt (c) erscheint jeden zweiten Sonntag.