Foto: © Matthias Creutziger
DVD-Rezension:
Staatskapelle Dresden
Christian Thielemann
Anton Bruckner, Sinfonie Nr. 2 (Unitel Cmajor Bestell-Nr: 730508)
von Kirsten Liese
Über viele Jahre hat sich Christian Thielemann Anton Bruckners Sinfonien sukzessive erarbeitet. Die Zweite, dokumentiert in einem Mitschnitt aus der Hamburger Elbphilharmonie vom Februar 2019, bildet den Schlusspunkt seines viel beachteten, grandiosen Zyklus. Thielemann bringt sie in der letzten von vier Fassungen aus dem Jahr 1877.
Da gerade diese Sinfonie seltener Raum im Konzertbetrieb erhält, wiewohl es sich keineswegs um ein unausgereiftes Frühwerk handelt, erweist sich die Aufzeichnung als ein Segen. Zwischen Momenten von lyrischer Schönheit, abrupten Abbrüchen, Gipfelgängen, burlesken Motiven und kraftvollen Rhythmen, die an das berühmte Scherzo der Neunten erinnern, offenbart sich bereits die unverkennbare Handschrift des spät berufenen Komponisten, der erst im Alter von 47 Jahren zur Symphonik kam. In einer vergleichbar beseelten, vollkommenen Wiedergabe wird man sie vermutlich live sobald nicht wieder erleben.
Der romantische, warme und sinnliche Klang der Staatskapelle Dresden kommt in der Aufnahme vollendet zur Geltung. Christian Thielemann festigt endgültig seinen Ruf als einer der letzten großen Brucknerdirigenten unserer Zeit, der den klanglichen Reichtum der Musik mit sparsamen Bewegungen voll zur Geltung bringt, in sich ruht und es wie kein Zweiter versteht, Musik zu be- und entschleunigen. Insbesondere das feierliche Adagio erstrahlt dank breitem Tempo in überirdischer Schönheit.
Eben das sind die Qualitäten, die diese Interpretation ausmachen: das Erleben von Transzendenz, spannungsvolle, knisternde Stille, Fortissimi von klanglicher Kompaktheit und Transparenz im Stimmendickicht. Dank exquisiter Aufnahmetechnik vermitteln sie sich bis ins heimische Wohnzimmer hinein.
Die Kamera ist immer dicht dran an den Musikern und am Dirigenten, die prickelnden Momente, wenn es plötzlich ganz still wird und sich nur noch die Kontrabässe mit einem geheimnisvollen Tremolo vernehmen lassen oder auf samtenem Streicherteppich das Horn andachtsvoll ein Solo anstimmt, vermitteln sich freilich am besten unter Einsatz von Kopfhörern. Eine große Freude beschert freilich auch das Scherzo mit markanten Rhythmen und Ohrwürmern.
Der größte magische Moment ist erreicht, wenn im Adagio nach einer Generalpause die vielleicht zärtlichste Melodie einsetzt, die Bruckner je geschrieben – und später noch einmal im „Benedictus“ seiner f-Moll-Messe zitiert hat. Hier wird sie nicht nur leise und schön gespielt, sondern zutiefst berührend.
Überhaupt beschert die visuelle Aufzeichnung dieses Konzerts dank der sehenswerten, präzisen Zeichensprache des noch an kleinsten dynamischen Stellschrauben drehenden Dirigenten und der subtilen Kommunikation zwischen ihm und dem Orchester gegenüber einer reinen Tonaufnahme einen deutlichen Mehrwert. Nicht zuletzt, weil auch Auftritt und Schlussbeifall in voller Länge aufgezeichnet und stehen gelassen wurden, stellt sich das Gefühl ein, unmittelbar und mittendrin dabei zu sein.
Kirsten Liese (Der Artikel ist zuerst erschienen in der Märzausgabe der Zeitschrift „Das Orchester“)