9. Philharmonisches Konzert Bremen „Leidenschaft“ vermittelt sperrige Kompositionen mit unerschöpflicher Leidenschaft

Sung-Won Yang Violoncello, Jonathan Stockhammer Dirigent, Bremer Philharmoniker  Die Glocke, Das Bremer Konzerthaus, 11. März 2024

Jonathan Stockhammer © Marco Borggreve

Béla Bartók:  Tanz-Suite

Peter Eötvös:  Cello Concerto Grosso

Witold Lutosławski:  Concerto for Orchestra

Sung-Won Yang  Violoncello
Jonathan Stockhammer  Dirigent
Bremer Philharmoniker

Die Glocke, Das Bremer Konzerthaus, 11. März 2024

von Gerd Klingeberg

War es Mut? Oder vielleicht sogar Übermut, dass die Bremer Philharmoniker ihren Zuhörern eine Programmabfolge allein mit Bartók, Eötvös und Lutosławski offerierten – ganz ohne eine „Abmilderung“ durch einen bekannten Klassiker oder Romantiker? Doch Gedanken darüber erübrigten sich schnell. Genauer gesagt: schon beim dynamischen Auftritt des Dirigenten Jonathan Stockhammer, der vor  Energie offensichtlich nur so zu sprühen schien. Was sich auch gleich auf das Orchester übertrug.
Béla Bartóks „Tanz-Suite“ mochte bei der Uraufführung anno 1923 durchgefallen sein: „…unsere Philharmoniker waren dafür nicht reif genug“, hatte der Komponist dereinst kommentiert. Das ließ sich von den Bremer Philharmonikern keineswegs behaupten. Ihre Darbietung war durchdrungen von nie nachlassender Lebendigkeit; die volksmusikalischen, mitunter melancholisch eingefärbten Melodien kamen in wechselnden, bisweilen bewusst stockenden, wie suchend anmutenden Rhythmen, die die Impulsivität einer gerade eben entstehenden Improvisation verströmten. Zum Kehraus geriet der lang angelegte, sich bis ins Tumultuarische steigernde Schluss.

Beim Bartók mochte es noch recht einfach gewesen sein, sich ein buntes Volkstreiben zur Musik vorzustellen. Eher irritierend, komplex und mitunter auch sperrig mutete dagegen das 2011 in Berlin uraufgeführte „Cello Concerto Grosso“ von Peter Eötvös an. Dass sich das Werk, wie dies auch im Titel anklingt, an der Form des barocken Concerto grosso orientiert, also einem Gegenüber von Ripieno und Concertino, ließ sich bei den orchestralen Interaktionen problemlos nachvollziehen. Hörend eine genauere Struktur darin zu finden, war indes nahezu ein Ding der Unmöglichkeit. Und wenn man meinte, im steten kaleidoskopischen Wechsel, in diesem Flickenteppich der Motivfetzen ein Muster erkannt zu haben, so wurde dies auch gleich wieder durch neu aufploppende kurze Tanzszenen konterkariert.

Und als der virtuos agierende Solist, der koreanische Cellist Sung-Won Yang, schon kurz nach dem straff angegangenen Beginn durch aufgeregte Gesten signalisierte, dass sein Pedal zur Steuerung seiner elektronischen Noten ausgefallen sei, war man sich nicht einmal sicher, ob dies nicht vielleicht doch in der Partitur vorgesehen sei. Immerhin ging es nach wenigen Momenten weiter mit dem wahrhaft schweißtreibenden Solopart.

Sung-Won Yang-2017 04 © Yang

Mal bearbeitete Yang geradezu ungebärdig mit klopfendem Bogen die Saiten, vollführte wie unwirsch harte Strichfolgen, glissandierte im höchsten Diskant oder fiedelte frohgemut eine heitere Melodie vor sich hin in diesem so grellbunt gesprenkelten Werk mit seiner Vielzahl geforderter, teils fremder Spieltechniken, die der Solist gekonnt und sicher einzusetzen wusste.

Dass Eötvös sich aus dem riesigen Fundus traditioneller transsilvanischer Volksmusik bedient hat, ist gut zu wissen, wenngleich das meiste davon hierzulande weitestgehend unbekannt ist. Deutlich erkennbarer waren die drei alternierenden Tanzsituationen: das Stampfen der Männer, die ruhigeren, wie schwebend anmutenden Schritte der Frauen, und schließlich das Miteinander beider Gruppen. In diesen ständig wechselnden Szenarien konnte man leicht den Überblick verlieren. Nicht so Stockhammer, dessen souveränes Dirigat mit klaren Vorgaben den Ablauf sicher steuerte und zusammenhielt. Der Schluss kam abrupt, ohne großen Finaldonner, einfach so. War aber durch das prompte Aufstehen des Solisten glücklicherweise nicht zu überhören.

Nach Eötvös konnte man sich bei Witold Lutosławskis „Concerto for Orchestra“ fast schon in einem Klassiker wähnen. Und dies nicht nur durch die bestens bekannte Sequenz, die einstmals als Titelmelodie des ZDF-Magazins gedient hatte. Um politisch möglichst nicht anzuecken, hat der Komponist harmonisch und strukturell auf traditionelle Muster gesetzt und diese vorsichtig mit modernen Elementen kombiniert. Herausgekommen ist ein durchgehend spannungsintensives Werk, bei dem häufig klare rhythmische Konturen von aufgeregt wuselnden Figurationen unterlegt sind. Auf beeindruckende Weise gelang es dem groß besetzten Orchester, dieses Miteinander kontrastierender Elemente in optimaler Ausgewogenheit zu präsentieren.

Perfekt geriet auch das koboldhaft huschende, wie fein getupft wirkende Flattern im Mittelsatz. Schließlich das groß angelegte Finale, eingeleitet von der ruhigen, mit leicht jazziger Note von Harfe und Kontrabässen initiierten Passacaglia. Die folgende Toccata nimmt die Spannung auf, leitet sie mit aufwühlender Klangdichte weiter zum bewegenden, mit einem gehörigen Schuss an theatralem Pathos dargebotenen „Corale“. Und der mündete nach einem langen, stringent verfolgten Anlauf in einem grandiosen, aber dennoch irgendwie überraschenden Schlusspunkt.

Von Beginn an, aber jetzt in ganz besonderer Ausprägung bewahrheitete sich das Motto „Leidenschaft“, das über diesem Konzertabend stand. Denn überzeugend war nicht allein die orchestrale und solistische Perfektion der spieltechnischen Ausführung, sondern mehr noch die unbedingte, ganz offensichtliche Leidenschaft von Dirigent und Instrumentalisten, mit denen sie ihren Zuhörern diese gewiss nicht einfach zu rezipierenden Kompositionen näher brachten.

Gerd Klingeberg, 12. März 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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