Den stärksten Eindruck hinterließ eine Siegfried-Aufführung mit ihr und Jean Cox, bei der sie ein Schluss-C in den Raum stellte, das atemberaubend mächtig und trotzdem wunderschön war. Wer das gehört hat, kann mit heutigen Wagner-Sängerinnen einfach nicht glücklich werden.
von Peter Sommeregger
Die am 17. Mai 1918 als einziges Kind eines Bauern im schwedischen Vastra Karup geborene Märta Birgit Svensson sollte nach den Vorstellungen ihrer Eltern einen klar vorgezeichneten Weg einschlagen: einen Bauern heiraten und selbst Bäuerin sein. Es müssen die Gene ihrer Musik liebenden, und selbst gerne singenden Mutter gewesen sein, die in der jungen Birgit die Oberhand gewannen und sie einen Weg einschlagen ließen, der sie später bis auf olympische Höhen der Gesangskunst führen sollte.
Aus Verehrung für ihre Landfrau Christine Nilsson, die im 19. Jahrhundert eine große internationale Karriere hatte, änderte sie ihren Namen in Nilsson, was sich als gutes Omen für ihre Laufbahn erwies. Ende der 40er Jahre erarbeitete sie sich am Stockholmer Opernhaus erste und sehr unterschiedliche Rollen. So sang sie schon frühzeitig Verdis Lady Macbeth, die sie erst viele Jahre später wieder in ihr Repertoire aufnahm.
Ihren Vater, der lange gegen den Berufswunsch der Tochter gekämpft hatte, konnte sie aber in zwei Punkten zufrieden stellen: 1948 heiratete sie einen Tierarzt und ihre Stockholmer Abendgagen entsprachen zu dieser Zeit dem Anschaffungspreis einer Kuh, was sich später noch erheblich steigern sollte.
Anfang der 50er Jahre verbreitete sich die Kunde von einer neuen, schönen und großen Stimme schnell in der Fachwelt, obwohl damals noch kein wirklicher Mangel an großen Sängerpersönlichkeiten herrschte. In Bayreuth regierten Martha Mödl und Astrid Varnay als ungekrönte Königinnen der dortigen Festspiele, aber 1954 trat die Nilsson bei ihrem Debüt als Elsa ihre Stellung gleichsam als Kronprinzessin an, nur wenige Jahre später setzten ihre Brünnhilden, vor allem aber ihre Isolde neue Maßstäbe.
Es waren die Wagner-Partien, die Birgit Nilssons internationale Karriere schnell an Fahrt gewinnen ließen. Neben Bayreuth wurde sie auch an allen großen europäischen Opernhäusern und der New Yorker Met ein Liebling des Publikums und auch der Kritiker. In ihrem Gesang verband sich sichere Gesangstechnik mit der Schönheit ihres Timbres und vor allem dem schier unglaublichen Volumen ihres Soprans. Durchaus treffend bezeichnete man ihre Stimme als silberne Trompete, Wagner selbst muss von einer Stimme wie dieser geträumt haben, als er seine großen Frauenrollen schuf.
Klugerweise gab sich die Nilsson aber nicht mit der Rolle der Wagner-Sängerin zufrieden, sie sang weiterhin auch italienische Partien wie die Tosca, Aida, Lady Macbeth, Amelia im Maskenball und besonders erfolgreich Puccinis Turandot. Die mörderische Partie der chinesischen Kaisertochter wurde so etwas wie ein Markenzeichen für sie, zusammen mit dem ebenfalls stimmgewaltigen Tenor Franco Corelli brach sie alle Rekorde an Lautstärke, aber auch an Glanz der Stimme und Gesangskultur.
Ich kann mich noch gut an eine Turandot-Aufführung in Wien erinnern. Mein Schul- und Stehplatzfreund Jörg hatte als Statist daran mitgewirkt und erzählte mir später, während der Rätselszene nahe an der Nilsson zu stehen wäre kaum erträglich gewesen, den Strahl ihres perfekt fokussierten Soprans hätte er fast schon als schmerzhaft empfunden.
Erst relativ spät nahm sie nach der Marschallin, Ariadne und Salome noch weitere Strauss-Partien in ihr Repertoire auf. Nach einem ersten Versuch in Stockholm debütierte sie 1965 als Elektra an der Wiener Staatsoper. Es war ein denkwürdiger Abend, als Chrysothemis war Leonie Rysanek, als Klytämnestra Regina Resnik zu hören, Orest und Aegisth waren mit Eberhard Wächter und Wolfgang Windgassen ebenfalls prominent besetzt. Karl Böhm dirigierte und Wieland Wagner zeichnete für die Regie verantwortlich, es sollte seine letzte Wiener Inszenierung sein, im Jahr darauf starb er. Diese Aufführung, vom Stehplatz aus gehört, war für mich eines der prägenden Opern-Erlebnisse und wirkt bis heute nach. Der Mitschnitt ist später auch auf Tonträgern erschienen und mein eigener Anteil am Applaus ist so für mich nachhörbar.
Ab Mitte der 60er Jahre lebte ich in München und musste mich lange gedulden, bis Birgit Nilsson dort wieder sang, ihre Gagen hatten inzwischen eine Höhe erreicht, die selbst für die Bayerische Staatsoper nicht leicht aufzubringen war. Ich konnte die Nilsson dann noch mehrfach in kompletten Ring-Zyklen, als Elektra und vor allem noch in ihrer letzten Rolle als Färbersfrau in Strauss’ Frau ohne Schatten erleben. Den stärksten Eindruck hinterließ eine Siegfried-Aufführung mit ihr und Jean Cox, bei der sie ein Schluss-C in den Raum stellte, das atemberaubend mächtig und trotzdem wunderschön war. Wer das gehört hat, kann mit heutigen Wagner-Sängerinnen einfach nicht glücklich werden.
Selbst bei ihrem Rückzug von der Bühne und der Zeit danach hat die Künstlerin Größe bewiesen. Ganz unspektakulär sang sie in Frankfurt mit einer Elektra 1982 ihre letzte Opernvorstellung, danach trat sie nur noch vereinzelt in Konzerten auf, gab Meisterklassen und schrieb ihre Memoiren. Danach wurde es still um sie, zurückgezogen lebte sie auf dem Anwesen ihrer Eltern in der schwedischen Provinz, wo sie 2005 mit 87 Jahren starb.
Ihr Vermächtnis wurde erst drei Jahre nach ihrem Tod bekannt gemacht: Aus den Zinsen ihres Vermögens wird seither der Birgit-Nilsson-Preis in Höhe von einer Million Dollar ausgelobt, der an Musiker, Orchester oder musikalische Institutionen verliehen wird. Erste Preisträger waren – von Nilsson noch selbst bestimmt – Plácido Domingo, die Wiener Philharmoniker, Riccardo Muti und zuletzt Nina Stemme. Es ist der am höchsten dotierte Musikpreis der Welt. Die fast schon überlebensgroße Künstlerin und Persönlichkeit Birgit Nilsson hat so auch ihrem Andenken ein gebührendes Format verliehen.
Peter Sommeregger, 19. Mai 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
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Der gebürtige Wiener Peter Sommeregger (Jahrgang 1946) besuchte das Humanistische Gymnasium. Er wuchs im 9. Gemeindebezirk auf, ganz in der Nähe von Franz Schuberts Geburtshaus. Schon vor der Einschulung verzauberte ihn an der Wiener Staatsoper Mozarts „Zauberflöte“ und Webers „Freischütz“ – die Oper wurde die Liebe seines Lebens. Mit 19 Jahren zog der gelernte Buchhändler nach München, auch dort wieder Oper, Konzert und wieder Oper. Peter kennt alle wichtigen Spielstätten wie die in Paris, Barcelona, Madrid, Verona, Wien und die New Yorker Met. Er hat alles singen und dirigieren gehört, was Rang und Namen hatte und hat – von Maria Callas und Herbert von Karajan bis zu Ricardo Muti und Anna Netrebko. Seit 25 Jahren lebt Peter in Berlin-Weißensee – in der Hauptstadt gibt es ja gleich drei Opernhäuser, die er auch kritisch rezensiert: u.a. für das Magazin ORPHEUS – Oper und mehr. Buchveröffentlichungen: „‘Wir Künstler sind andere Naturen.‘ Das Leben der Sächsischen Hofopernsängerin Margarethe Siems“ und „Die drei Leben der Jetty Treffz – der ersten Frau des Walzerkönigs“. Peter ist seit 2018 Autor bei klassik-begeistert.de.
Gern hätte ich klingende Kostproben vernommen.
M.Dröschel
Die Nilsson ist bis heute unerreicht.
Für einen Wagnerfan wie mich, der vor seinem ersten Live Erlebnis die Ring- Tristan-Aufnahmen von Solti und Böhm gehört hat, muss jede heutige Auffühung enttäuschend sein.
Wann gibt es wieder eine „Nilsson“… ich habe evtl. noch 20 Jahre Zeit. …seit Ewigkeiten harre ich Deiner…
Klingsor
Jahrgang 1960