Sommereggers Klassikwelt 38: Joseph und Amalie Joachim: Erst im Tod wieder vereint

Sommereggers Klassikwelt 38: Joseph und Amalie Joachim

von Peter Sommeregger

Die beiden schon reichlich von Efeu überwucherten Grabsteine auf dem Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Friedhof in Berlin-Charlottenburg sind praktisch identisch und bilden stilistisch eine Einheit. Die Botschaft ist klar: eheliche Verbundenheit über den Tod hinaus.

Aber dieses Bild trügt. Der am 28.Juni 1831 im damals ungarischen Kittsee geborene Sohn eines jüdischen Wollhändlers, Joseph Joachim, war musikalisch hoch begabt, sein Talent wurde auch frühzeitig erkannt. Bereits ab 1837 studierte er am Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien Geige und erwarb sich bald den Ruf eines Wunderkindes. Felix Mendelssohn-Bartholdy förderte ihn und führte mit ihm Beethovens beinahe vergessenes Violinkonzert auf und nahm ihn anschließend in sein Leipziger Gewandhausorchester auf.

Einen frühen Höhepunkt seiner Laufbahn war 1853 seine Ernennung zum Königlichen Konzertmeister in Hannover, ein Amt das er bis 1866 behielt. In diese Zeit fallen seine Bekanntschaft und Freundschaft mit Clara und Robert Schumann, sowie Johannes Brahms. Im Jahr 1855 löste Joachim sich vom jüdischen Glauben seiner Familie und ließ sich protestantisch taufen.

In Hannover lernte er auch die am 10. Mai 1839 ebenfalls in der damaligen k.u.k. Donaumonarchie geborene Amalie Schneeweiss kennen. Amalie, aus einer verarmten Familie stammend, hatte bereits mit 14 Jahren als Sängerin debütiert, mit ihren Gagen konnte sie ihre kranke Mutter und Schwester unterstützen. Das Engagement an der Hofoper von Hannover stellte den Höhepunkt  ihrer Karriere dar. Die Hochzeit des Paares am 10. Juni 1863 in der Hannover’schen Schlosskirche war ein gesellschaftliches Ereignis, an dem selbst die Königin und ihr Hofstaat teilnahmen.

Amalie Joachim setzte ihre Karriere nur noch als Konzertsängerin fort, die Familie war mit drei Töchtern und drei Söhnen reich gesegnet. Johannes Brahms pflegte eine enge Freundschaft mit den Joachims, konsultierte den Geiger betreffend einer Neufassung seines Violinkonzertes, dessen revidierte Fassung er ihm schließlich auch widmete. Amalie Joachim ihrerseits wurde zu einer hoch geschätzten Interpretin von Brahms‘ Liedern, einige wurden ihr sogar gewidmet.

1869 berief  König WilhelmI. von Preußen Joachim zum Gründungsrektor der Königlich Akademischen Hochschule für ausübende Tonkunst, der späteren Musikhochschule Berlin. Im Berliner Tiergarten ließ der arrivierte Künstler eine luxuriöse Villa für sich und seine Familie errichten, neben seiner Tätigkeit an der Hochschule trat er auch als gefeierter Solist auf, und leitete das berühmte Joachim-Quartett, das eine bedeutende Rolle im Musikleben des damaligen Berlins spielte. Auch als Komponist betätigte sich Joachim, mehrere Violinkonzerte von seiner Hand sind durchaus ernst zu nehmende Werke.

Joachim, dessen Charakter allgemein als aufbrausend und jähzornig beschrieben wurde, unterminierte mit diesen Eigenschaften seine glücklich begonnene Ehe. Er bezichtigte seine Gattin völlig haltlos des Ehebruchs und eröffnete damit einen hässlichen und zerstörerischen Rosenkrieg. Die Freunde Johannes Brahms und Max Bruch stellten sich eindeutig auf die Seite Amalies und drohten Joachim mit dem Bruch ihrer Freundschaft, aber dieser war von seinen Beschuldigungen nicht abzubringen. Die Ehe der Joachims wurde schließlich 1884 geschieden, Amalie trat danach verstärkt als Konzertsängerin auf.

Als sie 1899 an den Folgen einer Gallenoperation starb, hatte sie sich davor praktisch auf dem Totenbett mit Joseph Joachim ausgesöhnt. An ihrer Beisetzung nahm er tief erschüttert in der Rolle des trauernden Witwers teil, offenbar bereute er nachträglich sein Verhalten, mit dem er seine Ehe zerstört hatte. Auf seinen ausdrücklichen Wunsch wurde er nach seinem Tod 1907 neben Amalie beigesetzt. Diese Geste sollte wohl den ursprünglichen Bruch nachträglich heilen.

Bis  2015 hatte dieses Doppelgrab den Status eines Ehrengrabes. In diesem Jahr verlängerte man ihn für weitere 20 Jahre- aber nur für Joseph, nicht mehr für Amalie Joachim. Sollte der kulturell etwas unterbelichteten Berliner Senatsverwaltung gelingen, was beim Ehepaar Joachim selbst eine Scheidung nicht vermochte?

Peter Sommeregger, 1. Juni 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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