Ich habe mich selbst in dieser Diskussion stets als eine Stimme der Vernunft gesehen, als jemand, der objektiv der Wissenschaft und dem klaren Verstand verpflichtet ist.
von Dr. Petra Spelzhaus
Da wollte ich meiner Trompete und Flügelhorn mal wieder etwas Gutes tun und habe sie einer ausgiebigen Wäsche in meiner Badewanne unterzogen. Die Maschine meiner Trompete lief super, und auch das zwischenzeitliche Klötern (auf bayerisch „Scheebern“) beim Drücken der Ventile war verschwunden. Aber was war das? Beim Spielen des E“ vernahm ich schrill fiepende Obertöne, die umliegenden Töne klangen in meinem Ohr so wie gescheite Töne zu klingen haben. Ein Tinnitus konnte es nicht sein, konnte ich den Sound doch immer nur selektiv mit meinem E“ reproduzieren. Da zudem das Mundrohr meiner Trompete feststeckte, war klar: Ich muss mit meinem Hörnchen zum Doktor. Also verabredete ich mich mit dem Instrumentenbauer meines Vertrauens.
Wir leben schon in seltsamen Zeiten: Ein junges Virus versetzt den Erdball in einen Lockdown, in unseren Nachbarländern versterben unzählige Menschen an Covid-19. Mit Hilfe von Kontaktsperren und Ausgangsbeschränkungen, die zum Teil schon wieder gelockert sind, haben wir Deutschen das Glück, dass sich die Zahl der Neuinfektionen und Toten in Grenzen hält. Das ruft dann eine große Zahl Aluhutträger, Corona-Leugner, Verschwörungstheoretiker, Impfgegner und Widerstandskämpfer auf den Plan, um uns aus unserem „repressiven demokratischen System“ zu befreien und einer „Weltherrschaft durch einen amerikanischen Milliardär und der WHO“ zu entgehen.
Ich habe mich selbst in dieser Diskussion stets als eine Stimme der Vernunft gesehen, als jemand, der objektiv der Wissenschaft und dem klaren Verstand verpflichtet ist.
In der Werkstatt des Trompetenbauers wird mir erstmal – mit gebührenden Sicherheitsabstand- ein Bassflügelhorn zur Probe ausgehändigt. Meine Trompete wird gereinigt, eine kleine Delle gerichtet, das Mundrohr gefettet. Wir testen das gute Stück: „Da, hörst Du die Obertöne beim E“?“ „Ich höre die hohen Töne nicht mehr so gut, aber ja, da sind ein paar Obertöne.“ „Außerdem komme ich beim Spielen nicht mehr so in die Höhe.“ „Warte, ich drehe Dir kurz ein neues Mundstück. Und, geht es besser?“ „Ich denke schon.“
Nun sitzen wir im sonnendurchfluteten Garten des Instrumentenbauers bei Kuchen und Cappuccino. „Sag mal, kann es sein, dass du Dinge hörst, die gar nicht da sind?“ „Wie, ich?!?“ „Geh mal in deine schalldichte Kabine und schau, ob du die Obertöne immer noch hörst.“ Der Trompetenbauer fängt an zu plaudern, berichtet davon, dass ihm sein Beruf große psychologische Fähigkeiten abverlangt. Kunden sind davon überzeugt, dass ein Überbrückungsteilchen vom Mundrohr zum Mundstück trotz perfekter Passform und wider besseren Wissens von Materialkunde und Akustik den Sound verbessern soll. Musiker lassen ihre Instrumente in einer Kältekammer einfrieren zur Entspannung des Instruments, ähnlich wie Rheumatiker es tun. Instrumente werden getunt, entlackt, an Mundstücken wird geschnitzt, alles um den Sound im Ohre des Betrachters zu optimieren. Die seitenlangen Ausführungen in den jeweiligen Instrumentenforen geben ein eindrucksvolles Zeugnis davon. Die Soundwahrnehmung des Instrumentalisten verändert sich jedoch rasch, sobald jemand weiteres zuhört. Die Liste ließe sich unendlich fortführen.
Ich muss zugeben, wir Musiker sind in keinster Weise vor Subjektivitäten gefeit. Klingen wir nicht gut, so liegt es keineswegs an uns als Generator, sondern der Resonator muss verändert werden, ob es Sinn macht oder nicht. Hauptsache, es fühlt sich gut an. Dann nehmen wir auch Placebo-Effekte in Kauf.
Während jedoch von den Irrationalitäten der Aluhut-tragenden, Corona-leugnenden, impfablehnenden, verschwörungsgläubigen Widerstands-Zweckgemeinschaft eine nicht zu unterschätzende Gefahr für die Gesellschaft ausgehen kann, hält sich das Gefährdungspotential durch die Musikerpsyche in aller Regel in Grenzen. In meinem Fall sprang ein netter Nachmittag mit Cappuccino und Kuchen, ein frisch gereinigtes und repariertes Instrument sowie ein neues Mundstück raus. Wieder daheim hörte ich übrigens das Fiepen des E“ wieder. Ich wechselte den Raum, und es war weg.
Dr. Petra Spelzhaus, 15. Mai 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
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Spontan sprang Dr. Petra Spelzhaus bei der Jazzahead 2019 für eine erkrankte Kollegin ein und berichtete vom Partnerland Norwegen für klassik- begeistert.de . Weitere Beiträge als Autorin folgten. Schon früh entstand der Kontakt zur Musik. Kaum dass Petra sprechen konnte, kannte sie schon sämtliche Komponisten ihres Quartett-Kartenspiels auswendig. Sie versuchte sich seit ihrer Kindheit an diversen Instrumenten, bis sie als Jugendliche auf ihre große Liebe, die Trompete, traf. Nach zunächst klassisch ausgerichteter Ausbildung stieß die gebürtige Bremerin auf Jazz- und Weltmusik. Da war ihr klar: „Ich will musikalisch frei sein und improvisieren!“ Namhafte Professoren besaßen die Geduld und nahmen sich ihrer an. Die Erkenntnis reifte: Je leichter und freier Musik klingt, desto mehr Schweiß steckt dahinter. Getreu ihrem Motto „Life is Jazz“, möchte die ganzheitlich tätige Ärztin Auge und Ohr auf klassik-begeistert.de weiten und der Jazzmusik Gehör verschaffen. Dr. Petra Spelzhaus ist auch Jazztrompeterin, sie lebt und arbeitet in München.