Im Wege standen Corelli Zeit seines Lebens ein übergroßes Lampenfieber und sein schwaches Nervenkostüm. Einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zur Stabilisierung des Sängers und damit für den positiven Verlauf seiner Karriere leistete die Sängerin Loretta Di Lelio, die Corelli schon zu Beginn seiner Karriere kennenlernte. Sie wurde nicht nur seine Ehefrau, sondern auch sein Stimm-Coach, seine Managerin und schirmte ihn so gut es ging von Fans und der Presse ab.
von Peter Sommeregger
Dass der am 8. April 1921 in Ancona geborene Franco Corelli, Sohn eines Werftarbeiters, einmal der höchst bezahlte und gefeierte Tenor seiner Zeit werden würde, wurde ihm nicht an der Wiege gesungen.
Zwar hatte der Großvater Corellis Gesang studiert, zu einer nennenswerten Karriere hatte es bei ihm aber nicht gereicht. Francos Eltern ließen den Sohn Schiffsbauingenieurwesen studieren, aber der Drang zur Musik und dem Gesang gewann schließlich die Oberhand. Militärdienst, der Krieg und die schwierige Nachkriegszeit verzögerten allerdings Pläne in diese Richtung.
Die Versuche Francos, sich zum Sänger ausbilden zu lassen, scheiterten immer wieder, schließlich erwarb er den Großteil seines Könnens als Autodidakt. Erster Erfolg war der Sieg bei einem Gesangswettbewerb 1950. Danach sang Corelli im italienischen Rundfunk und an einigen Provinzbühnen, nachdem er 1951 sein Bühnendebüt als Don José in Spoleto gegeben hatte.
Es dauerte aber noch bis 1954, dass er an der Mailänder Scala an der Seite von Maria Callas in Spontinis „La Vestale“ debütieren konnte. Mit dieser Aufführung gelang ihm der internationale Durchbruch, in der Folge rissen sich sämtliche große Opernhäuser um den stattlichen, gut aussehenden Sänger, dessen Stimme extrem kraftvoll, gleichzeitig aber auch äußerst flexibel war. Schnell eroberte er sich eine größere Zahl von Partien, die vom Rodolfo in „La Bohème“ bis zum Manrico in Verdis „Trovatore“ reichten. Im Laufe der Jahre eroberte er sich auch französische Partien, einen besonderen Erfolg hatte er mit dem „Werther“ von Massenet.
Im Wege standen Corelli Zeit seines Lebens ein übergroßes Lampenfieber und sein schwaches Nervenkostüm. Einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zur Stabilisierung des Sängers und damit für den positiven Verlauf seiner Karriere leistete die Sängerin Loretta Di Lelio, die Corelli schon zu Beginn seiner Karriere kennenlernte. Sie wurde nicht nur seine Ehefrau, sondern auch sein Stimm-Coach, seine Managerin und schirmte ihn so gut es ging von Fans und der Presse ab.
Trotzdem wurde Corelli den Ruf des „Schwierigen“ nicht los, aber kein Opernhaus, das auf sich hielt, wollte auf diesen Ausnahme-Tenor verzichten. Auch seinen Partnerinnen auf der Bühne machte er es nicht leicht, Legende ist, dass er Birgit Nilsson einmal ins Ohrläppchen biss, als sie für seinen Geschmack einen Spitzenton in einer „Turandot“ –Aufführung für seinen Geschmack zu lange hielt. Seine hohen C’s waren tatsächlich von einer Qualität und Ausdauer, die bis heute nicht mehr erreicht wurden. Als Mitte der 1960er Jahre eine Gesamtaufnahme des „Trovatore“ mit Corelli erschien, zog selbst der renommierte Kritiker Karl Löbl die Echtheit dieser Aufnahme in Zweifel, so unglaublich lange hielt Corelli das C in der Stretta. Als später ein Live-Mitschnitt der Oper von den Salzburger Festspielen veröffentlicht wurde, hielt Corelli darin den Ton genau so lange, also war er rehabilitiert.
Seine Stimme eignete sich vorzüglich für die Schallplatte, einige seiner Einspielungen sind bis heute Referenzaufnahmen. Darüber hinaus existieren zahlreiche Live-Mitschnitte auf dem Graumarkt, speziell von seinen zahlreichen Auftritten an der New Yorker Metropolitan Opera. Man kann sich an seiner kraftvollen, dabei immer schönen Tongebung nicht satt hören.
Perfektionist der er war, wollte Corelli den langsamen Niedergang seiner stimmlichen Fähigkeiten nicht öffentlich machen. Bereits Anfang der 1970er Jahre zog er sich von der Opernbühne zurück, gab noch eine Weile Konzerte, mit Mitte 50 beendete er seine Karriere endgültig. Bis zu seinem Tod am 29. Oktober 2003 lebte er mit seiner Frau Loretta in Mailand.
Ob wir noch jemals eine Stimme erleben, die seiner ebenbürtig wäre?
Peter Sommeregger, 6. April 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
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Der gebürtige Wiener Peter Sommeregger (Jahrgang 1946) besuchte das Humanistische Gymnasium. Er wuchs im 9. Gemeindebezirk auf, ganz in der Nähe von Franz Schuberts Geburtshaus. Schon vor der Einschulung verzauberte ihn an der Wiener Staatsoper Mozarts „Zauberflöte“ und Webers „Freischütz“ – die Oper wurde die Liebe seines Lebens. Mit 19 Jahren zog der gelernte Buchhändler nach München, auch dort wieder Oper, Konzert und wieder Oper. Peter kennt alle wichtigen Spielstätten wie die in Paris, Barcelona, Madrid, Verona, Wien und die New Yorker Met. Er hat alles singen und dirigieren gehört, was Rang und Namen hatte und hat – von Maria Callas und Herbert von Karajan bis zu Riccardo Muti und Anna Netrebko. Seit 26 Jahren lebt Peter in Berlin-Weißensee – in der deutschen Hauptstadt gibt es ja gleich drei Opernhäuser, die er auch kritisch rezensiert: u.a. für das Magazin ORPHEUS – Oper und mehr. Buchveröffentlichungen: „‘Wir Künstler sind andere Naturen’. Das Leben der Sächsischen Hofopernsängerin Margarethe Siems“ und „Die drei Leben der Jetty Treffz – der ersten Frau des Walzerkönigs“. Peter ist seit 2018 Autor bei klassik-begeistert.de.
Danke, Herr Sommeregger, für Ihre Worte zu Franco Corelli. Lassen Sie mich ergänzen: Sein Vater war Leiter der Logistikabteilung der Werft von Ancona, kein Arbeiter.
Corelli hat exzessiv die Aufnahmen Carusos studiert.
Unvergleichlich sind seine diminuendi, sein squillo, seine attacca, seine virile Durchschlagskraft. Seine Erscheinung auf der Bühne, sein Spiel waren eine Offenbarung. Maria Callas erklärte ihn zu ihrem Lieblingstenor. Die Sache mit dem Ohr der Nilsson ist eine Legende.
Ich hatte das Glück Corelli als Cavaradossi in London zu hören mit der Callas und Tito Gobbi. Ich hörte ihn in Chénier, als Romeo, als Werther, als Manrico und zuletzt als Pollione in Paris mit Maria Callas und Christa Ludwig. Einen wie ihn wird es nie wieder geben, da bin ich mir sicher. In Paris habe ich ihn und die Callas 1964 getroffen (Palais Garnier). Es war die goldene Zeit und er übertraf sie alle. Selbst die ‚zweite Reihe‘ jener Zeit, wie Flaviano Labò, Dimiter Uzunov, Gianni Raimondi und einige mehr würde die heutige sogenannte Elite (ausser den unvergleichlichen Flórez) alt aussehen lassen. Einer wie der am meisten überbewertete Tenor unserer Zeit, Kaufmann, käme da gar nicht vor. Einzig Giacomo Aragall hatte an guten Abenden ähnlich faszinierende Erfolge. Auch sein Nervenkostüm war sehr dünn.
Franco Corelli gehört zu den Giganten der Oper.
Amitiés, cordialmente
Franco Bastiano Paris V ème
Die Legende mit der Nilsson wurde hier ohne die eigentliche Pointe und etwas falsch kolportiert. Corelli hat ihr nicht ins Ohrläppchen gebissen, das war eine Idee von Rudolf Bing, der die Wogen glätten musste, nachdem sich Corelli am Ende des zweiten Akts darüber ärgerte, dass sie ihren langen Ton noch länger hielt als er. Corelli fand die Idee mit dem Biss ins Ohr lustig, hat es dann aber natürlich nicht gemacht. Stattdessen hat er spontan seinen Text abgewandelt an der Stelle, wo Turandot im dritten Akt singt „La mia gloria è finita“, antwortete er, kleine Rache, „Sì, è finita“ (Ja, dein Ruhm ist vorbei) statt richtig „No! Essa incomincia“ (Nein, er beginnt erst). Die Nilsson war irritiert, nahm es aber mit Humor, nachdem sie von Bing erfuhr, wie es dazu kam. Einen Tag später telegraphierte sie an Bing, sie müsse die nächste Vorstellung absagen wegen Verletzung am Ohr….
Cora Oertel
Für einen Sänger, der bekannt war für sein großes Lampenfieber, unglaublich mutig und kreativ finde ich. Würde sich heute keiner mehr trauen. Schon gar nicht der Kaufmann.
Korrektur. The ear-case!
So hörte ich es von Francis Robinson, Bings Stellvetreter seinerzeit:
Corelli und Nilsson treffen in Turandot in der New Yorker Met aufeinander. Die Nilsson hält in einer Duett-Passage einen Spitzenton etwas länger aus, als der heißblütige Italiener, der das locker noch länger gekonnt hätte, aber man spricht sich ab und bleibt auch in der Nähe der Notierung des Komponisten. Normalerweise. Corelli geht darauf in der folgenden Pause außer sich in seine Garderobe. Rudolf Bing, der Direktor der Metropolitan Opera eilt sofort dorthin. Ihn empfängt bereits das Kreischen von Corellis Frau und das Gekläffe des omnipräsenten Hundes. In seiner Wut hat Corelli mit seiner Faust auf den Schminktisch gehauen und sich einen kleinen Holzsplitter eingefangen. Ein kleiner Tropfen Blut hat sich gebildet. Ein Weitersingen sei so unmöglich, ruft seine Frau hysterisch und verlangt nach einer Ambulanz. Bing kommt die rettende Idee. Er schlägt Corelli vor, er solle der Nilsson im Duett des kommenden Aktes anstelle des einstudierten Kusses auf den Hals, ins Ohr beißen. Dieser Gedanken bereitet dem Tenor so viel Vergnügen, dass sich sein Gesicht null Komma plötzlich aufhellt und der Holzsplitter vergessen ist. Als er dies der Nilsson dies beim Gang auf die Bühne erzählt, verschafft ihm dies die gleiche Befriedigung, als ob er sie tatsächlich gebissen hätte. Denn sie wußte nicht, was wirklich passiert.
Übrigens: die Textänderung wurde später hinzuerfunden. Es existieren mehr als ein Dutzend Versionen des Vorfalls. Der Co-Director Robinson ist sehr zuverlässig gewesen. Er schrieb übrigens das fantastische Buch Caruso: His life in pictures, das er mir seinerzeit noch schickte.
Franco Bastiano
Paris V ième
Vielen Dank, lieber Herr Sommeregger, für den schönen Beitrag über einen meiner Lieblingstenöre. Ich habe die meisten Aufnahmen mit Corelli gehört und fast alles gefällt mir, nur schade dass er die Rolle des Otello – soweit ich weiß – nicht gesungen hat.
Es reicht, zwei Minuten einer Aufnahme mit Corelli zu hören, um zu verstehen, dass fast keiner der heutigen Tenören zu hören ist. Da könnten Kaufmann & Company etwas lernen. Die Zeit ist aus den Fugen.
Yehya Alazem, Stockholm
Lieber Yehya,
ja, unsere Tenöre könnten theoretisch gesehen so viel von Franco Corelli lernen – so gut wie er werden sie nimmer. Jonas Kaufmann, das hat auch am Sonntag der Parsifal aus Wien gezeigt, ist gar kein (richtiger) Tenor mehr. Ich wette haushoch, dass der Münchner Tausendsassa in ein paar Jahren als Bariton unterwegs sein wird – allerdings nicht mit dem gleichen Erfolg wie der Downgrader Plácido Domingo. Letzter war und ist ein Jahrhundertsänger. Kaufmann ist zuvörderst eine Marketing-Erscheinung. Corelli bot noch das, wofür ein Tenor bezahlt wird: leichte, geschmeidige, selbstverständliche und auch strahlende Höhen. Dort sehe ich zur Zeit eigentlich nur Juan Diego Flórez. Was Kaufmann im hohen Register zelebriert, ist meist nur noch purer Krampf.
Herzlich aus HH,
Andreas Schmidt, Herausgeber
Ergänzend zu dem was Franco Bastiano sehr richtig sagte zu den Sängern der sogenannten ‚zweiten Reihe‘, die all heute in die erste gehören würden, hier noch ein paar Namen:
Ferruccio Tagliavini, Giuseppe Campora, Gianni Poggi, Bruno Prevedi, Renato Cioni, der Engländer Charles Craig der eine einzigartige, italienische Stimme hatte, auch die Herren Richard Tucker und Jan Peerce, die man allerdings in den Staaten immer in die Reihe eins einsortiert hatte und die mit der MET veheiratet waren.
Andreas Schmidt hat Recht, nur bei Domingo stimme ich ihm nicht zu. Der hat zwar eine Ära geprägt, jedoch ein Jahrhundertsänger war er nicht, wie etwa der makellose Fritz Wunderlich. Domingo hatte nicht einmal ein echtes, brustgestütztes hohes C, ebenso wie Kaufmann. Es ist für manche Rollen unerlässlich. Transponieren hilft da nicht immer. Man kann auch Rollen weglassen, für die man nicht alle Töne hat. Ein Herr Kaufmann würde das nie machen, er nimmt, wie Domingo alles mit, auch wenn es schon peinlich ist.
Robert Forst