von Peter Sommeregger
Die Stadt Wien leistet sich gegenwärtig den Luxus von grob gerechnet etwa 1000 Ehrengräbern oder so genannten ehrenhalber gewidmeten Gräbern. Die Kriterien, nach denen solche Gräber vergeben werden sind nicht unbedingt transparent, zielen aber insgesamt darauf ab, die kulturelle Elite des Landes zumindest mit einem Grabdenkmal zu ehren.
In vielen Fällen wären die so geehrten Persönlichkeiten sonst tatsächlich vergessen. Bei Spaziergängen über den Zentralfriedhof entdeckt man manchmal Ehrengräber, die zur Erforschung der jeweiligen Biographie anregen. Ein solcher Fall ist das Grab des Komponisten Joseph Weigl, der von 1766 bis 1846 lebte. Kaum jemand weiß heute noch, dass Weigl in seiner Lebenszeit einer der am häufigsten gespielten Opernkomponisten war. Über gut dreißig Opern und Singspiele hinaus schuf er auch Ballette, Oratorien und Kammermusik.
Weigl, ein gebürtiger Eisenstädter und ein Patenkind Joseph Haydns, studierte auch bei Antonio Salieri in Wien und war bereits in jungen Jahren Vize-Hofkapellmeister. Er assistierte Mozart bei der Einstudierung der drei Da Ponte-Opern in Wien zu dessen Zufriedenheit und übernahm das Dirigat der Reprisen. Seine ersten Bühnenwerke entstanden ab 1783, 1790 vertonte er ein Libretto Lorenzo Da Pontes „La caffettiera bizzarra“, was so viel wie „Die bizarre Kaffeekanne“ bedeutet. Auch ein Libretto Emanuel Schikaneders diente ihm als Vorlage für eine Oper.
Seinen mit Abstand größten Erfolg hatte Weigl mit dem Singspiel „Die Schweizer Familie“ die 1809 am Wiener Kärtnerthor-Theater uraufgeführt wurde. Die weibliche Hauptrolle der Emmeline wurde dabei von Anna Milder verkörpert, jener Sängerin die Beethovens Leonore in allen drei Fassungen kreiert hatte. Es ist überliefert, dass Franz Schubert dieses Werk besonders schätzte und mehrere Aufführungen besuchte. Die Popularität der Oper löste in dieser Zeit eine wahre Schweiz-Begeisterung aus. Richard Wagner, der das Werk zwar als altmodisch bezeichnete, ließ sich aber durch den „Kuhreigen“ nicht nur zu einer – nicht erhaltenen – Einlage-Arie inspirieren, er komponierte auch die Hirtenweisen im „Tannhäuser“ und „Tristan“ im gleichen Stil für die Solo-Klarinette.
Das Libretto der „Schweizer Familie“ stammt von Ignaz Franz Castelli, der dabei auf ein Vaudeville „Pauvre Jacques“ von Sewrin und Alissan de Chazet zurückgriff. Die Handlung ist bei aller Naivität originell, was bestimmt auch zum großen Erfolg beitrug.
Ein deutscher vermögender Graf wird in der Schweiz nach einem Bergunfall von einem armen Bauern gerettet. Aus Dankbarkeit nimmt er die gesamte Familie des Bauern mit auf seine Güter. Um Heimweh vorzubeugen baut er seinen Schützlingen dort die Schweiz en miniature nach. Die Tochter des Bauern, Emmeline verfällt aber trotzdem der Schwermut. Es stellt sich heraus, dass der Grund dafür aber weniger das Heimweh, sondern viel mehr Liebeskummer ist. Nachdem der vermisste Freund aber in der neuen Heimat auftaucht und sich das Paar endgültig findet, ist auch dieses Problem gelöst. Am Ende sind sich Alle einig: „Ja ,hier woll’n wir immer bleiben, wo man uns so liebt.“
Der Erfolg blieb dieser Oper das gesamte 19. Jahrhundert erhalten, bis etwa 1918 fand es sich regelmäßig auf den Spielplänen im deutschen Sprachraum. Die erste Aufführung in jüngerer Zeit fand 2004 in Wien, Zürich und Berlin durch eine eigens dafür zusammengestellte Musiktheatergruppe statt, und stieß auf sehr freundliche Aufnahme. Schade, dass diese Wiederentdeckung bis heute folgenlos geblieben ist.
Auch andere Werke Weigels würde man gerne neu entdecken, die Vorstellung, eine vergessene Da Ponte-Oper, ein ebenso vergessenes Schikaneder-Libretto auszugraben wäre doch sehr reizvoll!
Peter Sommeregger, 21. Oktober 2020, für
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Der gebürtige Wiener Peter Sommeregger(Jahrgang 1946) besuchte das Humanistische Gymnasium. Er wuchs im 9. Gemeindebezirk auf, ganz in der Nähe von Franz Schuberts Geburtshaus. Schon vor der Einschulung verzauberte ihn an der Wiener Staatsoper Mozarts „Zauberflöte“ und Webers „Freischütz“ – die Oper wurde die Liebe seines Lebens. Mit 19 Jahren zog der gelernte Buchhändler nach München, auch dort wieder Oper, Konzert und wieder Oper. Peter kennt alle wichtigen Spielstätten wie die in Paris, Barcelona, Madrid, Verona, Wien und die New Yorker Met. Er hat alles singen und dirigieren gehört, was Rang und Namen hatte und hat – von Maria Callas und Herbert von Karajan bis zu Riccardo Muti und Anna Netrebko. Seit 26 Jahren lebt Peter in Berlin-Weißensee – in der deutschen Hauptstadt gibt es ja gleich drei Opernhäuser, die er auch kritisch rezensiert: u.a. für das Magazin ORPHEUS – Oper und mehr. Buchveröffentlichungen: „‘Wir Künstler sind andere Naturen.‘ Das Leben der Sächsischen Hofopernsängerin Margarethe Siems“ und „Die drei Leben der Jetty Treffz – der ersten Frau des Walzerkönigs“. Peter ist seit 2018 Autor bei klassik-begeistert.de.