Die Gespenster stecken im Detail

Stanisław Moniuszkos, Das Gespensterschloss  Philharmonie Berlin, 22. April 2024

Fotos © Bartek Barczyk, von links: Damian Konieczek, Anna Lubańska, Albert Memeti, Gosha Kowalinska, Ruslana Koval, Stanisłav Kuflyuk, Piotr Kalina und Rafał Korpik

Konzertante Aufführung von Stanisław Moniuszkos „Das Gespensterschloss“ als Gastspiel der Posener Oper in Berlin

Philharmonie Berlin, 22. April 2024

Musikalische Leitung: Marco Guidarini
Chor: Mariusz Otto

Hanna: Ruslana Koval (Sopran)
Jadwiga: Gosha Kowalinska (Mezzosopran)
Cześnikowa: Anna Lubańska
Stefan: Piotr Kalina (Tenor)
Zbigniew: Rafał Korpik (Bass)
Marschall: Stanisłav Kuflyuk (Bariton)

Moderation:  Frederik Hanssen


von Jolanta Łada-Zielke

Dies war ein echtes Fest der slawischen Musik in der Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland. Die temperamentvolle Interpretation von Maestro Marco Guidarini, das hervorragende polnisch-ukrainische Solistenensemble, der kompakte und homogene Klang des Orchesters und Chors der Posener Oper – all dies trug zu noch einem Erfolg von Moniuszkos Werk bei unseren Nachbarn jenseits der Oder bei.
Die Aufführung ist so gelaufen, als ob man aus der Schatzkammer des Posener Opernhauses immer wieder neue Edelsteine hervorgeholt hätte. Selbst die Kleider der Solistinnen harmonierten damit. Die rubinrote Cześnikowa, Sodalith-blaue Marta/Alte Frau, smaragdgrüne Jadwiga und opalglänzende Hanna. Die Herren natürlich in Fräcken, aber jeder von ihnen stellt eine andere künstlerische Persönlichkeit dar.

Das Publikum an jenem Abend in der Berliner Philharmonie war polnisch-deutsch, meist zweisprachig. Nach der feurigen Finale-Mazurka erhoben sich die Zuschauer und belohnten die Künstler mit tosendem Applaus. Und alles wäre perfekt gewesen, ABER…

Eine philharmonische Bühne ist nicht dasselbe wie eine Opernbühne. Es ist das dritte Mal, dass die Posener Oper Moniuszko hier aufführt, zuvor mit „Halka“ (2019) und „Paria“ (2023). Die Posener Musiker sollen also diesen Raum gut kennen und ihre Aufführungsmöglichkeiten an die hiesige Akustik anpassen können. Allerdings klingt das Orchester im ersten Teil des Konzerts teilweise zu laut und übertönt die Sänger. Man hätte die dynamischen Proportionen anders verteilen oder/und die Künstler anders aufstellen sollen, vor allem den Chor. Dieser ist nur deutlicher zu hören, wenn das Orchester zumindest Mezzoforte spielt.

Es wäre besser, wenn die Chorsänger in einem Halbkreis um die Instrumentalisten herumstünden. Vielleicht hat derjenige, der die Künstler gesetzt hat, die textliche Botschaft als zweitrangig betrachtet, denn die Polen diese Oper kennen und die Deutschen werden die einzelnen Fragmente sowieso nicht verstehen. Schade.

Fotos © Bartek Barczyk, Maestro Marco Guidarini beim Schlussapplaus

Bei dem ersten Duett von Stefan und Zbigniew bekomme ich Angst, ob sie ihre Stimmen nicht zu früh erzwingen würden. Sie scheinen das Orchester überschreien zu wollen, und gleich verliert Rafał Korpik die Kraft an den hohen Tönen. Diesen ersten Eindruck verbessert Anna Lubańska als Cześnikova mit ihrem starken Mezzosopran, großartiger Technik und tadelloser Diktion. Es war zu sehen und zu hören, dass diese erfahrene Sängerin sich unter allen Bedingungen zurechtfinden kann. Auch Gosha Kowalinska, die meisterhaft die Dumka von Jadwiga singt, fällt positiv auf. Den stärksten Auftritt im ersten Teil macht Stanisłav Kuflyuk, der das Publikum mit dem schönen tiefen Klang seines Baritons begeistert. Er singt die Partie des Marschalls mit viel Charme, Wärme und Witz.

Auch die Sänger in den Nebenrollen verdienen eine Erwähnung. Der Tenor Albert Memeti als Damazy, der Bariton Jaromir Trafankowski in der Rolle von Maciej und der Bass Damian Konieczek als Skołuba – alle drei sind stimmlich exzellent und verleihen ihren Charakteren viel Humor. Gut ist auch Bartłomiej Szczeszek als Grześ, der zwar wenig zu singen hatte, dies aber mit Hingabe tut.

Meine größte Bewunderung gilt der Mezzosopranistin Laura Wąsek, die ich vor einem Jahr als Molly in der Krakauer Inszenierung von Szymanowskis „Die Ehemännerlotterie“ gesehen habe.

In Berlin hat man sie ungünstig aufgestellt. Dunklere Stimmen haben es schwieriger, den Klang des Orchesters zu durchdringen, daher sollte man ihnen dies eher erleichtern als erschweren. Wąsek hätte problemlos vorne, neben den anderen Solistinnen singen können, dort ist genug Platz. Sie steht aber ganz hinten, neben dem Chor, und ihr erster Einsatz als Marta ist kaum zu verstehen. Im zweiten Akt zeigt sie ihre Fähigkeiten, indem sie die vier Versen der Alten Frau zum ersten Mal vollständig mit der Brust- und die Wiederholung mit der Kopfstimme singt. Die Teilnahme dieser jungen Sängerin (Jahrgang 1999) an diesem Projekt scheint für sie ein hartes Berufstraining zu sein. Brava Laura, du hast dich nicht unterkriegen lassen! 

Fotos © Bartek Barczyk, Albert Memeti, Jaromir Trafankowski, Damian Konieczek, Gosha Kowalinska und Laura Wąsek während des Schlussapplauses

Nach der Pause läuft jedoch alles viel besser. Die dynamischen Proportionen haben sich ausgeglichen, die Stimmen klingen frisch und entspannt, die Botschaft ist klarer. Konieczek unterhält das Publikum zusammen mit Trafankowski bei der Erzählung über die alte Uhr, und Piotr Kalina singt seine Polonaise-Arie sehr rührend. Dann glänzt Ruslana Koval, die nicht nur eine starke Stimme mit dem enormen Volumen zeigt, mit dem sie den ganzen Raum bis in die letzten Reihen füllt. Erstaunlich ist auch die Leichtigkeit, mit der sie schnelle Passage durchsingt. Die Sopranistin erhält den größten Beifall.

Fotos © Bartek Barczyk, Ruslana Koval als Hanna

Nicht einmal die deutschsprachigen Zuschauer langweilen sich, obwohl sie sich ein wenig darüber beschweren, dass es keine Übertitel gibt. Ich finde, dass der Text des Librettos hätte angezeigt werden sollen, wenn auch in Englisch. Obwohl Frederik Hanssen, Kulturchef des Tagesspiegels, für die deutschen Besucher den Inhalt der einzelnen Akte erläutert, entgeht ihnen die Bedeutung einiger amüsanter Szenen.

Der Moderator versäumt es zu erklären, warum man das titelgebende Schloss gespenstig nennt. Dies sind nämlich von eifersüchtigen Frauen verbreiteten „Fake News”, denn jeder junge Mann, der zu diesem Schloss ankommt, verliebt sich in eine der Bewohnerinnen. Selbst diejenigen, die ein Gelübde abgelegt haben, Junggesellen zu bleiben, können ihnen nicht widerstehen.

„Das Gespensterschloss“ hat man in Deutschland bereits beim 11. Europäischen Interpreten-Wettbewerb und bei den Internationalen Opernfestspielen Wiesbaden 2022 erfolgreich inszeniert. Es wäre also nicht schlecht, weitere szenische Aufführungen dieses Werks in deutschen Opernhäusern zu unternehmen. Alles deutet darauf hin, dass die populärste aller Opern Moniuszkos hierzulande gut ankommen würde.

Jolanta Łada-Zielke, 26. April 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Frauenklang 10, Antonia Campi (1773-1822) – die erste polnische Sängerin, die Wien erobert hat – Teil 1 klassik-begeistert.de, 17. April 2024

DVD-Rezension: Stanisław Moniuszko, HALKA, Theater an der Wien, klassik-begeistert.de

Stanisław Moniuszko, Halka <br Theater an der Wien, 22. Dezember 2019

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