https://klassik-begeistert.de/giuseppe-verdi-otello-anja-harteros-jonas-kaufmann-gerald-finley-bayerische-staatsoper-muenchen/Spielzeitpräsentation 2023-24 © Wilfried Hösl
Insgesamt bleibt auch die dritte Spielzeit ein mutiges Programm, das die Leitlinie der Führungsriege erfüllt, ein großes Opernspektrum auf die Bühne zu bringen und dabei auch Unbekannteres. Zugleich erkenne ich den Zwang der Sparmaßnahmen und die lernende Kompromisslinie der Hausleitung, das Eingehen auf einige Wünsche des Münchner Opernpublikums: ein paar mehr bekannte Stücke, und an der ein oder anderen Stelle einen fürs Publikum bekannten und wohlklingenden Sänger- und Sängerinnamen.
Bayerische Staatsoper, München, 04. März 2023
Spielzeitpräsentation der Bayerischen Staatsoper für die Spielzeit 2023/24 mit Serge Dorny, Vladimir Jurowski und Laurent Hilaire
von Frank Heublein
An diesem Morgen ist es für mich überraschend voll im Nationaltheater in München. Ich ging von einer Pressekonferenz aus, aber es ist eine öffentlich zugängliche Veranstaltung, die geschätzt 600 Menschen besuchen.
Neben der inhaltlichen Vorstellung der nächsten Spielzeit gelingt dem Haus zusätzlich, Lust zu machen auf die kommende Spielzeit, indem sie Kunst aufführen. Zu Beginn treten die Bläser des Staatsorchesters zusammen mit einem Kontrabassisten auf. Und spielen die Bearbeitung der Ouvertüre von Mozarts Le nozze di Figaro. Voller Kraft, Energie, flirrend, schwungvoll. Das könnte für mich gerade so weitergehen. Klingt wie ein volles Orchester!
Intendant Serge Dorny stellt das Motto der kommenden Spielzeit vor. Ein Zitat aus Fernando Pessoas Buch der Unruhe. „Wir sind zwei Abgründe – ein Brunnen, der in den Himmel schaut.“ Sinnbild der beiden Pole Himmel und Hölle. Für Dorny soll Oper, Konzert und Ballett inspirierend und tröstend sein in diesen unruhigen unsicheren Zeiten.
Eröffnet wird die Spielzeit mit Le Nozze di Figaro. Der Mozart-da Ponte-Zyklus wird damit fortgesetzt. Evgeny Titov ist erstmals für eine Inszenierung am Haus verantwortlich. Stefano Montanari, der demnächst die Opernfestspielproduktion Semele verantwortet, steht am Dirigentenpult. Dorny sagt, Mozart würde vertonen, worüber das Libretto nicht sprechen durfte in diesem Krieg der gesellschaftlichen Schichten.
Es folgt eine – wie Vladimir Jurowski sagt – heilige Kuh der Bayerischen Staatsoper: Die Fledermaus. In diesem Blockbuster übernimmt er die musikalische Leitung. Barrie Kosky kommt für die Inszenierung erneut ans Haus – Szenenapplaus. Der Mann und die Kombi mit Jurowski werden geschätzt in München. Ich freue mich auf Diana Damrau als Rosalinde.
Darauf folgt Tschaikowskis Pique Dame. Benedict Andrews führt Regie. Diese Spielzeit inszenierte er Così fan tutte am Haus. Serge Dorny erwähnt, dass den Regisseur die soziale Ungleichheit interessiere, seine Ideen scheinen in Richtung David Lynch zu gehen. Ich bin gespannt. Dirigent Aziz Shokakimov gibt mit der Produktion sein Hausdebüt am Dirigentenpult.
Die Passagierin von Mieczysław Weinberg wurde 1968 komponiert, aber erst 2010 bei den Begrenzer Festspielen szenisch uraufgeführt. Eine multisprachliche Produktion. Das Libretto wird angepasst, da einige Aspekte dem Produktionsteam nicht zeitgemäß erscheinen. Dieses besteht aus Vladimir Jurowski und Regisseur Tobias Kratzer. Ich freue mich auf die Musik von Mieczysław Weinberg, den ich hierzulande eher selten live zu hören bekomme.
Im April wird die jährliche Opernstudioproduktion zwei Einakter verbinden: zwei Stücke des 20. Jahrhunderts mit Carl Orffs Der Mond und Ottorino Respighis Lucrezia. Am Pult steht der neue Assistent Vladimir Jurowskis Azim Karimov. Ich hoffe, seine Vorgängerin Giedrė Šlekytė bleibt München an der ein oder anderen Stelle erhalten. Die ukrainische Regisseurin Tamara Trunova fiel dem Leitungsteam beim Volkstheater radikal jung Festival auf. Welch interessante Synergie.
Mit Puccinis Tosca steht ein weiterer Blockbuster auf dem Programmbogen. Der allerdings, so erzählt Serge Dorny, bei der Premiere durchfiel. Es dauerte nicht lange, da gewann diese Oper die Hörer-Seher-Herzen. Das Team besteht aus Regisseur Kornél Mundruczó, diese Spielzeit für den Lohengrin verantwortlich, und dem am Haus bekannten Dirigenten Andrea Battistoni. Die Rollen sind starbesetzt mit Anja Harteros in der Titelpartie. Die männliche Hauptrolle teilen sich Charles Castronovo und Jonas Kaufmann.
Die Sopranistin Jasmin Delfs des Opernstudios gibt ein Lied mit Klavierbegleitung zum Besten, dessen Titel und Komponisten ich nicht korrekt mitbekomme. Ihre warme Stimme hat Strahlkraft in den Höhen. Sie macht mir Lust auf die Opernstudiopremiere dieses Jahr, bei der ich ihre Stimme hoffentlich wiederhören werde.
Die erste Premiere der Opernfestspiele ist Le grand macabre von György Ligeti. Für Serge Dorny wichtig, die Festspiele mit einem politisch bedeutungsvollen Stück einzuleiten. Die erste Fassung wurde zu Beginn der 1970er Jahre fertig gestellt. Eine zweite Fassung stammt aus dem Jahre 1996. Der Regisseur Krysztof Warlikowski wird die Regie übernehmen. Am Pult steht der ehemalige Generalmusikdirektor Kent Nagano. Sergen Dorny nennt es eine Anti-anti-Oper. Ligeti baut Zitate früherer Komponisten ein, so dass man die Oper fast als Pastiche begreifen könne.
Die letzte Premiere der kommenden Spielzeit wird Claude Debussys Pelléas et Mélisande werden. Dafür wird erstmals im Haus der Niederländer Jetske Mijnssen die Regie übernehmen. Am Pult darf ich mich auf die vom Schlauen Füchslein bekannte Mirga Gražinytė-Tyla freuen. Christian Gerhaher darf dabei die Seite des Ungeliebten Golaud entwickeln.
Zurück zum Start: in der Spielzeiteröffnung, dem Septemberfest werden wie gewohnt Kurzformate kostengünstig angeboten, dazu gibt es Events und Popups rund um das Nationaltheater, das Cuvilliéstheater und die 5 Höfe, die die Bayerische Staatsoper näher dran bringen soll an Menschen, die sich in der Stadt aufhalten.
Das Orchester feiert 2023 seinen 500. Geburtstag. Dieser wird mit einer Europatournee gefeiert, die im September durch sieben Länder geht. Für den Spielzeitstart „gastiert“ das Orchester auch in München. Kent Nagano wird eine Uraufführung eines Stücks von Unsuk Chin präsentieren. Joana Mallwitz darf dann hoffentlich auch vor Publikum in München dirigieren. Das blieb ihr pandemiebedingt im letzten Anlauf hier in München verwehrt. Sie nimmt sich Mozart und Tschaikowski vor. Vladimir Jurowski übernimmt drei Akademiekonzerte, in denen er klassisches, romantisches aber auch zeitgenössisches zur Aufführung bringt.
Ballettdirektor Laurent Hilaire kündigt drei Premieren an. Der französische Choreograf Angelin Preljocaj bringt zu Mozart Musik mit Le Parc ein abendfüllendes Werk nach München. Laurent Hilaire hat die Uraufführung des Stücks 1994 getanzt. Choreograf Angelin Preljocaj betreut zusätzlich die Sphären.02 in der Opernfestspielzeit, in denen eine seiner Choreografien mit zwei jungen Choreografen kombiniert werden. Die dritte Premiere zur Ballettwoche im April wird drei Stücke der Choreografen Duato, Skeels und Eyal verbinden. In dieser Ballettwoche gibt die belgische Tanztruppe Peeping Tom mit Tryptich ein Gastspiel in München.
Serge Dorny kündigt den vierten und letzten Teil der Spielzeitpräsentation an. Beim Community-Programm stehen kulturelle Teilhabe, Partizipation und Kommunikation auf Augenhöhe im Mittelpunkt. Der Schwerpunkt liegt hier auf einem gerade entstehenden neuen Stadtteil Münchens: Freiham. Ein weiter Fokus liegt auf der Jungen Community unter 30 Jahren, für die Sneak Previews, Afterglows und Get-Togethers angeboten werden. In diesem Rahmen muss auch Kind & Co erwähnt werden. Es wird mit Frank und Bert, die Richard Whilds, Korrepetitor an der Bayerischen Staatsoper, diese spezielle Produktion für Kinder komponieren und arrangieren.
Den Schluss bildet logischerweise das Bayerische Staatsballett. Nachdem das Orchester den Anfang, der Gesang das Intermezzo gebildet haben. Ein Ausschnitt aus Bedroom Folk, einem der drei Teile des Programms Paradigma wird von vier Tänzerinnen und vier Tänzern auf die Bühne gezaubert. Wummernde Musik, die sich übertragende Rhythmik, die in kleinen Bewegungen synchron die acht Körper durchströmt. Sie sind durch einen Lichtspot in Licht und Schatten hart und scharf zerteilt. Dieser intensive Moment macht mir und wenn ich den tosenden jubelnden Applaus höre auch allen anderen Anwesenden unglaubliche Lust darauf, Tanz dieser Truppe in München zu erleben.
Ich bemerke die Einsparungen. Das Ja, Mai Fest wurde bereits dieses Jahr ins, wie ich in der Präsentation feststellen muss, Nirwana verschoben. In der kommenden Spielzeit ist es weg, findet in der Kommunikation nicht statt. Ich finde das schade. Denn der Mut, zeitgenössische Oper in einem speziellen Festival zu zeigen, wurde belohnt: in der letzten Spielzeit hatten Georg Friedrich Haas’ Opern Bluthaus und Thomas überwältigenden Erfolg.
Insgesamt bleibt auch die dritte Spielzeit ein mutiges Programm, das die Leitlinie der Führungsriege erfüllt, ein großes Opernspektrum auf die Bühne zu bringen und dabei auch Unbekannteres. Zugleich erkenne ich den Zwang der Sparmaßnahmen und die lernende Kompromisslinie der Hausleitung, das Eingehen auf einige Wünsche des Münchner Opernpublikums: ein paar mehr bekannte Stücke, und an der ein oder anderen Stelle einen fürs Publikum bekannten und wohlklingenden Sänger- und Sängerinnamen.
Frank Heublein, 04. März 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Elektra, Richard Strauss Bayerische Staatsoper, 27. November 2022
Peter Grimes, Benjamin Britten Bayerische Staatsoper, 21. September 2022 (Wiederaufnahme)
Giacomo Puccini, Tosca, Anja Harteros, Joseph Calleja, Daniele Callegari Bayerische Staatsoper